Studie der Universität Leipzig

Endlich Hilfe für Essgestörte? Gehirntraining halbiert Heißhunger-Attacken

Eine junge Frau nascht Fruchtgummi und andere Süßigkeiten, die sie in ihrer Hand hält. (Aufnahme vom 26.01.2005). Foto: MARJA AIRIO  +++(c) dpa - Report+++
Für viele Menschen mit Essstörungen sind Therapien die letzte Chance.
picture-alliance/ dpa/dpaweb, Lehtikuva Marja Airio
von Vivien Wenzel

Kennen Sie das? Man hatte einen stressigen Tag, alles lief schief und auf einmal hat man Lust, alles Ungesunde in sich hineinzustopfen. Und nach der Essattacke frisst einen das innere Schuldgefühl auf. Laut einer Pilotstudie der Leipziger Universität kann spezielles Gehirntraining dafür sorgen, dass Essanfälle um über die Hälfte reduziert werden. Also Abnehmen ganz ohne Sport oder das Gefühl von Verzicht? Klingt zu schön, um wahr zu sein, stimmt aber! Die Wunderwaffe, der das zu verdanken ist, ist das sogenannte EEG-Neurofeedback. Wir haben mit Studienleiterin Prof. Dr. Anja Hilbert darüber gesprochen.

Wenn die Esssucht das Leben bestimmt

Betroffene der Binge-Eating-Störung leiden an immer wiederkehrenden exzessiven Essanfällen, welche mit dem Gefühl des Kontrollverlustes und häufig Übergewicht einhergehen. In einer früheren Studie konnte herausgefunden werden, dass das zu veränderter Gehirnaktivität (EEG) führt. Die Binge-Eating-Störung ist die am weitesten verbreitete Essstörung, „knapp 2 bis 5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind davon betroffen“, so Studienleiterin Prof. Dr. Anja Hilbert. Eine Methode Binge-Eating zu behandeln, könnte also ein EEG-Neurofeedback sein. Letztlich soll das dazu führen, dass Betroffene die innere Kontrolle zurückerlangen und weniger impulsiv oder emotionsgetrieben handeln – ein häufiger Grund von Essanfällen.

Die Studie bestand aus 39 Probanden zwischen 18 und 60 Jahren, die zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Binnen sechs Wochen nahmen sie an zehn 30-minütigen Sitzungen teil. Voraussetzung der Teilnehmenden war es, dass sie mindestens einmal wöchentlich einen Essanfall erleiden und laut Body-Mass-Index übergewichtig sind.

Lese-Tipp: Wann liegt eine Essstörung vor?

Statt Sport und Diät hilft Gedächtnistraining

Der ersten Gruppe wurden Bilder von Lebensmitteln gezeigt, die oft Teil ihrer Essanfälle waren. Mithilfe angelegter Elektroden am Kopf konnte die genaue Hirnaktivität beobachtet werden. Die Aufgabe der Teilnehmenden bestand darin, von dem gezeigten Essen gelassener zu werden und das Gefühl des Verlangens zu reduzieren.

Eine Strategie wurde dafür nicht vorgegeben, stattdessen „entwickelten die Teilnehmenden eigene Strategien, wie z. B. Ablenkung durch vorwärts oder rückwärts zählen oder der Vorstellung, dass das gezeigte Lebensmittel eklig ist oder eigentlich gar nicht gegessen werden will“, so die Studienleiterin. In der zweiten Gruppe geschah das ohne Bilder.

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Essanfälle können halbiert werden

Drei Monate nach Ende der Behandlung fand eine Nachuntersuchung statt und das Ergebnis war verblüffend: „Beide Gruppen konnten ihre Essanfälle um bis zu 60 Prozent reduzieren und knapp 35 Prozent berichteten gar keine Essanfälle mehr zu haben“, erklärt Frau Prof. Dr. Hilbert. Des Weiteren nahmen auch essstörungstypische Symptome wie Sorgen um die Figur und das Gewicht oder der Heißhunger signifikant ab. „Auch nach drei Monaten war dieser Effekt noch stabil.“

Ob hier eine neue Behandlungsform von Essstörungen gefunden wurde, kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, laut der Studienleiterin könnte dies aber sicher „eine effektive Ergänzung zur klassischen Psychotherapie sein“ und auch bei anderen Essstörungs-Typen angewendet werden.

Verzicht ist der falsche Weg

Weitere und größere Studien sind bereits in Arbeit. Und solange das Neurofeedback-Training noch keine offizielle Behandlungsmethode bei Essgestörten ist, hat Dr. Hilbert einen Tipp zum Nachmachen: Statt „gefährliche“ Lebensmittel komplett zu vermeiden, sollten diese im Supermarkt gezielt angesteuert werden.

Doch anstatt, dass sie im Einkaufswagen landen, sollten sie für ca. 10 Minuten angeschaut werden. Das Gefühl, was dabei aufkommt, soll durch innere Selbstkontrolle und Aufmerksamkeitsumsteuerung verändert werden, sodass man irgendwann ganz ohne Probleme an der Chipstüte oder dem Schokoeis vorbeiläuft oder es nach ein paar Löffeln getrost wieder ins Gefrierfach gestellt werden kann.