Lohndumping, Mitarbeiter-Tracking und extreme psychische Belastung
Team Wallraff undercover bei Amazon: Das haben die Reporter aufgedeckt
Kontrolle, Lohndumping & Co.: Ein Überblick über die Rechercheergebnisse
Die Ermittlungen von Team Wallraff beim weltweit größten Versandhändler Amazon haben brisante Zustände enthüllt. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise menschenunwürdig: Die Mitarbeiter werden auf Schritt und Tritt kontrolliert, es wird Lohndumping betrieben und sowohl die Auslieferer als auch die Angestellten, die am Fließband arbeiten, sind einer enormen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt – ein Überblick der Rechercheergebnisse.
Extreme Mitarbeiterkontrollen via App auf der Straße
Die für Amazons Subunternehmen tätigen Fahrer werden während ihrer gesamten Schicht überwacht. Dabei wird zum einen der Fahrstil getrackt: Wer zu rasant fährt und riskiert, dass Pakete beschädigt werden, bekommt Strafpunkte auf dem persönlichen Fahrer-Account. Wer zu viele Punkte hat, darf eine Woche lang nicht für Amazon fahren. Zum anderen wird den Mitarbeitern von einer App mitgeteilt, wann sie ihre Pause antreten können.
Amazon nimmt hierzu wie folgt Stellung: „Die Mentor-App bietet den Fahrer:innen ereignisabhängige In-App-Fahrtrainingsmodule an, erinnert sie an die korrekte Fahrweise und erhöht so die allgemeine Verkehrssicherheit.“
Extreme Mitarbeiterkontrollen auch im Werk
Auch die Mitarbeiter im Werk werden kontrolliert. Sie müssen einen Scanner am Arm tragen, der zum einen notwendig für die Ausführung der Arbeit ist, zum anderen aber auch haargenau aufzeichnet, wer sich wann wo befindet. Heißt: Gespräche mit anderen Mitarbeitern und zu langes Herumstehen werden dokumentiert und nicht gern gesehen. Zudem befinden sich Kameras in den Werken Krefeld und Duisburg – Amazon dementiert jedoch, dass sie zur Überwachung der Mitarbeiter dienen: „Die Kameras, die wir in unseren Gebäuden einsetzen, (…) sind mit den europäischen Vorschriften konform. Feste Arbeitsplätze werden nicht gefilmt oder sind technisch geschwärzt. Die entsprechenden Bilder sind nur für autorisiertes Personal, wie Techniker:innen oder Sicherheitspersonal zugänglich. Vorgesetzte von Mitarbeiter:innen haben keinen Zugriff auf diese Kamerabilder.“
Laut Amazon seien auch Gespräche mit Mitarbeitern erlaubt, sogar gewünscht: „Das ist nicht wahr. Wir wollen eine Atmosphäre voller Respekt schaffen, in der die Mitarbeiter:innen sie selbst sein können und Beziehungen zu ihren Kolleg:innen aufbauen können. (…) Die Mitarbeiter:innen sprechen während des Tages selbstverständlich regelmäßig miteinander.“
Im offiziellen „Team Wallraff“-Podcast auf AUDIO NOW berichtet Reporter Daniel, der in den Werken in Krefeld und Duisburg war, noch einmal ausführlich von seinen Erlebnissen vor Ort.
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Lohndumping: Trotz Arbeit in Deutschland wird den LKW-Fahrern weniger als der Mindestlohn gezahlt
Harte Arbeit, guter Lohn? Leider nicht. Viele der im Auftrag von Amazon tätigen Fahrer sind im Ausland angestellt, sodass ihnen kein Mindestlohn gezahlt wird. So auch zwei LKW-Fahrer, Vater und Sohn aus Weißrussland, mit denen einer unserer Undercover-Reporter spricht. Sie arbeiten für eine Spedition in Litauen und werden von dort 1.600 Kilometer nach Deutschland gefahren, um dort für Amazon auszuliefern. Bezahlt werden sie erst ab dann. Eigentlich steht ihnen dabei der deutsche Mindestlohn von 9,60 Euro pro Stunde zu, doch da sie für eine litauische Firma arbeiten, wird ihnen weniger gezahlt. Zum Vergleich: Ein Fahrer in Litauen kostet die Spedition nur 8,89 Euro in der Stunde, während ein deutscher Fahrer mit allen Spesen und Nebenkosten 25,13 Euro in der Stunde kosten würde.
Überstunden und Stress
Sowohl für die Fahrer als auch für die Lagerarbeiter bedeutet ihre Schicht vor allem eines: Stress, Stress und nochmal Stress. Als Fahrer für ein Subunternehmen erhält man zu Beginn seiner durchgetakteten Arbeitsschicht eine Route, die genau auf acht Stunden angepasst ist. Das Problem: Wer seinen Soll erfüllt und alle Pakete während seiner Arbeitszeit ausliefert, wird dafür nicht belohnt, sondern erhält in seiner nächsten Schicht mehr Pakete. Dies führt über kurz oder lang zu psychischem Stress und unbezahlten Überstunden.
Ähnliches zeigt sich in Amazon-Logistikzentren: Die Arbeitsbelastung ist enorm hoch, bis zu 80.000 Pakete müssen die Mitarbeiter gemeinsam während einer Schicht fertigmachen. Wer auf Toilette gehen möchte, muss sich erst um Ersatz kümmern – und das kann bis zu 30 Minuten dauern. Wer Schmerzen aufgrund des Gewichts der Pakete hat, arbeitet aus Angst, seinen Job zu verlieren, trotzdem weiter.
„Wir haben Vorkehrungen und Regelungen, die Mitarbeiter:innen vor Überlastung schützen. Niemand muss einen zu schweren Gegenstand alleine heben. Unsere Sicherheitsschulungen stellen sicher, dass die Mitarbeiter:innen das Gewicht der Pakete prüfen, bevor sie sie anheben, und dass sie bei Bedarf um Hilfe bitten“, so Amazon auf Nachfrage.
Arbeitsbedingungen LKW
Die LKW-Fahrer leben während ihrer Arbeitszeit, die sich meist auf mehrere Wochen bis Monate beläuft, unter schrecklichen Bedingungen. Die Betten sind – für erwachsene Männer – 2,20 m auf 80 cm, hinzu kommen die Fahrersitze. Insgesamt ist der Platz etwa halb so groß wie eine durchschnittliche deutsche Gefängniszelle. Hygiene ist an den Plätzen, an denen die Fahrer Halt machen, Fehlanzeige. Dixie-Klos, sollen nur selten gereinigt werden und sogenannte „Trucker-Lounges“ mit Duschen sollen am Wochenende geschlossen sein.
Amazon nimmt dazu Stellung: „Unser Vertrag mit dem betreffenden Dienstleister sieht vor, dass sie täglich gereinigt werden. Um den Fahrer:innen die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten, bieten wir an allen unseren Standorten Trucker-Lounges mit Kaffeemaschinen, Essensautomaten und Toiletten an. Außerdem haben wir Toiletten, die rund um die Uhr zugänglich sind, auch von außerhalb des Geländes.“
Mitarbeiterin: Neuwaren werden zur Zerstörung ins Ausland gebracht
Doch nicht nur die Mitarbeiter leiden unter den Zuständen – auch der Nachhaltigkeits- und Umweltaspekt wird offenbar außer Acht gelassen. So soll der Versand-Riese zahlreiche Produkte zerstören. Das behauptet Amazon-Mitarbeiterin Magdalena Malinowska gegenüber „Team Wallraff“-Reporter Alexander: „Wir wissen, dass sie viele Retouren aus Deutschland nach Polen bringen. Die Idee, Amazon dazu zu bringen, die Sachen an Hilfsorganisationen, an soziale Einrichtungen oder an Krankenhäuser zu spenden, wurde abgelehnt. Wir zerstören Sachen, die wir uns selber gar nicht leisten können. Und wenn wir das sehen, ist das wirklich traurig. Ich nehme an, das liegt daran, dass man hier nicht kontrolliert, wie viele Sachen zerstört werden“.
Amazon äußert sich dazu wie folgt: „Unsere Priorität ist der Wiederverkauf, die Spende oder das Recycling dieser Gegenstände - in dieser Reihenfolge. Nur als allerletztes Mittel werden wir Produkte zur energetischen Verwertung schicken. Für uns, wie auch für andere Händler, ist dies die ökologisch und wirtschaftlich unattraktivste Option. Der Umgang mit zurückgegebenen oder unverkauften Waren ist für alle Händler eine Herausforderung.“ (jos)