Kinderbräute in Mali: Mit 12 Jahren verheiratet, mit 13 schon Mutter

Millionen Mädchen werden jährlich als Minderjährige verheiratet. Besonders akut ist das Problem in Mali. Die Kinderehen führen zu einer hohen Geburtenrate und noch mehr Instabilität. Und für viele Mädchen kommt die frühe Heirat einem Todesurteil gleich. Minata, Bintou und Sanamba aus Mali haben den Mut, ihre Geschichte als Kinderbräute zu erzählen.
Bei der Hochzeitszeremonie reicht die Zustimmung der Eltern
Minata hat ihren Mann erst in der Hochzeitsnacht kennengelernt. Voller Angst wartete sie im Schlafzimmer, bis er aus der Moschee zurückkam. Sie war erst 12 Jahre alt. Noch ein Kind. Doch wenig später war sie schon schwanger. "Ich hatte keine Wahl", erinnert sich die heute 13-Jährige mit traurigem Blick. Ihr Schicksal ist in Mali nicht ungewöhnlich. "Ich habe mich geweigert, aber meine Eltern haben mich unter Druck gesetzt. Sie haben gesagt: 'Entweder du heiratest oder wir verstoßen dich'." "Ich hatte in der Hochzeitsnacht wirklich Angst. Ich wusste nicht, was passieren würde", erzählt Minata. Bei der Hochzeitszeremonie in der Moschee war sie dem Brauch gemäß nicht dabei. Dem Imam reicht es in Mali, wenn die Eltern der Braut zustimmen.
Jedes sechste Mädchen ist vor dem 14. Lebensjahr verheiratet
Etwa 15 Millionen junge Mädchen in Afrika und Asien erleiden jedes Jahr das gleiche Schicksal wie Minata. In ihrer Heimatregion Koulikoro im Zentrum Malis sind dem UN-Kinderhilfswerk Unicef zufolge fast 60 Prozent aller Frauen schon vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, etwa jedes sechste Mädchen schon nach Vollendung des 14. Lebensjahres. Die Bundeswehr beteiligt sich mit rund 1.000 Soldaten an einer UN-Friedensmission zur Stabilisierung des von radikalen Islamisten terrorisierten westafrikanischen Landes. Doch Experten wenden ein, dass ohne eine nachhaltige Bekämpfung der Armut - einer der Hauptauslöser der Konflikte - kein nachhaltiger Friede geschaffen werden kann. Dabei spielt auch die hohe Geburtenrate eine zentrale Rolle, zu der Kinderehen einen großen Beitrag leisten. Sie sind langfristig eine Quelle zusätzlicher Instabilität: Die Bevölkerung in Mali soll sich UN-Prognosen zufolge bis 2050 auf mehr als 40 Millionen Menschen verdoppeln - und die Regierung ist schon jetzt überfordert. Die Länder mit dem höchsten Anteil an Kinderbräuten sind auch jene, die weltweit die höchsten Geburtsraten haben: Frauen im Niger gebären der Weltbank zufolge im Schnitt 7,3 Kinder, im Tschad, in Somalia und in Mali sind es sechs. Zum Vergleich: In Deutschland sind es derzeit etwa 1,5 Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter.
Eltern verkaufen ihre Töchter aus Armut als Bräute
Die Ehen Minderjähriger begründen einen Teufelskreis, der die Armut in die nächste Generation weiterträgt. Je früher Mädchen heiraten, desto weniger Schulbildung haben sie. Mangels Bildung können die jungen Frauen weniger zum Einkommen der Familie beitragen und bringen mehr Kinder zur Welt - die im Schnitt weniger gesund sind. "Kinderbräute müssen typischerweise viele Kinder versorgen, obwohl sie selbst noch jung sind", heißt es bei Unicef. Für die Eltern spielen bei der Entscheidung, eine Tochter so jung wegzugeben, oft Traditionen und Armut eine Rolle. Nach der Heirat ist eine Tochter weniger zu ernähren, zudem zahlen die Schwiegereltern einen Brautpreis. Es ist daher kein Zufall, dass die Staaten mit dem höchsten Anteil an Kinderbräuten einem UN-Index zufolge auch zu den 15 ärmsten Ländern der Welt gehören.
Minata wäre bei der Geburt ihrer Tochter beinahe gestorben
Minatas Tochter Dioulaba ist zweieinhalb Monate alt. "Bei meiner Tochter werde ich das allermöglichste tun, damit sie nicht vor 18 heiraten muss", sagt Minata in der örtlichen Sprache Bambara. An die Geburt erinnert sie sich nur ungern - ihr Leben hing dabei wegen starker Blutungen am seidenen Faden. Unicef geht davon aus, dass weltweit jedes Jahr mindestens 70.000 Kinderbräute während der Schwangerschaft oder bei der Geburt sterben. Die Körper der Mädchen sind oft noch nicht bereit, ihre Becken noch zu eng, weswegen es zu schweren Komplikationen kommen kann. Die frühe Heirat könne ein "Todesurteil" sein, so Unicef. Zudem sind die Babys in der Regel schwächer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby noch im ersten Lebenjahr stirbt, ist bei minderjährigen Müttern um 60 Prozent größer.
Minatas Schicksal ist kein Einzelfall

In M'Pentièrébougou lebt auch die zierliche Bintou. "Ich habe Angst, schwanger zu werden", sagt die 13-Jährige. Das seit einem Jahr verheiratete Mädchen weiß über die Risiken Bescheid. Sie hat im Dorf zugehört, als Helfer der Organisation Tagne unterstützt von Unicef und Misereor über die Gefahren aufklärten. Bintous Mann soll etwa 40 Jahre alt sein. Er arbeitet in Spanien und kommt nur zweimal pro Jahr heim.
Das Gesetz ist eigentlich auf Bintous Seite: 16 ist in Mali das Mindestalter für eine Ehe. Doch in den Dörfern des Landes mit 18 Millionen Einwohnern ist das oft nur Theorie. Zudem wird meist nicht im Standesamt geheiratet, sondern in der Moschee - und die Imame haben mit dem Alter meist kein Problem. Fortschritt stellt sich nur langsam ein: Für die Region West- und Zentralafrika, in der mehr als 500 Millionen Menschen leben, ist der Anteil der Kinderehen laut Unicef seit 1990 von 50 Prozent auf 39 Prozent zurückgegangen. Ohne drastische Fortschritte wird es Unicef zufolge noch 100 Jahre dauern, bis dort keine Minderjährigen mehr verheiratet werden.
"Ab heute gehst du nicht mehr in die Schule"

Die heute 16 Jahre alte Sanamba aus M'Pentièrébougou sah ihr Leben ebenfalls durch eine erzwungene Heirat auf den Kopf gestellt. In der siebten Klasse eröffneten die Eltern der damals 14-Jährigen, dass sie heiraten müsse, erinnert sie sich. "Ab heute gehst du nicht mehr in die Schule", sagten die Eltern demnach. Inzwischen hat sie eine fast zwei Jahre alte Tochter. Die junge Mutter hat den Körper einer Frau, aber noch die Stimme eines Kindes. Ihr knapp zehn Jahre älterer Ehemann Balaké baut für den Lebensunterhalt der Familie Mais, Gries, Bohnen und Nüsse an. Zur Schule ist er nie gegangen. "Ich habe alles versucht, um trotz Heirat zumindest weiter zur Schule zu gehen", sagt Sanamba. "Aber mein Mann und seine Eltern haben sich geweigert."


