EM-Rätsel aus den Niederlanden
Die mysteriösen „Taktik“-Flugzeuge senden Botschaften an die Elftal

Von Tobias Nordmann
Das mysteriöse „Taktik“-Flugzeug. Diese Geschichte ist gleichermaßen skurril wie lustig. Die niederländischen Fußballer bekommen bei der Europameisterschaft mysteriöse Anweisungen aus der Luft. Bondscoach Frank de Boer ignoriert diese bisher. Wie lange kann er sich das noch leisten?
Pandevs Abschied? Kein Thema!
Es ist eine große Geschichte dieses EM-Tags: Goran Pandev, der beste Fußballer, der wohl jemals für Nordmazedonien gespielt hat, wird seine internationale Karriere nach der Partie gegen die Niederlande beenden. Mit 37 Jahren hat er jedes Recht der Welt dazu. Womöglich schreibt er ja auch noch eine letzte Heldengeschichte. Womöglich verabschiedet er sich mit einem letzten Tor für sein Land, das bei der EM bereits ausgeschieden ist. Es wäre sein 38. im 121. Länderspiel. Wie man gegen die großen Nationalmannschaften trifft, das hat Pandev erst Ende März nachgewiesen, als er und seine Kollegen das DFB-Team in der WM-Qualifikation mit 2:1 besiegten. Eine Sensation. Keine Frage.
Der Abschied von Pandev ist in den Niederlanden kein Thema. Zumindest nicht für den neuen „Taktik“-Berater der Elftal. Es ist mittlerweile ja gute Tradition, dass die Nationalmannschaft beim Abschlusstraining klaren Ansagen aus der Luft bekommt. Per gezogenem Banner hinter einem kleinen Flugzeug. Was den Piloten vor dem Spiel gegen Nordmazedonien beschäftigt? Eine Nominierung von Top-Talent Donyell Malen für die Startelf. Der 22-Jährige hatte seinen Stammplatz an den Wolfsburger Wout Weghorst verloren, bereitete aber in der zweiten Partie gegen Österreich den zweiten Treffer vor, erzielt von Turnier-Entdeckung Denzel Dumfries.

Nun, ob es so kommt? Nicht sonderlich wahrscheinlich. Zwar kündigt Bondscoach Frank de Boer an, dass er Veränderungen in seiner Startformation vornehmen möchte, allerdings nur kleinere. Das Hauptargument gegen Malen von Beginn an: Bislang hat de Boer die Ansagen aus der Luft zwar wahrgenommen (angesichts der Lautstärke der Maschine wäre alles andere auch eine Überraschung), sich an ihnen erfreut, sie aber auch ignoriert.
Wobei man natürlich sagen muss, dass die Forderung nach Malen erst die zweite ist, die sich direkt an den Trainer richtet. Vor dem Duell gegen Österreich war die Ansage „Auf Wiener Schnitzel“ eher eine Provokation in Richtung des Gegners. Zumindest wurde es dort im Land so interpretiert. Man vermutete eine Zusammensetzung aus „Auf Wiedersehen“ und „Wiener Schnitzel“. Gut möglich, dass es so gemeint war. Gewonnen wurde das Spiel, verabschiedet haben sich die Österreicher aber noch nicht aus dem Turnier.
De Boer packt die "Heilige Kuh" an
Am brisantesten war indes ohnehin die erste Empfehlung des externen Taktik-Beraters. Er riet dem Trainer dringend dazu, doch bitte auf das legendäre 4-3-3-System zu setzen. Das System, das die Niederländer in den 70er-Jahren mit ihrem „Voetbal totaal“ zur Perfektion gebracht hatten, orchestriert von ihrem Offensiv-Giganten Johan Cruyff. Tatsächlich ist eine Abkehr von diesem System eine nationale Angelegenheit.
4-3-3, das ist die „heilige Kuh“ des Landes. De Boer hat bei der EM gewagt sie anzufassen. Er setzt auf ein 5-3-2-System. Was die Sturheit, pardon, was die Überzeugung angeht, tut sich eine erstaunliche Parallele zu Bundestrainer Joachim Löw auf. Auch der hatte die öffentliche Diskussion ignoriert und im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal auf jene Spieler gesetzt, die gegen Frankreich noch chancenlos waren. Und der Bundestrainer wurde belohnt. Auf die 0:1-Pleite zum Auftakt folgte ein bemerkenswertes 4:2 gegen den Titelverteidiger.
Auch de Boer wurde bislang für seine Sturheit belohnt. Die Spiele gegen die Ukraine (3:2) und Österreich (siehe oben, 2:0) wurden gewonnen. Die Niederlande sind zwei Spieltagen bereits sicher Gruppensieger. Nicht immer waren die Leistungen souverän, vor allem in der Defensive nicht, aber eben erfolgreich. Mal sehen was passiert, wenn der Mann aus der Luft recht behält und de Boer die Ansage aus der Luft auf fatale Weise ignoriert. Womöglich gar gegen Deutschland. Denn ein Achtelfinale zwischen den großen Rivalen ist ja möglich…