Verbandsboss hat wohl gelogen
Missbrauchsskandal um Nationalspieler erschüttert DFB-Gegner Island, Starstürmer wohl involviert
Das berühmte "Hu" ist längst einem Aufschrei der Empörung gewichen. Ein Missbrauchsskandal inklusive versuchter Vertuschung hat das Image der isländischen Fußball-Nationalmannschaft als weltweiter Sympathieträger des Landes brutal zerstört. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland am Mittwoch in Reykjavik (20.45 Uhr bei RTL und im Liveticker bei RTL.de) befindet sich der führungslose Verband KSI im Krisenmodus.
Ausgerechnet Kolbeinn Sigthorsson
Schließlich musste KSI-Präsident Gundi Bergsson vor wenigen Tagen nach den Anschuldigungen zweier Frauen gegen einen Nationalspieler wegen sexueller Übergriffe zurücktreten. Dem Schritt des Verbandschefs folgte kurz darauf der Vorstand, am vergangenen Mittwoch wurde dann noch die Geschäftsführerin beurlaubt. Das Ausmaß des Skandals ist immer noch unklar. Von mehreren sexualisierten Übergriffen durch Nationalspieler ist die Rede, das Land ist erschüttert.
Sicher ist, dass es sich bei dem derzeit namentlich Beschuldigten nicht um irgendeinen Nationalspieler handelt: Es geht um Islands EM-Helden und Rekordtorschützen Kolbeinn Sigthorsson. Der mittlerweile 31-Jährige hatte den Nordmännern mit seinem Siegtor beim sensationellen Erfolg im EM-Achtelfinale 2016 gegen England (2:1) den größten Triumph der Geschichte beschert. Die beiden Frauen beschuldigen Sigthorsson, sie 2017 sexuell genötigt und belästigt zu haben. Eine der beiden wirft zudem dem Verband vor, den Versuch unternommen zu haben, sie mit Geld zum Schweigen zu bringen.
In einer Mitteilung musste der Verband in der Zwischenzeit einräumen, sich nicht korrekt verhalten zu haben. Der Verband hat bei den Opfern um Entschuldigung gebeten, Sigthorsson wurde aus dem Kader gestrichen. Eines der mutmaßlichen Opfer hatte zuvor dem TV-Sender RUV gesagt, dass Sigthorsson ihr im September 2017 in einem Nachtklub in Reykjavik in den Schritt gefasst und sie am Nacken gepackt habe, bevor er und ein weiterer Mann sie angriffen. Beide Frauen erstatteten Anzeige.
Bergsson wird der Lüge überführt

Sigthorsson soll die Übergriffe zugegeben, sich entschuldigt sowie Schmerzensgeld gezahlt haben, so eine der beiden Frauen. Später soll ein Anwalt des Verbandes auf sie zugekommen sein, damit sie für ein Schweigegeld einer Verschwiegenheitsklausel zustimme. Bergsson musste nun seinen Hut nehmen, weil er der Lüge überführt wurde. Er hatte behauptet, der Verband habe keine "Beschwerde oder Ähnliches erhalten, wonach jemand Bestimmtes sich sexuellen Übergriffen schuldig gemacht" habe.
Sigthorsson meldete sich mittlerweile auch zu Wort. Er sei nicht der Meinung, jemanden belästigt oder Gewalt angewendet zu haben, aber sein Verhalten sei "nicht vorbildlich" gewesen. Er bestätigte die Entschädigungszahlung, die er nach einem Treffen mit den Frauen im Frühjahr 2018 geleistet habe und gab an, sein Verhalten zu bereuen.
Zum fraglichen Zeitpunkt habe er nach mehreren Verletzungen um seine Karriere gebangt und sei "in einem schlechten psychischen Zustand" gewesen, führte Sigthorsson aus. Nach der Entschädigungszahlung habe er den Fall für erledigt gehalten, zumal er zudem drei Millionen Kronen (20.000 Euro) an einen Verein gespendet habe, der sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzt.
Immer wieder Vorwürfe häuslicher oder sexualisierter Gewalt
Der Stein war durch die Gleichstellungsbeauftragte des isländischen Lehrerverbandes ins Rollen gebracht worden. Hanna Björg Vilhjalmsdottir hatte öffentlich gemacht, dass Nationalspieler immer wieder mit häuslicher oder sexualisierter Gewalt in Verbindung gebracht werden. Dennoch schütze der Verband die vermeintlichen Täter.
Sollte sich der Verdacht weiterer Fälle bestätigen, steht Islands Fußballs vor einem Scherbenhaufen. Dann ist das sportliche Tief der nicht für die zurückliegende EM-Endrunde qualifizierten Auswahl, die in der deutschen Quali-Gruppe mit nur vier Punkten auf dem vorletzten Platz liegt, noch das geringste Problem. (tno/sid)