Kobel neue Nummer einsDer BVB-Torwart-Coup mit Risiken

Von Emmanuel Schneider
Borussia Dortmund hat seine neue Nummer eins gefunden. Der Schweizer Keeper Gregor Kobel wechselt für einen Sockelbetrag von 15 Millionen Euro vom VfB Stuttgart ins Ruhrgebiet. Der 23-Jährige bringt fast alles mit, was ein Torhüter braucht. Trotzdem birgt der Transfer auch ein Risiko.
BVB legt 15 Millionen auf den Tisch
Vor gut zwei Wochen konnte sich der kommende Dortmunder Coach Marco Rose selbst ein Bild von seinem zukünftigen Keeper machen. Beim Aufwärtsauftritt der Schwaben gegen Borussia Mönchengladbach zeigte Gregor Kobel ein fehlerloses Spiel, beim Gegentor von Lars Stindl war er machtlos. Dafür glänzte er mit zwei starken Paraden gegen Nico Elvedi und gegen Breel Embolo. Solche Rettungsaktionen erwarten sie von dem Torwart künftig auch in Dortmund.
Am Montag machte der BVB offiziell, was die schwäbischen und westfälischen Gazetten schon tagelang gewittert hatten. Kobel kommt zum BVB. Ausgesprochen wurde es von den Verantwortlichen noch nicht. Aber es ist klar: Der Noch-Stuttgart-Torwart geht ab 1. Juli als neue Nummer eins zum Bundesliga-Dritten und ersetzt dort Roman Bürki als Stammkraft. Zu laut war die Kritik an der langjährigen Nummer eins geworden. Zu viele Patzer, zu inkonstant. Zuletzt war der 30-Jährige bereits von Landsmann Marwin Hitz ersetzt worden.
„Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Konstanz“
Mit Kobel, da ist sich BVB-Sportdirektor Michael Zorc sicher, hat Dortmund einen Coup gelandet. Neben dem großen „Potential“ bringe er „Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Konstanz“ mit, so der Manager des BVB. Und in der Tat: Kobel, der 2019 von Hoffenheim (zuvor war er eine Halbserie an Augsburg ausgeliehen worden) zum VfB wechselte, mauserte sich in den vergangenen beiden Jahren in Stuttgart zu einem echten Topmann. In seiner ersten Saison parierte und fing er den VfB auf Rang zwei, war maßgeblich am Aufstieg beteiligt.
Und auch in der Bundesliga hielt er seinen Status als klare Nummer eins in Stuttgart gegen Fabian Bredlow, machte zudem noch einen klaren Schritt nach vorne. Auch „dank“ der leeren Stadien hörte man Lautsprecher Kobel stets seine Hintermannschaft sortieren. Die Kobel-Rufe wurden zur Dauerbeschallung im Hintergrund. Mit gerade einmal 23 Jahren wirkt der Schweizer extrem reif und abgeklärt, erarbeite sich bei Fans, Mitspielern und Umfeld ein hervorragendes Standing. Einer, der Leistung bringt und sonst wenig Trara macht.
Hohe Erwartungen, weniger Fehlertoleranz
Auf dem Rasen sammelte er Woche für Woche Argumente. Kobel ist stark auf der Linie, mit 1,94 Metern auch in Sachen Lufthoheit eine Wucht. Eine große Stärke wurde im vergangenen Jahr das Aufbauspiel nach vorne, mit schnellen Pässen oder Abschlägen beschleunigte er das auf rasante Offensive ausgelegte Spiel der Stuttgarter. Mit 117 abgewehrten Schüssen beendete er die Saison 2020/21 auf Platz drei der Bundesliga-Keeper. Klingt also erst einmal alles nach einer „Win-Win-Situation“, wie es auch VfB-Sportdirektor Sven Mislintat nannte. Der BVB bekommt einen sehr talentierten Keeper, Stuttgart ordentlich „Entschädigung“ in Form von Geldscheinen.
Dass Kobel in Dortmund mindestens so starke Paraden wie in Stuttgart zeigen wird, steht eigentlich außer Frage. Die Gefahr lauert in der Dreifachbelastung. Während Kobel in Stuttgart als Aufsteiger mit relativ wenig Druck und dem klaren Saisonziel Klassenerhalt durchstartete, weht in Dortmund ein kräftiger Ansage-Wind. Der BVB will aus seinem Selbstverständnis heraus ganz oben mitspielen, möglichst den Pokal gewinnen und auch in der Champions League zeigen, dass der Club kein europäisches Leichtgewicht ist. Viel Druck für einen 23-Jährigen, der sich abgesehen von einer Europa-League-Partie mit Hoffenheim (2017 im letzten Gruppenspiel gegen Ludogorets) und den Jugendauswahlen der Schweiz, bislang international noch nicht beweisen konnte. Hinzu kommt: Trotz guter Leistungen leistete sich auch Kobel ab und an einen Fehlgriff. Während das in Stuttgart schnell unter ferner liefen abgehakt wurde, führt dies bei einem wichtigen BVB-Spiel möglicherweise schnell auf die Titelblätter des Boulevards.
"Etwas für den Kopf tun"
Auch Ex-Nationalkeeper Timo Hildebrand bringt leichte Bedenken an: „Ich bin da zwiegespalten. Einerseits ist es ein toller Schritt für ihn. Aber ich bin gespannt, ob er dem Druck beim BVB schon in diesem Alter standhalten kann“, sagte der Meister-Torwart von 2007. „Champions League und Meisterschaftsambitionen sind noch mal was ganz anderes für den Kopf.“
Apropos Kopf: Kobel – so ließ er es in Interviews verlauten – schalte diesen gerne durch Meditation und Lesen ab – am liebsten Biografien. „Etwas für den Kopf tun“, wie er es beschrieb.
Mit dieser Gelassenheit spielt es sich dann auch vor vielleicht bald wieder fast 80.000 Menschen im Dortmunder Stadion deutlich leichter.




