Thriller im Check
"Der böse Hirte" von Jeffrey Deaver: Der Preis der einfachen Wahrheit

Je komplexer die Situation, umso größer das Bedürfnis nach Klarheit. Je mehr Fragen sich stellen, umso stärker der Wunsch nach einer einfachen, schnellen Antwort. Je einfacher und schneller die Antwort, umso besser. Je mehr Fragen sich einfach beantworten, umso leichter fällt es, eventuelle Widersprüche auszublenden. Und je mehr „je-umso-Sätze“ der Autor hier aneinanderreiht, umso klarer wird, dass es mit den einfachen Antworten und der einfachen Wahrheit gar nicht so einfach ist – wenn es sie denn überhaupt gibt. Mit diesem Problem konfrontiert Jeffrey Deaver seinen Helden in dem Thriller „Der böse Hirte“, dem zweiten Band der Colter-Shaw-Reihe.
Undercover in der Sekte
Colter Shaw verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Aufspüren vermisster Personen. Manchmal allerdings läuft eine Fahndung aus dem Ruder, so wie in diesem Fall. Er soll zwei flüchtige Jugendliche ausfindig machen, denen ein Hass-Verbrechen vorgeworfen wird. Auf die Fallen, die ihm sein ewiger und skrupelloser Konkurrent Dalton Crow stellt, ist Shaw vorbereitet, nicht aber auf das, was passiert, als er die beiden Jugendlichen aufspürt: Einer der beiden begeht vor seinen Augen Selbstmord. Wie konnte es dazu kommen? Bei Shaws Nachforschungen stellt sich heraus, dass beide einen geliebten Menschen verloren haben und sich einer Organisation anschließen, die Hilfe zur Selbsthilfe anbietet. Bald stellt sich heraus, dass es sich um eine Sekte handelt, deren Ziele ganz andere sind. Shaw tritt der Gruppe unter einer beinahe etwas zu perfekten Tarnidentität bei. Doch einige Ereignisse erfordern sein unmittelbares Eingreifen und schon bald droht er aufzufliegen.
Spannende Unterhaltung mit gesellschaftlich relevanten Fragen
Jeffrey Deaver ist immer mehr als nur der Kampf des Helden um die Lösung des Falles. Akribisch widmet er sich dem zu bekämpfenden Übel und stellt dar, wie es die Beteiligten und ihre Handlungen beeinflusst. So werden – abgeschnitten von der Außenwelt und völlig auf sich allein gestellt – nicht nur die Ermittlungen zur Herausforderung, sondern auch der „Prozess“, den Shaw als sogenannter Novize in der Gruppe durchlaufen muss. Tarnidentität hin oder her, im Innern ist Shaw immer noch er selbst und tatsächlich jemand, der zwei geliebte Menschen verloren hat. Sein Bruder ist seit Jahre verschollen, und noch immer versucht er hinter das Geheimnis um den Tod seines Vaters zu kommen. Eine zutiefst verwundbare Stelle in ihm ist empfänglich für das, was Sektenführer Meister Eli seinen Anhängern verspricht. Damit gelingt es Deaver, aufzuzeigen, was Sekten so attraktiv und gefährlich macht – egal ob die führenden Personen in gutem Glauben handeln oder von vornherein von Profitgier getrieben werden. Sie verkünden eine einfache Wahrheit, versprechen eine einfache Lösung und bedienen eine Ursehnsucht. Eli verspricht: „Aus dem Gestern wird ein besseres Heute, aus dem Heute ein perfektes Morgen“ – wer möchte das nicht? In unserer heutigen komplexen von diversen Krisen und ihren Folgen geprägten Zeit ist die Sehnsucht nach einfachen Antworten größer denn je – aber was ist am Ende der Preis? Mit „Der Böse Hirte“ kombiniert Deaver einmal mehr spannende Unterhaltung mit gesellschaftlich relevanten Fragen. Unbedingt lesen!
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