Fall Mirco: Die ganze Soko hat geweint

Polizeipräsidium Mönchengladbach: Alle Augen sind auf Ingo Thiel gerichtet, als er den Raum betritt. Tosender Applaus von den Journalisten, die in Scharen zur Pressekonferenz gereist sind. "Was ist denn hier los?" Der Soko Mirco-Chef ist sichtlich nervös, man merkt: Das alles hier ist nicht sein Ding.
Dabei ist er am Ziel von monatelanger Sisyphusarbeit angekommen. Mircos Mörder sitzt hinter Gittern. Denn Ingo Thiel hat nie sein Ziel aus den Augen verloren, auch als viele an ihm und seiner Arbeit zu zweifeln begannen. "Wir kriegen ihn", war sein Mantra und das Versprechen an die Eltern des kleinen Mirco (10) aus Grefrath. Über Wochen hatte sein Team von zeitweise fast 80 Ermittlern nichts in der Hand, und trotzdem ließ Thiel sich nie von seiner Überzeugung abbringen. "Wir haben hoch gepokert und immer gesagt: Wir kriegen ihn! Heute darf ich Ihnen mitteilen: Wir haben ihn!"
"Alle haben geweint"
Sichtlich bewegt schildert er, wie Olaf H. sich Mirco als Stressventil suchte, sich offenbar an ihm verging und ihn dann kaltblütig ermordete. In den letzten fünf Monaten gab es für den Soko-Chef nichts anderes als den Fall Mirco. Seit der Junge am 3. September verschwand, haben er und sein Team unermüdlich nach ihm und seinem Entführer gesucht. "Wir sind Familienväter und -mütter, wir wollen Mircos Familie Gewissheit über das Schicksal ihres Jungen geben", schrieb Thiel den Grefrathern am 25. Tag der Suche. Und in den folgenden 120 Tagen versprach er immer wieder: "Wir kriegen ihn mit Ihrer Hilfe und unserer Arbeit!"
Den Journalisten verrät er später, dass das ganze Team geweint habe, als er es darüber informiert habe, dass Mircos Leiche gefunden wurde. "Außer zwei. Diese zwei waren aber nicht da.“ Dabei hat er Tränen in den Augen stehen.
Kaum ist die Pressekonferenz beendet, strömen die Fernsehteams auf Thiel zu. Vor lauter Mikros kann man ihn nur noch hinter der Pressemeute vermuten. Ein Interview nach dem anderen, ständig die gleichen Fragen- Thiel ist genervt, bleibt aber freundlich. Auch ich habe noch Fragen an ihn, doch an ein Herankommen ist nicht zu denken. Überall Mikros und Kameras.
Irgendwann höre ich Ingo Thiel fast flehen: "Können wir nicht draußen weitermachen? Ich muss dringend eine rauchen!" Eine Minute später stehe ich mit einem Ingo Thiel vor der Tür, von dem nun anscheinend eine riesige Last abgefallen ist. Die Pressekonferenz hat er hinter sich gebracht, die Journalisten ziehen sich langsam zurück.
"Uns klaut man kein Kind"

Genüsslich zieht er an seiner Zigarette. Er sagt, es sei ihm "scheißegal", wie viel Geld die Suchaktion gekostet hat. "Hauptsache, wir haben den Jungen gefunden und konnten das Versprechen an seine Familie halten." Sie alle würden als Team zu Mircos Beerdigung gehen.
Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann habe der Soko alle Mittel zur Verfügung gestellt und angeboten, im Notfall selbst bei der Suche mitzuhelfen. Das Land NRW hatte die klare Ansage gemacht: "Uns klaut man kein Kind". Ich erfahre von einer Mail, die ein wohlhabendes Ehepaar während der Ermittlungsarbeiten an die Soko Mirco schickte. Darin schrieb es, dass es sich oft über die hohen Steuern geärgert habe. Wenn es nun die Arbeit von der Soko sehe, sei sicher, dass es sich nie wieder über die Abgaben beschweren würde.
Was wird aus der Täterfamilie?
Was man nun mit der Familie des Täters mache, will ich wissen. Bekommt sie eine neue Identität? Könne man sie dem täglichen Spießrutenlaufen in dem kleinen Schwalmtal aussetzen? Thiel: "Mir war klar, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem die Täterfamilie für viele in den Fokus gerät. Für uns bleibt aber Mircos Familie absolute Priorität."
Sicher müsse man auch über das Schicksal von Familie H. nachdenken. In den nächsten Wochen würde sich entscheiden, ob sie in ihr altes Leben zurückkehre oder ein neues beginne.
Ingo Thiel hat seit Mircos Verschwinden keinen einzigen Tag zu Hause mit seiner Lebensgefährtin und den zwei Kindern verbracht, war ununterbrochen im Dienst. Immer hatte er gesagt, dass er seinen ersten freien Tag erst dann habe, wenn er Mirco gefunden habe. Was er an seinem ersten Urlaubstag machen werde, will ich von ihm wissen. "Ein Wildschwein schießen und heiraten." Und zum ersten Mal sehe ich Ingo Thiel lachen.