Ist es noch gesund, so dünn zu sein?Sorgen um Lauf-Ass Konstanze Klosterhalfen nach Schwächeanfall

 KLOSTERHALFEN Konstanze Team GER Finale 10 000m der Frauen TOKYO Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS 2020 Sommerspiele in Tokyo am 07.August 2021 Nationalstadion Tokyo *** KLOSTERHALFEN Konstanze Team GER Final Womens 10 000m TOKYO Olympic games 2020 Summer Games in Tokyo on 07 August 2021 National Stadium Tokyo
Konstanze Klosterhalfen im 10.000-Meter-Finale.
www.imago-images.de, imago images/Laci Perenyi, Sportphoto by Laci Perenyi via www.imago-images.de

Sorgen um unser Lauf-Juwel! Der Schwächeanfall kurz nach dem Finale über die 10.000 Meter in Tokio und die Olympia-Bilder von Konstanze Klosterhalfen lösen bei vielen Beobachtern Bedenken aus. Erste Sportmediziner schlagen nun Alarm und warnen: Sie ist besorgniserregend dünn. Der Arzt und Medizinjournalist Christoph Specht erklärt im RTL-Interview, ob die Sorgen berechtigt sind, welche Gefahren lauern und warum Leistungssport oft nicht viel mit Gesundheit zu tun hat.

Klosterhalfen ist ein riesiges Lauf-Talent

Konstanze Klosterhalfen ist schnell, sehr schnell. Die 24-Jährige gilt als größte deutsche Lauf-Hoffnung, gar als „Jahrhundert-Talent“ der Leichtathletik in Deutschland. Ihren Lebensmittelpunkt verlegte sie schon vor drei Jahren in die USA, um dort unter modernsten Bedingungen zu trainieren – mit Erfolg. Im Februar folgte die nächste Leistungsexplosion, Klosterhalfen pulverisierte den deutschen Rekord, rannte die 10 Kilometer in nur 31:01,71. Am Samstag im Olympia-Finale fehlten ihr nur 26 Hundertstel auf die Bestmarke, Platz acht im Endlauf.

Doch Klosterhalfen ist nicht nur schnell, sondern auch sehr dünn. Unter den ohnehin sehr dünnen Langstrecken-Athletinnen ragt sie noch einmal heraus. Die Debatte um ihr Gewicht hält sich schon länger in der Leichtathletik-Szene. Nach dem Schwächeanfall in Tokio, als die Athletin trotz Hitze zitternd in der Mixed Zone saß und weinte, kocht es wieder verstärkt hoch.

"Stabil heißt ja nicht, dass jemand in einem guten Zustand ist"

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Klosterhalfen musste nach 4000 Metern abreißen lassen.
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Wilhelm Bloch, Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule, sagte dem „Tagesspiegel“, dass es bei Klosterhalfen „in Richtung des Krankheitsbildes Anorexia athletica“, also Magersucht, gehe. Zuvor schon hatte die Chefbundestrainerin Annett Stein auf erste Bedenken reagiert und den Zustand ihrer Sportlerin als nicht bedenklich eingestuft. "Wir arbeiten eng mit den Ärzten in den USA zusammen", sagte Stein am Sonntag: "Unsere Verbandsärztin kennt Konstanze schon lange und schätzt ihren Zustand als sehr stabil ein."

Mit dieser Aussage kann Mediziner Christoph Specht nicht viel anfangen. „Stabil heißt ja nicht, dass jemand in einem guten Zustand ist. Es hat nur etwas mit der Dynamik des Zustandes zu tun“, sagt er im Gespräch mit RTL. Die Bilder der dünnen Sportlerin bereiten auch ihm Sorgen, auf eine Erkrankung lassen sie freilich nicht schließen. „Die Anorexia nervosa, zu Deutsch Magersucht, bzw. in diesem Fall die Anorexia athletica, ist eine psychosomatische Erkrankung. Ob das Krankheitsbild hier vorliegt, kann man allein vom Bild her nicht sagen. Was man von den Bildern oder Videoaufnahmen sagen kann, ist, dass sie den Körper einer anorektischen Patientin hat, gar keine Frage. Und ihr BMI (Body-Mass-Index, d.Red.) ist viel zu niedrig.“ Nach offiziellen Angaben wiegt die 1,74 Meter große Klosterhalfen 48 kg, das entspricht einem BMI von knapp unter 16. Laut der Bundeszentrale für Ernährung gilt für Normalbürger alles unter einem BMI von 18,5 als untergewichtig.

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Mehrere Gefahren für den Körper

Für den Körper bedeutet das: Stress. „Es geht mit mehreren Gefahren einher. Der Hormonhaushalt ist dann völlig durcheinander, Östrogene fehlen oft komplett und schränken weibliche Funktionen ein“, erklärt Specht. „Die Nieren machen irgendwann nicht mehr mit und haben irgendwann ein Problem mit der Ausscheidung, es ist dann ein reduzierter Hungerhaushalt, auf den der Körper umstellt. Mit 24 hält das ein Körper eine Zeit lang aus, aber es hat auch Konsequenzen für später. Wenn sie da nicht rauskommt, ist die Prognose nicht gut.“

Auch die Knochen könnten darunter leiden. „Wenn sie stürzt, hat sie ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu normalgewichtigen Altersgenossen, sich die Knochen zu brechen“, so Specht. „Der Calcium-Haushalt stimmt nicht mehr, sie hat sehr wahrscheinlich eine geringe Knochendichte. Alles wird vom Körper auf minimal gestellt, da keine Energiereserven da sind. Und das ist auf Dauer nicht gut.“

Die Frage, ob in solch einer Situation Sport noch gesund sei, ist für den Arzt schnell beantwortet. „Natürlich nicht, nein! Es ist immer wieder erstaunlich, was die Evolution noch alles ermöglicht. Der Körper kann lange noch Höchstleistungen verbringen. Beim Langstreckenlauf wäre es ja theoretisch am Vorteilhaftesten, wenn man gar kein Gewicht hat und nur Muskeln – allerdings auch nicht zu viele, da auch Muskeln Gewicht ausmachen.“

Das erkläre auch, warum dennoch Leistungen in der Weltspitze möglich sind. Wer weniger Gewicht mit sich herumträgt, habe eben einen Vorteil. Ein schmaler Grat. „Das ist die Evolution, wie sie im Buch steht. Es geht immer deutlich länger, als man glaubt. Wäre sie 44, würde es sehr wahrscheinlich nicht funktionieren. Der Vorteil bei niedrigem Gewicht ist, dass sie es nicht durch die Gegend tragen muss. Solange Muskeln da sind.“

"Leistungssport ist oft nicht gesund"

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Konstanze Klosterhalfen völlig ausgepumpt im Ziel.
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Specht räumt ein, dass auch eine genetische Komponente eine Rolle spielen könne, wie auch Marathon-Bundestrainer Tono Kirschbaum im „Tagesspiegel“ betonte. „Auch die Mutter ist sehr schlank“, sagte Kirschbaum.

Die Kombination aus dem Bild und Leistungssport führe bei ihm aber zu einem „keinem guten Gefühl“, so Mediziner Specht, der beim Thema Leistungssport und dessen Folgen auf den Körper große Bedenken hat. „Ich sehe die ganze sportliche Entwicklung kritisch. Aus dem gesundheitlichen Blickwinkel sage ich: Bewegung ist gesund, aber Sport oft nicht und vor allem der Leistungssport nicht“, erklärt Specht und nimmt den ultimativen Lauf-Wettkampf als Beispiel. „Auch beim Marathon ist das Gesündeste das Training. Mit Gesundheit hat der Lauf im Bereich der Höchstleistung an sich nichts zu tun. Gesund alt wird man, wenn man sich täglich bewegt, aber das hat nichts mit Leistungssport zu tun.“

Genau in diesem Gebiet aber hat sich Klosterhalfen zu einem Lauf-Star entwickelt, auch wenn Bilder wie nach dem Lauf in Tokio für Irritationen sorgen und Diskussionen anheizen. Der Schwächeanfall lasse indes keine Rückschlüsse auf ein Krankheitsbild zu, betont Specht. „Das passt zwar ins Bild, aber muss überhaupt nicht damit zusammenhängen. Das könnte auch anderen ohne Anorexie passieren.“

Zumal Klosterhalfen eine harte Vorbereitung hinter sich hat, die nicht optimal verlaufen ist. Eine Beckenverletzung stoppte lange Zeit ihr Olympia-Training. So fehlten am Ende die Kräfte, um im Finale ganz vorne zu sein. Es reichte dennoch für Platz acht, mit dem sie sehr zufrieden war. „Für acht Wochen Training kann ich das nehmen“, sagte Klosterhalfen nach dem Lauf im ZDF: „Olympia als Einstieg - ich freue mich auf die kommende Saison." (msc)