Forsa-Umfrage

Deutschland und Homophobie: 17 Prozent fänden queeren Bundeskanzler "störend"

A man waves a rainbow flag in the Stonewall Pride Parade, Saturday, June 18, 2022, during Pride Month in Wilton Manors, Fla. The annual parade celebrates the historic Stonewall riots and the start of the LGBTQ human rights movement. (AP Photo/Lynne Sladky)
Der Juni ist "Pride Month" und somit der Monat, indem auf der ganzen Welt Menschen für sexuelle Vielfalt auf die Straße gehen. Auch in Deutschland sind viele Regenbogenfahnen zu sehen. Doch wie tolerant oder homophon ist die Gesamtbevölkerung wirklich? Die aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa hat dies nun erforscht
LS, AP, Lynne Sladky

Neue Forsa-Umfrage zur Homophobie in Deutschland: 40 Prozent der Deutschen würde gelassen reagieren, wenn ihr Kind transgender wäre.

In diesen Wochen ziehen in vielen Städten in Deutschland wieder Tausende Menschen durch die Straßen, demonstrieren auf Pride-Paraden und Festen unter der Regenbogenfahne für Gleichstellung, Vielfalt und Akzeptanz. Oft bleibt es nicht beim Protest: An vielen Orten verwandeln sich die Demo-Züge in bunte Straßenfeste, auf denen hetero- und nicht-heterosexuelle Besucherinnen und Besucher gemeinsam feiern und so für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans-Menschen aufmerksam machen. Parolen garniert mit viel Glitzer und lauten Bässen.

Aber inwiefern entsprechen diese Bilder der deutschen Seele? Wie tolerant oder homophob ist die Gesamtbevölkerung wirklich? Wie ablehnend reagiert sie, wenn sich ihr eigenes Kind, ein Sportler oder der Bundeskanzler als homosexuell outen würde?

Eine neue Umfrage des RTL/ntv-Trendbarometers hat dies nun erforscht. Dafür haben Interviewer des Meinungsforschungsinstituts Forsa zwischen dem 13. Und 15. Juni 2022 insgesamt 1010 Erwachsene in Deutschland befragt. Die Umfrage gilt als repräsentativ (bei einer statistischen Fehlertoleranz von +/- drei Prozentpunkten).

Homophobie-Umfrage: Was wenn der Bundeskanzler schwul oder die Kita-Erzieherin lesbisch wäre?

Bei der ersten von insgesamt sechs Fragen wurden die Befragten gebeten, anzugeben, in welchem Kontext sie sich daran stören würden, wenn eine Person homosexuell wäre. Immerhin 17 Prozent würden sich sehr (8 Prozent) oder etwas (9 Prozent) daran stören, wenn ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin öffentlich erklären würde, homosexuell zu sein.

Wenn sie ein kleines Kind hätten und erfahren würden, dass der Kita-Erzieher ihres Kindes homosexuell ist, würde das 16 Prozent sehr (6 Prozent) oder etwas (10 Prozent) stören.

Bei ihrem Chef beziehungsweise ihrer Chefin würden sich daran 9 Prozent sehr (4 Prozent) oder etwas (5 Prozent) stören. Wenn neben ihnen ein homosexuelles Paar einziehen würde, fänden das 7 Prozent sehr (2 Prozent) oder etwas (5 Prozent) störend. Ebenso viele würde es sehr (3 Prozent) oder etwas (4 Prozent) stören, wenn ein Sportler, den sie sehr schätzen, öffentlich erklärt, dass er homosexuell ist.

Aktuell bekennen sich nur wenige männliche Profisportler öffentlich zu einer nichtheterosexuellen Identität, in der ersten und zweiten Fußballbundesliga gar niemand, obwohl sich laut einer repräsentativen Befragung von Yougoov aus dem Jahr 2021 sieben Prozent der deutschen Bevölkerung als homo-, bisexuell oder transgender identifizieren.

Laut aktueller Forsa-Studie für RTL/ntv überwiegt bezüglich aller vorgestellten Szenarien deutlich der Anteil derer, die sich daran gar nicht stören würden. Ostdeutsche äußern tendenziell etwas häufiger als Westdeutsche und Befragte ab 60 Jahren öfter als Jüngere, dass sie die beschriebenen Situationen stören würden. Und Männer stören sich an den genannten Situationen in fast allen Kategorien tendenziell häufiger als Frauen.

Interessant ist der Blick auf die Parteianhängerschaft jener Befragten, die etwas gegen das Coming-out eines Bundeskanzlers, eines prominenten Sportlers oder des Erziehers in der Kita haben. Von den Parteianhängern fänden die beschriebenen Szenarien am ehesten die Anhänger der Union und der AfD störend. Fast jeder Dritte Unions- und jeder vierte AfD-Anhänger würde zum Beispiel ein homosexueller Bundeskanzler stören.

Was wenn das eigene Kind sein Coming-out hat?

Danach wurden den Befragten ein anderes Szenario geschildert: "Angenommen, Sie hätten ein Kind von etwa 20 Jahren und ihr Kind würde Ihnen sagen, dass es homosexuell ist." Fast zwei Drittel der Befragten würde laut eigener Aussage gelassen reagieren, weil die sexuelle Orientierung ihres Kindes für sie keine Rolle spielt.

56 Prozent würden ihr Kind unterstützen, entsprechend seiner sexuellen Orientierung zu leben.

Allerdings würde sich 16 Prozent Sorgen um ihr Kind machen.

Nur sehr wenige hätten das Gefühl, bei der Erziehung etwas falsch gemacht zu haben (5 Prozent), würden ihrem Kind raten, seine Homosexualität geheim zu halten (2 Prozent) oder würden sich für ihr Kind schämen (1 Prozent).

Auch hier gibt es ein leichtes Ost-West-Gefälle: Westdeutsche geben häufiger als Ostdeutsche und Frauen öfter als Männer an, dass sie gelassen reagieren würden, weil die sexuelle Orientierung ihres Kindes für sie keine Rolle spielt sowie ihr Kind unterstützen würden, entsprechend seiner sexuellen Orientierung zu leben. Umgekehrt meinen Ostdeutsche etwas häufiger als Westdeutsche, dass sie sich Sorgen um ihr Kind machen würden, wenn es homosexuell wäre (siehe Grafik).

Je jünger die Befragten sind, umso häufiger geben sie an, dass sie gelassen reagieren würden, weil die sexuelle Orientierung ihres Kindes für sie keine Rolle spielt sowie ihr Kind unterstützen würden, entsprechend seiner sexuellen Orientierung zu leben.

Die Anhänger der Union und der AfD geben seltener als die Anhänger der übrigen Parteien an, dass sie gelassen reagieren würden. Von den Anhängern der AfD gibt zudem nur eine Minderheit an, dass sie ihr Kind unterstützen würden, entsprechend seiner sexuellen Orientierung zu leben.

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Was wenn das eigene Kind transgender ist?

Wenn das eigene Kind transgender wäre, würden die Befragten etwas seltener gelassen reagieren als bei dem Szenario, in dem sich das eigene Kind als schwul, lesbisch oder bisexuell outen würde (40 Prozent gegenüber 64 Prozent). Und die Sorgen ums Kind sind offenbar größer (33 Prozent gegenüber 16 Prozent) als im Falle einer homosexuellen Orientierung des Kindes.

Nur eine knappe Mehrheit (51 Prozent) der Befragten gibt an, dass sie ihr Kind unterstützen würden, offen mit seiner Transsexualität umzugehen. Immerhin jeder Zwölfte hätte das Gefühl, bei der Erziehung etwas falsch gemacht zu haben, wenn das Kind transgender wäre, 3 Prozent würden sich für ihr Kind schämen und 2 Prozent würden ihm raten, es geheim zu halten.

Wiederum geben Westdeutsche häufiger als Ostdeutsche und Frauen öfter als Männer an, dass sie ihr Kind unterstützen würden, offen mit seiner Transsexualität umzugehen. Männer meinen wesentlich häufiger als Frauen, dass sie das Gefühl hätten, bei der Erziehung etwas falsch gemacht zu haben (12 Prozent versus 3 Prozent).

Befragte ohne Kinder geben häufiger als Eltern an, dass sie gelassen reagieren und ihr Kind unterstützen würden, offen mit seiner Transsexualität umzugehen.

Je jünger die Befragten sind, umso häufiger geben sie an, dass sie gelassen auf die Transsexualität ihres Kindes reagieren würden sowie ihr Kind unterstützen würden, entsprechend seiner sexuellen Orientierung zu leben.

Deutliche Unterschiede zeigen sich auch in Abhängigkeit von der Parteipräferenz der Befragten. Unter den Anhängern von FDP und AfD würde nur eine Minderheit das eigene Kind unterstützen, offen mit seiner Transsexualität umzugehen (35 bzw. 20 Prozent). Am größten fällt die Unterstützung bei Anghängern von Grünen (72 Prozent) und SPD (62 Prozent) aus.

Klare Mehrheit für Regenbogenunterricht in der Schule

Laut der Forsa-Umfrage findet es eine Mehrheit von 64 Prozent der Befragten gut, wenn in der Grundschule sexuelle Vielfalt gelehrt wird, die Kinder also über die verschiedenen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten aufgeklärt werden. 29 Prozent finden das nicht gut. Insbesondere die Westdeutschen, die Frauen, die unter 30-Jährigen sowie die Anhänger der SPD und der Grünen sprechen sich dafür aus, dass sexuelle Vielfalt bereits in der Grundschule auf dem Lehrplan stehen sollte. Mehrheitlich dagegen sind ausschließlich die Anhänger der AfD.

Sollen EU-Länder Homosexuellengesetze erlassen dürfen?

In den EU-Mitgliedsstaaten Ungarn und Polen sind in den vergangenen Jahren Gesetze in Kraft getreten, die homosexuelle Menschen benachteiligen und diskriminieren. Drei Viertel (74 Prozent) aller Befragten finden es gut, dass die Europäische Union gegen solche Gesetze vorgeht, die homosexuelle Menschen benachteiligen und diskriminieren. 22 Prozent sind hingegen der Ansicht, dass der Umgang mit Homosexualität den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen bleiben sollte.

Eine WM im homophoben Katar

Die kommende Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht wegen verschiedener Punkte in der Kritik. Neben Korruptionsvorwürfen, den klimatischen Bedingungen und der Situation der ausländischen Bauarbeiter wird auch die Diskriminierung von Homosexuellen in dem arabischen Land beanstandet. In Katar werden homosexuelle Paare strafrechtlich verfolgt. Lediglich 10 Prozent der mehr als tausend Befragten finden es richtig, dass die anstehende Fußball-WM trotz der Diskriminierung homosexueller Menschen in Katar stattfindet. Eine Mehrheit von 81 Prozent hält es für nicht richtig, dass die WM dort ausgetragen wird.

Die Daten wurden vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von RTL Deutschland vom 13. Juni bis zum 15. Juni 2022 erhoben. Datenbasis: 1.010 Befragte. Statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte.

Dieser Artikel erschien zuerst bei stern.de