Dieter ist ein Aussteiger: "Ob 1.000 oder 6.000 Euro – am Ende ist eh alles weg"

Dieter, der Rikscha-Fahrer
Dieter fährt seit acht Jahren Rikscha in Köln.
Lukas Pöggeler

Von Lukas Pöggeler

"Mein Sohn ist wahrscheinlich zur Hälfte von mir fasziniert und zur Hälfte findet er meinen Lebensstil abstoßend", sagt Dieter, während er in der Sonne sitzt. Der 55-Jährige ist hauptberuflich Rikscha-Fahrer und stößt mit seiner Lebensweise nicht bei allen auf Zustimmung. Er ist ein Aussteiger.

Heute macht Dieter frei, verzichtet aber dennoch nicht auf die Pedale unter seinen Füßen. Braungebrannt steigt er von seinem Fahrrad. An der Kreuzblume vor dem Kölner Dom sitzt ein anderer Rikscha-Fahrer und wartet auf Kunden. Man kennt sich. Seit acht Jahren fährt Dieter in Köln. Verdient an manchen Tagen nur zwölf Euro. Aber das war nicht immer so.

Lebensqualität statt Luxus

Er verdiente mal gut. Bis zu 6.000 Mark im Monat. Jahrelang war er selbstständiger Taxifahrer. Zwei Jahre lang war Dieter Werbekaufmann bei einem großen Handelskonzern. Das sei ein Job fürs Leben, sagten Freunde zu ihm. Doch genau das wollte er nicht.

Dieters Kollege wartet noch immer auf Fahrgäste. "Als Rikscha-Fahrer ist es wichtig, dass man warten kann", sagt Dieter. Dafür müsse man die Ruhe weg haben. Zufrieden mit sich sein. "Ich fahre nicht für das Geld. Ich fahre wegen der Menschen, die man kennen lernt." Wer nur für Geld fahre, gehe nach einem Tag ohne Fahrt unzufrieden nach Hause. Dabei seien auch solch ruhige Tage schön.

Ruhig war sein Leben als Werbekaufmann nicht. Seinen Job kündigte er. Er wollte raus. Die Welt sehen. Über einen Freund zog es den Aussteiger nach Bordeaux. Französisch lernen und das Leben genießen. Natürlich kommt auch Dieter nicht ohne Geld aus, aber das Streben nach immer mehr versteht er nicht: "Ob 1.000 oder 6.000 Euro – am Ende ist eh alles weg", findet Dieter. Lebensqualität sei wichtiger – und darunter versteht er keine Luxusgegenstände, sondern eine gewisse Freiheit.

Sicherheiten braucht er nicht

"Ich brauche freie Tage einfach fürs Nichtstun", sagt der 55-Jährige. Tage, an denen er schwimmen gehen, Gedanken nachgehen kann. Etwa vier Tage die Woche fährt Dieter Rikscha. Mindestens einen Tag ist er bei seiner Mutter in der Eifel und kümmert sich um sie. Sie brauche mittlerweile Hilfe. Auch er wird irgendwann nicht mehr als Purist seinem Job nachgehen können. "Aber mit einem Hilfsmotor sollte es noch viele Jahre gehen", meint er.

Wenn er dann doch nicht mehr fahren kann und auf Hartz 4 oder Rente angewiesen ist, wird er neue Wege gehen müssen. "Das bisschen, was ich dann kriege, wird wohl kaum reichen", sagt der 55-Jährige. Sicherheiten hat er keine. Brauche er aber auch nicht. "Nichts ist sicher im Leben. Wenn einem das klar ist, braucht man auch keine Sicherheiten. Das Leben zu planen ist meiner Meinung nach Nonsens."

"Ich will beim Heimgehen nicht froh sein, dass der Tag vorbei ist, sondern dass er schön war"

Momentan lebt er mit zwei Frauen und einem Mann in einer 'Rikscha-Wohngemeinschaft'. Eine Alters-WG mit Freunden wäre nach seiner Rikscha-Zeit eine Möglichkeit. Vielleicht in Asien. Gebrechlich und in Altersarmut seine letzten Jahre verbringen, das will er auf keinen Fall. "Wenn ich dann merke, dass die Lebensqualität nicht mehr da ist, sage ich vielleicht: Gut, dann war es das", sagt Dieter. Er sei nicht suizidal, er denke nur außerhalb der Norm alle Möglichkeiten durch. Der Tod sei eine davon.

An der Kreuzblume macht sich der Rikscha-Fahrer auf den Weg – ohne Gäste. Ob er die Wartezeit auch als schöne Zeit empfunden hat? Dieter ist ein Querdenker, ein Lebenskünstler. Das kommt nicht bei jedem gut an. Sein Sohn macht in zwei Jahren Abitur und will vielleicht Jura oder VWL studieren. "Wahrscheinlich hat ihn mein Lebensstil abgeschreckt", sagt der 55-Jährige. Doch er findet das okay, solange sein Sohn zufrieden ist. "Ich will beim Heimgehen nicht froh sein, dass der Tag vorbei ist, sondern dass er schön war", sagt Dieter, bevor er sich wieder auf den Sattel schwingt. Morgen wird er wieder Rikscha fahren. Wahrscheinlich wird er länger warten als fahren – doch er wird danach zufrieden nach Hause radeln.