Kommentar zum königsblauen AbstiegMan muss große Angst um Schalke haben!

Timo Becker und Malick Thiaw von Schalke 04
Die Eigengewächse Timo Becker (l.) und Malick Thiaw hatten ihren Anteil am Abstieg, gehören aber zu den Hoffnungsträgern für die Zukunft.
Tim Rehbein, Imago Sportfotodienst

Seit Dienstagabend um 22.22 Uhr ist es amtlich: Der FC Schalke 04 ist der erste Bundesliga-Absteiger der Saison. Das Ergebnis einer Spielzeit, die geprägt war von Negativ-Schlagzeilen, die der Club schrieb, steht fest. Es ist jedoch nicht nur ein Jahr zum Vergessen gewesen, sondern der Abstieg ist das Resultat von jahrelangen Fehlgriffen und -tritten. Die Bundesliga verliert einen ihrer interessantesten Vereine – bei dem man sogar befürchten muss, dass er ähnlich abstürzt wie andere Traditionsclubs.

20 Jahre zwischen Tränen und Tränen

Es ist fast genau 20 Jahre her, da war das Spielfeld im Gelsenkirchener Parkstadion überflutet von in blau-weiß gekleideten Menschen, die trauerten. Zehntausende Schalker weinten, nachdem Patrick Andersson am 19. Mai 2001 in der Nachspielzeit das 2:1 für den FC Bayern München beim Hamburger SV erzielte und somit die Meisterschale aus der S04-Hand schoss. Den Knappen blieb nur der Titel „Meister der Herzen“ – aber vor allem blieb eine riesige Sehnsucht nach der echten Trophäe.

Es folgten Jahre, in denen Schalke eine Spitzenmannschaft blieb, aber finanziell auch in die Vollen ging, um irgendwann Meister zu werden. Raúl, Kevin-Prince Boateng, Klaas-Jan Huntelaar – Schalke begeisterte sportlich, das Konto aber ging immer mehr in die roten Zahlen. Die Mannschaft war stets eine der teuersten in der Bundesliga. Der Erfolg blieb dann irgendwann aus, aber der Club rannte dem großen Ziel weiter hinterher – und der Absturz nahm seinen Lauf.

Wer hat Schuld am Absturz?

Nun, 20 Jahre nach dem Fast-Meister-Drama, ist Schalke „Absteiger der Schmerzen“, wie die“Bild“ titelt. Es war nicht diese – zugegeben unglaublich schreckliche, mit unrühmlichen Vorgängen, bei denen vier Trainerwechsel nur die Spitze des Eisberges sind, vollgepackte – Saison, die Königsblau diesen krachenden Abstieg in die zweite Liga bescherte. Es war ein stetiger Absturz über Jahre, der jetzt einfach seinen logischen Tiefpunkt erlebt hat. Und wieder weint Schalke – nur aufgrund der Corona-Pandemie vor allem in den eigenen vier Wänden.

Auf Schalke wird viel darüber diskutiert, wer nun DER Totengräber des Vereins ist. Die Kandidaten: Clemens Tönnies, der den stolzen Club, der mittlerweile über 160.000 Mitglieder hat, auf einem falschen Weg hielt, ständig für Unruhen sorgte, zu Erfolg verpflichtete, aber auch immer wieder der finanzielle letzte Strohhalm war. Christian Heidel, der als Nachfolger von Horst Heldt eine Vielzahl an teuren Fehlentscheidungen auf dem Transfermarkt getroffen hat, unter denen sein Nachfolger Jochen Schneider, der mittlerweile von Peter Knäbel abgelöst wurde, zu leiden hatten, weil ein Dauer-Sparprogramm von Nöten war, um die Kosten zu senken. Schneider wird ebenfalls als Schuldiger genannt, weil auch er sehr oft daneben lag, das lange Festhalten an David Wagner als Trainer wird ihm permanent vorgeworfen, bei den Spielertransfers ist laute Kritik ebenfalls angebracht.

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Realitätsfremde Selbstwahrnehmung

Fakt ist aber: Der Absturz ist eine kollektive Fehlleistung! Das Ergebnis von internen Machtkämpfen, dilettantischen Fehleinschätzungen, unglaublicher Misswirtschaft (heute 213 Millionen Euro Schulden) – man könnte die Negativ-Liste weiter fortführen.

Bis zuletzt hat Schalke nicht begriffen, dass es schon lange nicht mehr zur Crème de la Crème im deutschen Fußball gehört. Das ist überall bekannt, aber in Gelsenkirchen noch nicht angekommen. Ein Beleg dafür? Der Club dachte allen ernstes, bei der Suche nach einem Sportvorstand vor wenigen Monaten weiterhin ins oberste Regal greifen zu können. Ralf Rangnick und Markus Krösche von RB Leipzig waren die favorisierten Kandidaten – am Ende wurde es die interne Lösung Knäbel. Weil man sich mittlerweile ganz genau überlegt, ob man sich Schalke wirklich antut.

Nur Tedesco überstand Schalke zuletzt relativ unbeschadet

Weil Schalke mittlerweile auch zum Karriere-Killer geworden ist. Schauen wir uns die Ex-Trainer an. Roberto di Matteo (Oktober 2014 bis Juni 2015), Andre Breitenreiter (Juli 2015 bis Juni 2016) und Markus Weinzierl (Juli 2016 bis Juni 2017) kamen als Shootingstars auf dem Trainermarkt, seit ihrer Schalke-Zeit bekamen sie aber kaum noch einen Fuß auf den Boden, sind heute ohne Verein. Auch die Karriere von David Wagner hat nun den Schalke-Schaden. Der einzige, dessen Ruf die Knappen-Zeit recht unbeschadet hat, ist Domenico Tedesco.

Der heutige Coach von Spartak Moskau (nur bis Saisonende) wurde mit S04 in der Saison 2017/18 Vizemeister, stürzte dann aber in der folgenden Spielzeit gnadenlos ab. Auch, weil die Champions-League-Kohle wieder unbedarft auf den Kopf gehauen wurde. Tedesco war ein Opfer der Fehlleistungen des Clubs und musste schließlich genauso gehen, wie so viele andere Trainer in diesem Jahrtausend. Nachdem Huub Stevens, Schalkes Trainer des vergangenen Jahrhunderts, den Club 2002 verließ, gab es bis heute unglaubliche 25 Trainerwechsel.

Gibt es den nächsten Trainertausch?

Es ist noch offen, ob in den nächsten Wochen Nummer 26 folgt. Dimitrios Grammozis sitzt auf einem Schleudersitz und es ist nicht auszuschließen, dass er bald wieder auslöst. Denn unter ihm tritt Schalke genauso seelenlos auf wie zuvor. In sieben Spielen unter ihm holte der Absteiger vier Punkte und schoss noch mickrigere zwei Tore. Die Zweifel sind jetzt schon da, ob Grammozis der richtige Mann ist, um Schalke wieder zurück in die Bundesliga zu führen.

Der Club muss ein letztes Mal zurückblicken und analysieren, wer die richtigen Personen sind, um den Absturz zu stoppen und den Turnaround zu schaffen. Noch einmal aufräumen, vor allem im Spielerkader, mal endlich richtige Entscheidungen treffen und dann bei Null in der zweiten Liga anfangen – ohne eine ausgesprochene Aufstiegspflicht!

Denn Stand jetzt kann keiner ernsthaft fordern, dass Schalke die sofortige Rückkehr in die Bundesliga schafft. Denn auch in der zweiten Liga wäre diese Mannschaft in diesem Zustand heillos überfordert. Dort geht es um Kampf und Mentalität, berühmte Schalker Tugenden, die aber seit Jahren nicht mehr gelebt werden. Sehen Sie sich nur mal das Gegentor in Bielefeld an – Spieler wie Omar Mascarell drehen da lieber noch eine schicke Pirouette anstatt die Situation schnörkellos zu lösen. Die Folge: Ball weg, Schuss, Tor, Abstieg!

Ein Dilemma für die Fans

Schalke hat sich den Abstieg mehr als verdient. Der Gang in die zweite Liga war von langer Hand vorbereitet. Für die Bundesliga ist das ein riesiger Verlust, gerade für die 160.000 Mitglieder, die in dieser Saison wegen der Corona-Pandemie wehrlos aus der Ferne zusehen mussten, eine Tragödie. Diese Menschen (die Gewalttäter, die die Spieler in der Nacht auf Mittwoch attackiert haben, ausgenommen) werden Schalke weiter mit allen Kräften unterstützen und hinter dem Club stehen. Sie werden alles geben, damit der Club möglichst bald wieder Teil der Bundesliga sein wird.

Jetzt muss aber der Verein auch mal wieder mitspielen. Eine Führung etablieren ohne Machtkämpfe. Im Kader aussortieren und Spieler holen, die Bock auf Schalke haben. Vernünftig wirtschaften. Nicht in der Vergangenheit leben und nach ihr streben. Vernünftig sein – auch wenn das noch nie Schalkes große Stärke war.

Schalke hat diesen Dämpfer nicht nur verdient, sondern auch gebraucht. Tiefer als in dieser Saison kann man kaum fallen. Es wird spannend, ob es Schalke wirklich gelingt, nun wieder aufzustehen, die Wahrscheinlichkeit eines sofortigen Wiederaufstiegs dürfte aber nicht allzu hoch sein. Es wäre wünschenswert, aber aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre und der ständigen Neuanfänge, die es nur noch schlimmer gemacht haben, muss man große Angst haben, dass Schalke einen ähnlichen Weg gehen wird wie die Absturz-Traditionsvereine wie der 1. FC Kaiserslautern, 1860 München oder KFC Uerdingen.