Konflikt wegen "Dienstagsspaziergänger"
Streit um Querdenker-Demos eskaliert - Gemeinde-Bürgermeisterin erklärt Rücktritt
von Maximilian Storr
Eigentlich ist Simmertal in Rheinland-Pfalz ein beschauliches Örtchen, eine Gemeinde mit knapp 2.000 Einwohnern und lebendigem Vereinsleben. Doch seit Monaten rumort es in der Gemeinde. Seit 18 Wochen marschieren jeden Dienstag Querdenker durch den Ort. Der Streit um den Umgang mit den „Dienstagsspaziergängern“ ist längst eskaliert. Er gipfelte darin, dass sich die Ortsbürgermeisterin Christina Bleisinger zum Rücktritt gezwungen sieht. Auch das Dorf ist gespalten.
Seit 18 Wochen marschieren Querdenker durchs Dorf
„Ich war gerne ehrenamtliche Bürgermeisterin“, sagt Christina Bleisinger, aber am Ende sei die Situation nicht mehr tragbar gewesen. Seit Monaten steht Bleisinger im Konflikt mit der Fraktion der Freien Wählergemeinschaft. Es dreht sich im Gemeinderat vieles um die Frage, wie mit den sogenannten „Dienstagsspaziergängern“ umgegangenen werden soll.
Jede Woche marschieren sie durch Simmertal und protestieren gegen Maßnahmen der Corona-Politik. „Darunter viele Menschen aus der sogenannten „bürgerlichen Mitte“, aber auch Rechtsextremisten, Reichsbürger und Verschwörungsideologen“, sagt die Ex-Bürgermeisterin. Bleisinger wollte das nicht weiter hinnehmen, wendete sich sich ans Landesamt für Soziales. „Sie haben dem Gemeinderat empfohlen, sich entschieden dagegen zu stellen“ betont Bleisinger und erklärt: „Vorgänge in den größeren Städten wie Trier belegen, dass der Widerstand der Bürgerschaft die rechtsunterwanderten Querdenker drastisch reduziert und sogar zum Aufhören bewegt.“ Im Gemeinderat fällte man ein anderes Urteil.
Gemeinderat will sich neutral verhalten
„Es wurde einstimmig dagegen gestimmt, etwas zu unternehmen“, zeigte sich Bleisinger entsetzt. Besonders enttäuscht sei sie von der SPD-Fraktion gewesen. In einer gemeinsamen Erklärung, die RTL vorliegt, heißt es: „Wir als Gemeinderat möchten uns in der aktuellen Situation nicht gegen, sondern FÜR etwas einsetzen, und zwar FÜR demokratische Ordnung, Meinungsfreiheit, Vielfalt und Toleranz in unseren Ort.“
Für Jürgen Tatzke, erster Beigeordneter der Freien Wählergemeinschaft, steht fest: „Wir haben demokratisch dafür gestimmt, uns erst einmal neutral zu verhalten und die Situation zu beobachten, das wollte Frau Bleisinger aber nicht akzeptieren.“
Bürgermeisterin führt Gegendemonstrationen an
Bleisinger führte fortan die Gegendemonstration gemeinsam mit der Pfarrerin im Dorf an. „Mir wurde unterstellt, einen Privatkrieg zu führen“, sagt sie. „Plötzlich stand die Antifa bei uns im Dorf“, es sei zu Eskalationen gekommen, entgegnet Tatzke. Der Konflikt spitzte sich weiter zu. „Wir sind von den Spaziergängern diffamiert und bedroht worden“, sagt Bürgermeisterin Bleisinger. Nach einer ihrer Gegendemonstrationen seien Hauswände beschmiert und Reifen abgestochen worden. Dass dahinter wirklich die Spaziergänger stecken, kann Bleisinger aber nicht belegen.
Aus ihrer Sicht wurde aber auch eine Hetzkampagne aus dem Umfeld der FWG gegen sie geführt. „Vereine, Geschäftsleute und Privatleute wurden aufgefordert, Beschwerdebriefe und Rücktrittsforderungen an die Landrätin, den Verbandsgemeindebürgermeister und den Gemeinderat zu versenden“, sagt sie. Tatzke will von dieser Hetzkampagne nichts wissen und betont, dass die FWG-Fraktion damit nichts zu tun habe: „Wir haben immer wieder versucht, alle Leute an einen runden Tisch zu bekommen und zu reden. Das hat aber leider nicht geklappt.“
Menschen wollen, dass wieder Ruhe einkehrt
Die Konsequenz: Das Vertrauen zwischen Bleisinger und weiten Teilen des Gemeinderates sei zerstört. Deshalb wollte die FWG-Fraktion sie am Montag zum Rücktritt auffordern. Dieser Entscheidung war sie aber zuvorgekommen.
Der Konflikt und die Demos spalten auch die Dorfgemeinschaft. Einige befürworten die Querdenken-Demos, andere stehen hinter der Bürgermeisterin. „Viele schweigen aber auch und äußern sich überhaupt nicht“, sagt Bleisinger. Aus Briefen, die RTL vorliegen, wird aber deutlich, dass viele Menschen schlichtweg genervt von der Situation sind, einige fürchten sich auch: „Ich habe ANGST, ich fühle mich UNSICHER, ich finde es BESCHÄMEND, wie unser schönes Dorf BENUTZT wird und ich wäre einfach nur DANKBAR, wenn dieser ganz Spuk bald VORBEI ist!“, heißt es dort unter anderem. Viele dürften hoffen, dass in der einst so beschaulichen Gemeinde bald wieder Ruhe einkehrt.