Trauma soll zur Stärke werden
Die Angst des Engländers vorm Elfmeter

Wenn ein englischer Fußballprofi weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Druck bleischwer auf den Schultern lastet und im Elfmeterschießen die Nerven versagen, dann ist es Gareth Southgate. Vor 25 Jahren sorgte sein Fehlschuss gegen den deutschen Nationalmannschaftstorwrt Andreas Köpke für ein jähes und fürchterliches Ende der Heim-Europameisterschaft.
"Wir üben Elfmeter in jedem Training"
Nicht erst seitdem haben sich Elfmeterschießen zu einem englischen Trauma entwickelt - doch Southgate, mittlerweile 50 Jahre alt und Teammanager der Three Lions, möchte dafür sorgen, dass das ein Ende hat. "Wir üben Elfmeter in jedem Training", sagte Routinier Jordan Henderson vor dem Achtelfinalduell mit dem alten Rivalen Deutschland (ab 18 Uhr im RTL-Liveticker) im Wembley-Stadion.
Southgate will, dass die Abläufe sitzen, die Spieler sollen ein Selbstverständnis entwickeln, damit sie im Ernstfall vorbereitet sind. "Es gibt einen Pfiff, wir gehen von der Mittellinie aus los zum Punkt", berichtete Henderson: "Natürlich darf ich nicht zu viel verraten. Aber wir können uns vor dem Schuss sammeln und konzentrieren."
Als explizite Vorbereitung auf das Spiel gegen Deutschland sei das nicht zu verstehen, betonte Henderson: "Wir machen das schon eine ganze Weile so und nicht erst seit diesem Turnier." Aber: Sicher ist sicher.
VIDEO: Schweizer gewinnen Elfmeter-Krimi gegen Frankreich
"Die Ergebnisse sprechen dafür, dass seine Arbeit fruchtet"

Beim DFB hört man diese Aussagen gerne. "Ich habe gelesen, dass die Engländer das bereits üben. Und ich freue mich, wenn dem tatsächlich so wäre, denn dann machen sie ihre mutmaßliche Schwäche überhaupt erst zu einem Thema", sagte DFB-Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann der „Frankfurter Rundschau“.
Die Ex-Nationalspieler Andreas Möller und Jürgen Klinsmann, der aktuell Experte der BBC ist, erwarten ein offenes Spiel, das womöglich erneut im Elfmeterschießen gipfelt. Klinsmann fehlte in jenem EM-Halbfinale 1996 verletzt, Möller traf den finalen Schuss. Den Fehlschuss von Southgate hat Klinsmann natürlich noch vor Augen. "Ich habe danach versucht, ihn zu trösten. Wir alle haben schon Elfmeter verschossen", berichtete er im Rückblick: "Man hat so sehr mit sich selbst zu tun und fühlt sich, als hätte man alle enttäuscht. Aber das ist natürlich nicht der Fall."
Dieses Gefühl kennt nun auch Frankreich-Superstar Kylian Mbappé. Er verschoss den entscheidenden Elfmeter im Achtelfinal-Krimi gegen die Schweiz – und glaubt, er habe „versagt“.
England kann es doch noch: Gewinnen im Elfmeterschießen
Auch bei der WM 1990 verloren die Engländer im Elfmeterschießen gegen Deutschland, erst bei der vergangenen WM in Russland triumphierten sie im Achtelfinale gegen Kolumbien bei der Entscheidung vom Punkt. Der Teammanager damals: Gareth Southgate.
"Die Ergebnisse sprechen dafür, dass seine Arbeit fruchtet", sagte Mittelfeldspieler Declan Rice: "Auch in der Nations League gegen die Schweiz haben wir im Elfmeterschießen gewonnen."
Engländer beschwören ihre Stärke
Der Profi von West Ham United war 1996 noch gar nicht geboren, seine erste prägende Erinnerung im ewigen Duell gegen Deutschland war Frank Lampards Treffer im WM-Achtelfinale 2010, der zur Verwunderung aller nicht gegeben wurde. "Natürlich kenne ich die Historie", sagte der 22-jährige Rice: "Aber wir sind selbstbewusst und haben unsere Stärken."
Und jede Serie ist ohnehin dafür da, sie zu durchbrechen. Deutschland hat seit dem EM-Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei (3:5 i.E.) alle sechs folgenden Elfmeterschießen bei großen Turnieren gewonnen. Darunter eben jene zwei gegen England. "Am Ende hat es auch immer mit Glück zu tun", sagte Klinsmann. Und damit mit einem Faktor, den man nicht beeinflussen kann. Auf alle anderen Eventualitäten will Southgate sein Team vorbereiten. (tno/ana/sid)