"Es gibt kein Happy End bei Alzheimer"
Bevor sie alles vergisst: Sohn reist mit dementer Mutter (62) um die Welt

Die Autorin Claudia Schreiber bekommt mit Anfang 60 die Diagnose Alzheimer. Gemeinsam mit ihrem Sohn Lukas will sie eine letzte Reise unternehmen. Die beiden fliegen nach Aitutaki, in den Südpazifik – wohlwissend, dass sie diese Reise vergessen wird. Hier erzählt Lukas, wie die Krankheit nicht nur seine Mutter, sondern auch ihn als Sohn verändert hat.
Diagnose Alzheimer: Ein letzter großer Wunsch
„Meine Mutter ist die intelligenteste Frau, die ich kenne“, sagt Lukas Schreiber über seine Mutter Claudia Schreiber. Die Autorin und Journalistin ist an Alzheimer erkrankt. Ihr größter beruflicher Erfolg ist der Roman „Emmas Glück“, der 2006 mit Jürgen Vogel verfilmt wurde. Sie hat diverse Bücher geschrieben und dafür viele Auszeichnungen bekommen. „Dass ihr dieser Verstand genommen wird, ist das Schlimmste, was ihr passieren konnte“, erzählt Lukas.
Vor zwei Jahren beginnt die Geschichte, über die Lukas jetzt mit seiner Mutter in einem emotionalen und intimen Podcast spricht. Es hat ein Jahr gedauert, bis die finale Diagnose Alzheimer kam. Nach einem Anfall lag Claudia lange im Krankenhaus, wurde von diversen Ärzten untersucht. Alzheimer ist eine Ausschlussdiagnose, erklärt Lukas.
Im Moment dieser Diagnose hat Claudia Schreiber einen Wunsch, den sie sich noch erfüllen möchte: Sie will nach Aitutaki reisen. Das kleine Eiland gehört zu den Cookinseln im Südpazifik. Es gibt keinen Ort auf der Erde, der weiter von Deutschland entfernt ist. Die Insel begleitet sie seit über 30 Jahren, als sie in einer kleinen Meldung davon hörte. Also brechen Mutter und Sohn genau dahin auf: Ans andere Ende der Welt. Um eine Reise zu machen, die sie nicht in Erinnerung behalten wird. „Das klingt total kitschig, aber in Filmen sind ja häufig genau das die wahren Geschichten“, lacht Lukas.

"Es gibt kein Happy End bei Alzheimer"
Vieles hat sich durch die Krankheit verändert. An Gespräche kann sich Claudia nach kurzer Zeit nicht mehr erinnern, aber das erlebte Gefühl bleibt. „Nach Aitutaki war ich sehr traurig über viele Monate, weil ich festgestellt habe, wie schlimm ihre Krankheit ist“, erinnert sich Lukas. „Ich habe mit ihr telefoniert und wir haben nicht darüber geredet, wie es mir geht. Drei Stunden später rief sie an und sagte: Lukas, ich weiß nicht, worüber wir geredet haben, aber ich habe das Gefühl, es geht dir nicht gut.“ Er habe es ihr dann erklärt, sie hat ihm geholfen. „Dieses Gespräch hat sie vergessen. Aber sie hatte für eine ganze Woche weiter im Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmt und rief mich jeden Tag wieder an und sagte: ‘Ich weiß nicht, ob wir geredet haben, aber ich habe das Gefühl, irgendwas stimmt nicht bei dir.’“ Auch wenn also die Erinnerung fehlt, das Gefühl ist noch immer da.
Alzheimer ist eine Erkrankung des Nervensystems und als häufigste Form von Demenzerkrankungen bekannt. Vergesslichkeit und Desorientierung gehören zu den Symptomen der Erkrankung. Die meisten Fälle werden bei Menschen über 65 Jahren diagnostiziert. Die genaue Ursache für Alzheimer ist bis heute nicht geklärt, eine Heilung gibt es nicht. Mehr Informationen zu Alzheimer finden Sie hier.
Dennoch ist es für Lukas als Sohn schwierig, die Entwicklung seiner Mutter mitzuerleben. „Das Abgefahrene an dieser Krankheit ist, dass es immer schlechter wird. Es gibt kein Happy End bei Alzheimer. Sie wird so lange vergessen, bis sie stirbt“, erzählt er. Heute ist er dennoch überrascht, wie viele gefühlte Erinnerungen ihr von der gemeinsamen Reise noch geblieben sind. „Das Türkis des Meeres hat sie nicht vergessen.“ Auch an die besondere Musik hat sie noch Erinnerungen und wünscht sich diese auch für ihre eigene Beerdigung.
"Ich hatte Angst, immer mehr von meiner Mutter zu verlieren"
Der Alltag ist schwieriger geworden. Noch lebt Claudia allein, braucht aber Unterstützung im Alltag. „Sie kann nicht mehr alleine zum Arzt gehen, weil sie sich nicht merken kann, was da gesagt wurde“, beschreibt Lukas. Die Familie habe sich enger um sie organisiert, springt da ein, wo Mutter Claudia Hilfe benötigt.
„Es gibt immer wieder lichte Moment, wo ich denke: Ach, so schlimm ist es ja gar nicht“, erzählt Lukas. „Das sind die leichten Momente.“ Angst vor der Zukunft hat er heute, zwei Jahre nach der Diagnose, nicht mehr. „Ich hatte viel Angst, immer mehr von meiner Mutter zu verlieren.“ Für sie selbst bleibt das Gefühl der Unfairness. Warum habe ich das? Auch Wehmut wegen allem, was sie noch hätte machen können, bleibt.
Podcast soll Hilfe für andere betroffene Angehörige sein
Viele Angehörige von Alzheimer-Patienten haben irgendwann das Gefühl, dass ihnen die Krankheit den vertrauten Menschen nimmt, obwohl er noch lebt. Ein Satz, der für Lukas sehr wichtig geworden ist, fiel in seinem Umfeld: „In dem Moment, wo sie nicht mehr deine Mutter ist, nimmst du ihr auch den Sohn.“ Zu verstehen, dass Menschen sich durch Alzheimer verändern und auch neue Bedürfnisse haben, sei besonders wichtig.
Über die Reise, über Alzheimer und alle Gedanken, die sich Mutter und Sohn dazu machen, sprechen sie gemeinsam in dem Podcast „Aitutaki Blues – Die letzte Reise mit meiner Mutter und Alzheimer“. Zu hören ist der ab dem 11. Mai bei Audible.