Homosexualität in der Schule: Darf ein schwuler Teenager im Mädchenzimmer schlafen?

Ein homosexueller 15-Jähriger will auf der Klassenfahrt in einem Mädchen-Zimmer schlafen. Weil diese Mädchen die Menschen aus der Klasse sind, mit denen er sich am besten versteht. Und auch, so erzählt es Tim, weil nach seinem Outing Jungs aus seiner Klasse den Kontakt mit ihm abgebrochen haben. Alle Eltern stimmen seinem Wunsch zu. Die Schulleitung dagegen sagt: Nein. Keine Sonderregelung. Keine gemischten Zimmer.
Von Ursula Willimsky
Ein homosexueller Junge ist ein Junge - so wie ein lesbisches Mädchen nun mal ein Mädchen ist
Selten haben sich meine Gedanken so im Zickzack bewegt hier. Jedes Für und Wider ist irgendwie nachvollziehbar, fühlt sich meistens richtig an und dann doch wieder nicht.
Nehmen wir allein die Frage: Darf ein Junge im Mädchenzimmer übernachten? Erster Reflex: Das ist schon gut, wenn Teenager getrennt nach Geschlechtern untergebracht werden; wer weiß, was sonst im Herbergszimmer so alles passiert. Nun ist dieser spezielle Jugendliche aber homosexuell. Die Mädchen und er dürften füreinander vermutlich nur wenig körperliches Interesse entwickeln. Also ab ins Mädchenzimmer, wieso auch nicht? Zum Beispiel, weil es Regeln gibt. Ein homosexueller Junge ist ein Junge, so wie ein lesbisches Mädchen nun mal ein Mädchen ist.
Tims Schuldirektor möchte "keine Spezialwünsche" erfüllen. Eine Ausnahme würde er nur machen, wenn Tim wegen seines Coming-Outs gemobbt würde. Das Verhalten seiner Klassenkameraden, so schildert es Tim in einem 'Bild'-Artikel, hat sich nach seinem Coming-Out verändert. Mit einigen ist er nun nicht mehr befreundet. Von Mobbing spricht er nicht.
Je offener die Schule ist, desto weniger Vorurteile gibt es bei den Schülern
Ein Coming-Out kann immer zur Folge haben, dass man Freunde verliert. Nicht nur in der Schule. Auch im Erwachsenenleben. In Foren, in denen Schwule und Lesben über ihr Coming-Out noch während der Schulzeit erzählen, findet man Empfehlungen in alle Richtungen. Von "Ich hab mich geoutet, mehr hat sich nicht geändert" bis hin zu "bloß nichts in der Schule erzählen". Es finden sich Geschichten von Ausgrenzung genauso wie Geschichten von großer Akzeptanz. Eine sicher vorhersehbare Reaktion scheint es nicht zu geben.
Experten sind sich einig: Je offener an einer Schule über das Thema Homosexualität gesprochen wird, desto weniger Vorurteile haben die Schüler. Zudem dürfte es Jungen und Mädchen leichter fallen, über ihre sexuelle Orientierung zu sprechen, wenn sie auf dem Pausenhof nicht häufig miterleben müssen, dass „Lesbe“ oder „schwul“ scheinbar allgemein akzeptierte Schimpfwörter sind.
Tim fühlt sich diskriminiert
Die Frage, wie lässig Mitschüler reagieren, scheint auch eine Folge des Umgangs an der Schule zu sein. Gibt es Schulvereinbarungen? Vertrauenslehrer oder eine Schulleitung, denen man sich anvertrauen und bei denen man um Rat bitten kann? Wird über das Thema verschiedener sexueller Orientierung immer wieder selbstverständlich und im neutralen Rahmen gesprochen? Um nicht nur aktives Mobbing, sondern auch unterschwellige Ausgrenzung zu verhindern?
Tim fühlt sich diskriminiert. Er fragt: "Ich muss mit den Jungs in ein Zimmer, mit denen ich nicht zurechtkomme. Warum darf jeder mit seinen Freunden in ein Zimmer, außer ich?" Man könnte dagegenhalten: Vielleicht ist das gemeinsame Zimmer mit den Jungs ja auch eine Chance, durch die räumliche Nähe wieder näher zu kommen. Andererseits: Ein paar Tage in einem Zimmer mit Leuten, die sich von einem abgewandt haben, können sehr harte Tage werden. Muss man das einem 15-jährigen Jungen zumuten, vor allem, wenn alle direkt Betroffenen (Eltern und Mädchen) der gemischten Lösung zugestimmt haben? Keine (Schul-)regel ohne Ausnahme! Das nächste Andererseits: Regeln geben einer Gemeinschaft Sicherheit und eine Struktur. Mit welchem Recht würde dann die nächste - vielleicht ebenfalls nachvollziehbar geforderte – Ausnahme verweigert? Wieder dreht sich alles im Kreis.