So umschiffen Sie die Genderfalle bei Spielzeug und Deko
Adieu Rosa und Hellblau: Genderneutrale Erziehung beginnt im Kinderzimmer
Von Mireilla Zirpins
In Spanien gibt’s schon eine gesetzliche Regelung, die Schluss machen soll mit Geschlechterstereotypen in Kinderzimmern, aber in Deutschland sind wir noch weit von einer solchen Richtlinie entfernt. Und wenn Mädchen mit schnell zusammengebautem Spielzeug Cupcakes backen, Jungs hingegen bei komplexen Bausets in räumlichem Denken und Konstruktionsfähigkeit gefördert werden, hat das Folgen. Expertin Stevie Schmiedel erklärt uns, was wir selbst bis dahin tun können, um Genderfallen beim Spielzeugkauf zu umgehen.
Rosa und hellblau weit und breit: So sieht's aus in deutschen Kaufhaus-Etagen
Einkauf für einen Kindergeburtstag in einem Kölner Kaufhaus: „Wie alt? Junge oder Mädchen?“, will der Verkäufer wissen. „Dem ist in deutschen Spielzeugläden schwer zu entkommen“, weiß Dr. Stevie Schmiedel, die sich beruflich mit Sexismus und Genderklischees beschäftigt. Sie ist Pressesprecherin der Organisation „Pinkstinks“, die sie selbst vor zehn Jahren ins Leben gerufen hat. Das Ziel: Antiquierte Geschlechterrollen aufdecken und abbauen. Und das ist an manchen Stellen offenbar immer noch bitter nötig. Denn die Farben hellblau und rosa spielten gerade in letzter Zeit eine große Rolle im Gendermarketing für Familien.
Das Prinzip: Eine Farbcodierung, die das Spielzeug deutlich einem Geschlecht zuordnet, also Rosa für Mädchen und Blau für Jungen, oft auch noch mit passenden Symbolen oder Dekorelementen aufgeladen. Und schon ganz kleine Kinder bekommen in unserer Gesellschaft beigebracht, dass Rosa „was für Mädchen“ sei und Blau „was für Jungs“. „Mit einem Jahr können Kinder Piktogramme entweder Jungs oder Mädchen zuordnen“, sagt die Expertin. „Selbst wenn die Eltern versuchen, ihnen ein anderes Leben vorzuleben“. Zu mächtig ist die Präsenz dieser Stereotypen in der Werbung und auch in unserem Alltag.
Zurück ins Kaufhaus: Auch wenn bei den Puky-Rädchen Captain Sharky und Lillifee endlich Geschichte zu sein scheinen, prangt auf dem blauen Kinder-Bike immer noch ein Piratenmotiv, auf dem rosafarbenen eine Meerjungfrau mit Einhorn. Das ist mal klar geschlechtercodiert. Wer darauf keinen Bock hat, mag hoffentlich Grün. Zum Glück gibt es mittlerweile viele weitere Hersteller, bei denen es geschlechtsneutrale Räder in vielen bunten Farben gibt. Auch in Pink oder Blau natürlich. Und es macht aus Schmiedels Sicht auch gar keinen Sinn, Pink durch Grün zu ersetzen, wenn es dann anstelle von Pink aufgeladen würde mit Genderstereotypen, die Mädchen zugeordnet werden – mit allem Niedlichen und Häuslichen.
Seit wann sind Rosa und Blau so dominant in unseren Kinderzimmern?
Aber so extrem war das doch in unserer Kindheit nicht, oder? 2022 gab’s bei Playmobil zwei Badespaß-Adventskalender – einen für Jungs in Blau, der mit einem batteriebetriebenen Boot deutlich mehr losmacht als die pinkfarbene Schachtel mit den Meerjungefrauen, deren pinkfarbene Wasserkutsche die Kinder selbst bewegen müssen. Aus der Sicht von „Pinkstinks“ begann vor etwa 20 Jahren ein regelrechter Aufschwung des Gendermarketings, also der bewussten Fokussierung auf Geschlechterzuordnungen in der Werbung. Ausgerechnet in einer Zeit, in der immer mehr Mütter berufstätig wurden, in der wir wenig später sogar die erste Bundeskanzlerin hatten.
Vielleicht wünschten sich die gestressten und doppelbelasteten Eltern eine nostalgische Geborgenheit im Kinderzimmer, mutmaßt Stevie Schmiedel. Eine Welt, wie sie sie damals gelernt haben, bevor sich alles so schnell änderte. Aber dahinter steckt ganz klar auch wirtschaftliches Kalkül der Hersteller: „Es gab weniger Kinder, aber mehr Wohlstand. Wenn das Bobbycar, das es ja immer in rot gab, auf einmal in rosa und hellblau verfügbar ist, dann kann man doppelt verkaufen“, erklärt die Expertin. Wenn der Peergroup-Druck so groß ist, dass der kleine Bruder unmöglich mit dem pinkfarbenen Gefährt der Schwester in Kita oder Schule aufrockern kann, schafft man das Gleiche nochmal in Blau an.
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Die Farben sind assoziiert mit Rollenklischees, die sich hartnäckig halten
Aber es geht längst nicht nur um Farben, sondern auch um Rollenbilder, die suggerieren, wie man „als Mädchen oder als Junge gut ist“, wie Stevie Schmiedel moniert. Sie werden zementiert mit geschlechtergetrenntem Spielzeug. Für emanzipierte Eltern ein echter Aufreger: die „Lego Friends“-Reihe. „Mädchen, die Cupcakes backen und sich zur Shoppingtour treffen“, beschreibt es Stevie Schmiedel, „Deren Legowelten lassen sich sehr einfach mit nur ein paar Legoklötzen aufbauen. Ein Lego-Set, das für Jungs vermarktet wird, zusammenzubauen ist hingegen wirklich hochkomplex. Man lernt ganz viel räumliches Denken dabei.“ Immerhin hat der dänische Bauklotz-Hersteller Ende 2021 angekündigt, seine Sets nicht mehr nach Geschlechtern zu sortieren und hat ein Regenbogen-Set und eins zur TV-Serie „Queer Eye“ herausgebracht.
Das ist löblich. Denn stereotype Rollenzuweisungen können gravierende Auswirkungen auf das Selbstbild der Kinder haben. Stevie Schmiedel zitiert eine OECD-Studie von 2015: „Mädchen in der ersten Klasse meinen, dass Mathe nichts für sie ist“ – bevor sie überhaupt länger Mathematikunterricht hatten. „Das muss man sich mal vorstellen. Die Kinder kommen mit den gleichen Gehirnen auf die Welt, aber es wird den Mädchen schon ganz früh durch ihre Genderspielwarenwelt eingetrichtert: ,Das kannst du eigentlich gar nicht.“
Wo liegen die Genderfallen im Kinderzimmer und im Spielwarenhandel
Doch es geht nicht nur darum, was die Kinder für kognitive Fähigkeiten vermittelt bekommen beim Spiel. Sie lernen implizit auch Rollenmuster kennen. Und die sind bei den Spielwaren oft konservativer als im Elternhaus. „Captain Sharky, der immer mit dem Säbel rasselt und alles erobert oder die kleine Lilifee, die immer ganz süß durch die Gegend fliegt und sich um alle kümmert“, fasst Stevie Schmiedel zusammen, was die Kinder in der Werbung sehen, „auch wenn Mami dabei ungeschminkt herumläuft und Papi auch mal ab und zu die Spülmaschine einräumt.“
Hier werden bereits Rollenmuster für später zementiert. Denn was lernt ein Kind von Lilifee oder beim Puppenspiel fürs Erwachsenenleben? Genau, Care-Arbeit! Wäre doch schön, wenn alle Kinder unabhängig vom Geschlecht darauf spielerisch vorbereitet würden, indem sie ihren Stofftieren und Puppen in der Kinderküche was zu essen machen und die Windel wechseln. Wenn Mädchen davon träumen, Ballerina zu werden wie Barbie und später dann den Haushalt schmeißen, haben sie das keineswegs ganz freiwillig entschieden. Sie haben es in ihrem Kinderzimmer so gelernt.
Barbie - geht das heutzutage überhaupt noch?
Klar gibt es im Barbie-Kosmos auch Typen wie Ken, die herrlicherweise immer stinklangweilig sind. Deshalb spielen vermutlich die meisten Kids lieber mit den weiblichen Barbie-Figuren. Und lernen nicht nur dort, sondern auch bei der „Topmodel“-Reihe oder im Pferdemädchen-Universum: Eine Frau ist am besten schlank mit großem, festem Busen und kleinen festen Hinterbacken und ganz langen Beinen. Kernkompetenzen: Beauty und Fashion.
Sollen Eltern also ihren Kindern Barbies verbieten? Das ist für Stevie Schmiedel keine Lösung – schon weil das dann sozial schwierig wird für die Kids, wenn sie keine haben dürfen oder ihre Mutter ihnen die langbeinige Puppe schlechtredet. „Aber man kann schon – mit Humor natürlich – anmerken, dass Barbie nicht aussieht wie eine normale Person und so gar nicht stehen könnte. Sie würde sterben, weil sie den Oberkörper nicht aufrecht halten könnte, so viele Rippen wie da entfernt sind.“
Bis Spielwaren ohne Geschlechterstereotype und Rollenzuweisungen überall erhältlich und tatsächlich auch bei der Kundschaft gefragt sind, bis Mädchen wie selbstverständlich Plastikbohrmaschinen geschenkt bekommen und Jungs Bügeleisen, ist es vermutlich noch ein weiter Weg. Aber Stevie Schmiedel sieht Licht am Horizont: „Wir haben mehr Feminismus in Deutschland, wir haben mehr junge Eltern, die versuchen, genderneutraler einzukaufen. Und man merkt, dass das Marketing und die Spielzeughersteller reagieren.“ Sie lobt eine Ranzenwerbung der Firma Scout für Schultaschen, die man sich farblich individuell zusammenstellen kann – „präsentiert von einem Kind, das nicht klar als Junge oder Mädchen zu erkennen ist und of colour, also junge Migrationsgeschichte zeigt.“
Was können wir selbst tun, um Geschlechterklischees nicht an unsere Kinder weiterzugeben?
Was können wir unseren Kindern bis dahin zum Spielen geben, ohne in die Genderfalle zu tappen?
- Sie werden staunen, wie viel Spielzeug geschlechtsneutral ist – Musikinstrumente, Bauklötze, Stecksteine, Puzzles mit Tieren, Seilchen…
- Lassen Sie alle ihre Kinder, unabhängig vom Geschlecht, mit Puppen und dazugehörigen Anziehsachen in neutralen oder in allen Farben spielen. Es gibt sogar geschlechtsneutrale Puppen. Übrigens auch in verschiedenen Hautfarben.
- Nicht nur Rosa und Hellblau sind nämlich klischeebeladen, sondern auch die Bezeichnung „hautfarben“ für einen blassen Rosaton. Fragen Sie einfach mal zurück: „welche Hautfarbe“? Es gibt übrigens mittlerweile ganz vorbildliche Sets mit „hautfarbenen“ Stiften zu kaufen – und zwar mit mehr als einem halben Dutzend Tönen. Das hätten wir früher auch gebraucht!
- Seien Sie undogmatisch und mischen Sie! „Man kann dem Kind ruhig mal was Stereotypes schenken, wenn es das unbedingt haben will“, empfiehlt Stevie Schmiedel. Aber eben nicht nur.
- Man muss auch nicht zwangsläufig alles neu kaufen, sondern kann auch bestehendes Spielzeug und altbekannte Spiele variieren: Ziehen Sie der männlichen Babypuppe einfach einen Rock an. Oder färben Sie Puppenkleidung mit Batikfarbe um. Verpassen Sie der Barbie gemeinsam einen neuen Haarschnitt.
- Zerlegen Sie bei Lego- oder Playmobil einfach die Figuren und setzen sie neu zusammen. Man kann sogar die Langhaarfrisur der Frau mit dem Bügelbrett abmachen und auf eine der Figuren aus dem Feuerwehr- oder Polizei-Set stecken. Ein Riesenspaß!
- Probieren Sie beim Rollenspiel mal Vater, Vater, Kind oder andere Konstellationen aus. Und zeigen Sie, dass Sie als Frau nicht zwangsläufig die Mutter oder die Tochter spielen müssen, sondern dass Sie – und Ihre Kinder – sein können, wer immer sie wollen. Kinder sind offen und wissbegierig.
- Sprechen Sie mit ihren Kindern. „Man kann mit Kindern auch schon mit vier Jahren einen Spielzeugkatalog durchgucken und sagen: Warum sitzen da eigentlich immer nur Jungs auf den Baggern? Ich kenne auch eine Frau, die Traktor fährt“, regt Stevie Schmiedel an.
- Und überschütten Sie Ihre Kinder nicht mit Spielzeug. Es fördert die Fantasie, wenn die Kinder sich selbst etwas ausdenken oder basteln müssen.
Das Umdenken in puncto rosa und blau beginnt bei uns selbst
Das macht natürlich alles keinen Sinn, wenn unsere Kinder in einer Kita betreut werden, in der Erzieherinnen die Jungs in die Bauecke und die Mädchen in die Puppenküche setzen. Sie können aber anregen, dass genderneutrale Spielangebote angeboten und Bücher mit antiquierten Rollenbildern ausgetauscht werden durch progressivere Geschichten. Oder dass zumindest die Kinder unabhängig vom Geschlecht auf Spielangebote aufmerksam gemacht werden, also auch Jungen auf die Puppenecke.
Das Gleiche gilt natürlich für die Großeltern, die oft noch geschlechterstereotypes Spielzeug kaufen oder gar unsere alten Spielsachen aufgehoben haben. Bei den Klischees hilft nur eins: Konsequent ausmisten, und das beginnt im Kopf.