Wie passt das alles zusammen?
Premier-League-Clubs gegen Cyber-Mobbing - während Timo Werner gemobbt wird

Und er hat es wieder getan. Wieder hat Timo Werner eine Großchance liegengelassen. Wieder seinem Ruf als Chancentod alle Ehre gemacht. Wieder wird er dafür von Fußballfans verspottet. Und wieder muss man fragen: hört das eigentlich nie auf?
Die Kunst des Nichttoreschießens

„Jeder Mensch ist ein Künstler“, ist eine der bekanntesten Aussagen des Künstlers Josef Beuys. Und eine besondere Kunst beherrscht Timo Werner zur Zeit leider: die des Nichttoreschießens. Letztes Beispiel: aus kurzer Distanz den Torwart angeschossen. Geschehen beim 1:1 im Halbfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Chelsea. Sah blöd aus, war es auch. Fand sein Trainer Thomas Tuchel auch.
Was folgte, war blanker Hohn im Netz. Das Übliche. Selbst die Frau von Werners Teamkollege Thiago Silva machte sich über den Stürmer, der den Ball nicht ins gefühlt leere Tor kriegte, auf ihrem Instagram-Account lustig. Billiger Reflex zum Spottpreis. Mario Gomez kann ein Lied davon singen, Timo Werner mittlerweile auch. Von bisher 29 Großchancen in der Premier League und der Champions League versemmelte er für Chelsea 21, das schaffte noch kein Spieler auf der Insel zuvor. Also Rekord – aber auch irgendwie Kunst. Zumindest künstlerische Freiheit.
Gemeinsamer Social-Media-Boykott der Premier-League-Clubs
Ungleich bizarrer hingegen ist die nicht enden wollende pöblerische Freiheit, mit der die Menschen den deutschen Nationalstürmer nach dem x-ten Missgeschick an den virtuellen Pranger stellten.
Zumal die Premier-League-Clubs am kommenden Wochenende mit einem konzertierten Social-Media-Boykott gegen rassistische Beleidigungen und Anfeindungen in den sozialen Netzwerken vorgehen wollen. Zumal Fußball-Stars wie DFB-Kollege Toni Kroos vor rund zwei Monaten mit einer nachahmenswerten Video-Aktion Hass-Kommentare aus den sozialen Medien vorgetragen hatten, um auf das immer wiederkehrende Phänomen Cyber-Mobbing aufmerksam zu machen.
Das digitale Kreuzigen muss aufhören
Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Und irgendwie geht das alles immer weiter. Ist ja auch so leicht, sich über einen, der in der vergangenen Saison mit 28 Treffern zweitbester Bundesliga-Torschütze hinter Weltfußballer Robert Lewandowski war und im aktuellen DFB-Kader die drittbeste Trefferquote hat, lustig zu machen, wenn er die simpelsten Dinger vergeigt.
Eine ganz hohe Kunst wäre es, es einfach stehen zu lassen. Einfach mal nicht kommentieren. Das digitale Kreuzigen muss jedenfalls aufhören. Und wer weiß: Beuys wäre am 12. Mai 100 Jahre alt geworden, und Werner eine Woche vorher vielleicht schon Matchwinner im Rückspiel.