Ein Kommentar
Die bösen AfD-Wähler - oder wie ein Ostbeauftragter den Griff an die eigene Nase vergisst

von Holger Schrapel
Im 31. Jahr der Einheit beklagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, sein Unverständnis für die AfD-Wähler und eine ‘vertiefte Grundskepsis’ gegenüber der Politik.
Woran das wohl liegen könnte? An der DDR-Sozialisierung, so der gebürtige Chemnitzer. Ein Blick in die Taten zum Beispiel seiner sächsischen Landesregierung in den vergangenen 30 Jahren könnte seinen Blickwinkel etwas erweitern, findet unser Autor.
Jahrelanger Sparkurs stößt Menschen vor den Kopf
Ich bin in Sachsen aufgewachsen, war jahrelang Lokaljournalist im ländlichen Raum. Ich berichtete über geschlossene Polizeidienststellen, Kommunen am Rande des finanziellen Kollaps und ähnliches. All dies geschah auf Wunsch der sächsischen Regierung auf der Jagd nach der schwarzen Null im Landeshaushalt.
Ein sehr prägnantes Beispiel: Es stritten sich in den Nullerjahren die Gemeinderäte benachbarter Dörfer. Beide wollten unbedingt ihre jeweilige Oberschule – einen wesentlichen Mittelpunkt im sozialen Leben einer Kommune – trotz sinkender Schülerzahlen behalten. Das Dresdner Bildungsministerium löste den Konflikt ohne Rücksprache mit den Beteiligten. Und schloss beide Schulen. Seit über einem Jahrzehnt fahren Elfjährige erstmal eine Stunde Bus in die ehemalige Kreisstadt, bevor sie sich ins Klassenzimmer setzen.
So etwas bleibt hängen, zum Beispiel auch bei den Kindern, die jetzt Wähler sind.
Jahrzehnte lange Ignoranz gegen Rechtsextremismus
Als Teenie in den Neunzigern erlebte ich die ‘Baseballschlägerjahre’. ‘National befreite Zonen’ gab es zuhauf, jahrelang faktisch rechtsfreie Räume voller rechtsradikaler Schläger. Es traf dabei mitnichten nur Linke, Punks, Ausländer, ausländisch aussehende Menschen. So viele gab es nicht in der Provinz. Ein T-Shirt von ‘Die Ärzte’ reichte, um den kahlrasierten Jungs einen Anlass für eine Jagd durch den Ort zu geben.
Die Reaktion des Rechtsstaates? Ein Schulterzucken, maximal. „Wir Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“ analysierte CDU-Ministerpräsident Biedenkopf. Welche Partei diese früheren haarlosen heutigen Familienväter wohl wählen, Herr Wanderwitz? Oder Leute, die in rechten Hegemonieräumen aufwuchsen?
Falsche Versprechen

Die erste Erfahrung der Ostdeutschen mit der Demokratie? Blühende Landschaften! Wurden versprochen, wider besseres Wissen, recht nah an der glatten Lüge, meiner Einschätzung nach. Unweit meines Heimatortes kündigte Anfang der Neunziger ein westdeutscher Milchkonzern mit großer Geste umfangreiche Investitionen in eine Molkerei an. Kassierte Zuschüsse. Und machte danach den Standort platt, schickte hunderte Menschen in jahrelange Arbeitslosigkeit.
Die Reaktion der sächsischen CDU-Regierung: Es ist keine überliefert. Eine Geschichte, die es in Ostdeutschland tausendfach gab. Wie sagt der Volksmund: Der erste Eindruck zählt. Vertrauen aufbauen sieht anders aus.
Die Schuld der Anderen
Sind das rationale Gründe, eine rassistische Partei zu wählen? Deren führende Köpfe man gerichtsfest als Nazis bezeichnen darf? Deren Antwort auf jede Frage ‘irgendwas mit Ausländern’ ist? Nein. Ganz sicher, nein.
Trotz der tollen Leistungen beim Aufbau Ost: Die Lücke der Resignierten und Politikverdrossenen, in die die AfD in Ostdeutschland stieß, hat die CDU geöffnet. Die Partei des Marco Wanderwitz. Klar, es ist einfacher, alles auf die SED-Diktatur zu schieben, weil: Das waren ja die anderen! Die Zeit danach kann man aber bei so einer ‘Analyse’ nicht einfach beiseite lassen.