Ein Kissenstapel und ein singender Kopf auf einem Silbertablett

Avantasia mit neuem Album und Video zum Song „Creepshow”

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Tobias Sammet ist Frontmann der Band Avantasia.
KEVIN NIXON PHOTOGRAPHY
von Denise Kylla

Achtung, die Drachen kommen!

Goldene Schallplatten, Hunderte Millionen Streams, Headline-Shows auf allen wichtigen Metal-Festivals: Seit mehr als 25 Jahren begeistern Avantasia ihre Fans. Am 28. Februar veröffentlicht die Band ihr zehntes Studioalbum „Here Be Dragons”. Was es mit dem Albumtitel auf sich hat und was die Band in einem verwunschenen Schloss in Nordengland gemacht hat, erzählte Frontmann Tobias Sammet im RTL-Interview.

Am 28. Februar erscheint euer zehntes Studioalbum „Here Be Dragons“ – was war zuerst da: Der Song oder der Titel?
Auch wenn für mich Text und Musik eine Einheit ergeben müssen, scheinen gerade hier in Deutschland und vor allem im Mainstream für viele Leute die Texte leider keine allzu große Rolle zu spielen. Im Falle von Here Be Dragons stand die Musik zuerst, aber der Titel kam mir bereits kurze Zeit später. Ich war auf einer antiken Seekarte über die Bezeichnung Hic Sunt Dracones gestolpert, welche die Kartografen damals gewählt hatten, um vor unerforschtem Gebiet zu warnen. Darin fand ich meine Herangehensweise an das gesamte Album wieder. Es klang nach Abenteuer, nach einer Entdeckungsreise, auf die man sich begibt, wenn man ohne konkrete Erwartungen einfach mit Hilfe seiner eigenen Vorstellungskraft loslegt. In der Vergangenheit hatte ich im Vorfeld der Arbeit an einem Album meist eine klare Vorstellung, um was es gehen würde, meistens war das ein Plot für eine Rockoper mit einem festgelegten Rahmen, bei diesem Album habe ich mich einfach auf eine Reise begeben, ohne zu wissen, wohin sie führt und was mich erwartet.

Der Titeltrack geht ganze neun Minuten lang – wie fühlt sich das live oder bei der Bandprobe an?
Wir waren als Band ja nie bekannt dafür, Drei-Minuten-Songs zu machen, die der Aufmerksamkeitsspanne unserer Zeit entsprechen, und deswegen ist das überhaupt nichts Ungewöhnliches, einen Song einfach passieren zu lassen und ihm das zu geben, was er verlangt. Ich habe beim Schreiben des Titelstücks zwar nicht geplant, dass am Ende so ein episches Ding rauskommt, aber es stört mich auch nicht. Gerade in Zeiten, in denen in der Unterhaltungsindustrie so vieles auf eine Zielgruppe zugeschneidert, gefällig, stromlinienförmig und mundgerecht geliefert wird, tut es gut, genau das zu machen, auf was man Lust hat und damit vielleicht sogar durchzukommen. Unsere Fans kennen das von uns, denn wir hatten schon oft längere Stücke.

Tobias Sammet hat schon mit Alice Cooler zusammengearbeitet.
Tobias Sammet hat schon mit Größen wie Kiss und Alice Cooper zusammengearbeitet.
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Euer Album klingt total energetisch – was hat dich beim Schreiben und Komponieren der Songs motiviert?
Musik ist für mich in erster Linie Therapie und Lebensfreude, ich komponiere gerne und ständig, und verarbeite dabei all das, was mich beschäftigt, während ich es irgendwie in fantastische Geschichten verpacke. Dass dabei irgendwann ein fertiges Album rauskommt, ist erstmal zweitrangig. Auf Here Be Dragons hört man, glaube ich, dass die Songs von einer unbändigen und erhebenden Energie geprägt sind. Wenn du im Leben, in einer Welt voller herausfordernder und ermüdender Nachrichten, was auf die Mütze bekommst, ist es für mich einfach wichtig, einen Gegenpol zu schaffen und zu sagen: Ihr könnt mich alle mal, mich kriegt ihr nicht unter. In meiner Welt ist alles – oder zumindest sehr vieles – in Ordnung. Ich ziehe unglaublich viel Kraft daraus, mir der Macht bewusst zu werden, die man durch Selbstkonditionierung inne hat, wenn man sich mit schönen Dingen beschäftigt.

Euer Cover wurde von Rodney Matthews kreiert. Seid ihr Kunstliebhaber? Wenn ja: Wessen (bildende) Kunst fasziniert euch?
Ich wollte bewusst ein Coverartwork haben, das nicht dem Zeitgeist entspricht. Ich bin mir schon dessen bewusst, dass der Trend eher dahingeht, etwas simplistischere Cover auf Alben zu packen, die in erster Linie funktionieren müssen, wenn man sie auf Streamingplattformen in Briefmarkengröße auf dem Handy betrachtet. Aber genau so wollte ich nicht an die Sache rangehen. Die Welt von Avantasia ist eine sehr visuelle; und weitgehend frei von Trends. Also habe ich den Künstler Rodney Matthews, mit dem mich eine langjährige Freundschaft verbindet, gefragt, ob er das Artwork malen möchte. Rodney ist eine Legende, er hat die Titel unzähliger Bestseller-Romane z. B. von Michael Moorcock und schon in den 70ern viele Albumcover von Bands wie den Scorpions oder Asia gestaltet.

Ihr habt im Laufe eurer 25-jährigen Karriere beinahe alles erreicht und sämtliche Preise abgeräumt. Was fehlt noch?
Eigentlich habe ich keine Wünsche mehr offen. Für einen Jungen vom Land, für den der Weg im Musikgeschäft nicht gerade vorgezeichnet schien, habe ich mehr erleben dürfen, als ich mir jemals erträumt hatte. Ich habe mit Leuten von Kiss oder Alice Cooper arbeiten dürfen, unzählige Male in Wacken gespielt, mit Bands wie Aerosmith, Kiss oder Iron Maiden rund um den Globus die Bühne teilen dürfen, ich bin einfach dankbar, so ein erfülltes Leben zu genießen. Da fände ich es ziemlich unpassend, noch weitere Ansprüche zu stellen. Ich hoffe einfach, weiterhin meine Musik machen zu können und denke nur an den nächsten Schritt. Als Nächstes kommt unsere Tour, und da möchte ich einfach jeden Abend eine große und möglichst perfekte Show präsentieren.

Das neue Album von Avantasia heißt „Here Be Dragons”.
Das neue Album von Avantasia heißt „Here Be Dragons”.
Promo

Ihr geht bald auf Arena-Tour: Wie fühlt es sich an, wenn eine ganze Arena für dich schreit?
Das ist in der Tat unglaublich. Wenn du da im Dunkel auf die Bühne kletterst, nochmal deinen Zylinder zurechtrückst und dann der Vorhang fällt und du in die glücklichen Gesichter blickst, musst du dich selbst erstmal zwicken, um zu begreifen, dass das gerade wirklich passiert. Das ist jeden Abend wieder aufs Neue unfassbar. Dabei ist völlig egal, ob die Leute für den Schlagzeuger, den Song, für mich oder einfach aus Freude über einen tollen Abend in einer anderen Welt schreien, Hauptsache wir alle haben einen guten Abend, an den wir uns in zwanzig Jahren noch erinnern.

In eurem Video zu „Creepshow“ geht’s ordentlich ab. Wie war es, ein singender Kopf zu sein, der mit Salat garniert wurde?
Ich fand es vor allem bewundernswert, dass der Regisseur, ein britischer Filmemacher, weitgehend ohne künstliche Effekte und KI auskam. Wir haben das Video in einem verwunschenen Schloss in Nordengland mit einer ganzen Menge Schauspieler im Stil alter Horrorklassiker gedreht. In dem Tisch, auf dem mein singender Kopf unter einer Tellerglocke hervorkommen sollte, war ein Loch, und ich musste mich unter den Tisch zwängen und meinen Kopf durchstecken, was gar nicht so einfach war, da ich nicht gerade ein Riese bin. Also musste ich mich auf einen Stapel von Kissen setzen, damit ich überhaupt oben rausgucken konnte. Sie wollten mir auch noch ein paar Kakerlaken über den Kopf laufen lassen, aber da habe ich dankend abgelehnt. Das mache ich dann in dreißig Jahren, wenn ich pleite bin auf eurem Sender (lacht). Im Ernst, normalerweise hasse ich Videodrehs, weil es nichts öderes gibt, als zwei Stunden in der Garderobe zu warten, bis man dann für ein paar Minuten eine Szene dreht, bei der man die Lippen zu einem Playback bewegt. Aber dieser Videodreh war wirklich ganz geil.

Rocky Horror oder American Horror Story?
Rocky Horror Picture Show. Oder noch besser: Beetle Juice oder Sleepy Hollow von Tim Burton. Wobei das Video auch von den klassischen britischen Gruselfilmen aus den 60ern und 70ern beeinflusst wurde. Ich mag keine Horrorfilme mit Blut und Special Effects, da komme ich schlecht drauf. Ich mag es eher klassisch, im Stil von Edgar Allan Poe oder Alfred Hitchcock. Und das sieht man dem Video auch an, denke ich.

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1992 gründete Tobias Sammet die Band Edguy mit der er ebenfalls Erfolge feierte.
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Wie lief der Videodreh ab? Gab es lustige Pannen?
Naja, außer dass man vor versammelter Mannschaft ein Kissen, nach dem anderen unter den Arsch geschoben bekommt, um irgendwann endlich durch das Loch im Tisch gucken zu können, verlief eigentlich alles recht glatt (lacht).

Wie sieht die Zukunft von Avantasia aus?
Wir bringen jetzt unser zehntes Album raus, und im März beginnt dann unsere Europatour, später folgen dann Abstecher nach Asien und Amerika. Im Moment liegt unser Fokus einfach darauf, den Leuten eine große Show zu bieten, unsere Klassiker und einige Songs vom neuen Album in einem entsprechenden Rahmen zu liefern. Das ist für den Moment alles, was zählt. Was danach kommt, steht in den Sternen. Wenn die unsägliche Corona-Zeit auch nur ansatzweise irgendwas gutes hatte, dann war es die Erkenntnis, dass nichts selbstverständlich ist. In dieser Zeit wurde mir klar, dass einem das Leben einen Strich durch jeden noch so guten Zehn-Jahres-Plan machen kann, und deswegen setze ich jetzt alles auf den nächsten Schritt, nicht auf das, was vielleicht in fünf Jahren ist. Jetzt gehen wir auf Tour, und jetzt wollen wir Erinnerungen schaffen, von denen die Fans und wir noch in vielen Jahren zehren können!