WM-Tipps von Legende Goc
Jungs, macht das Eishockey-Wunder wahr!

Von Tobias Nordmann & Markus Bauck
Wie viel Euphorie in Toni Söderholm steckt, das ist eines der ganz großen Geheimnisse dieser Eishockey-WM. Sollte er eine ähnliche Leidenschaft, ein ähnliche Euphorie in sich spüren wie seine Jungs von der deutschen Nationalmannschaft, dann kann der Bundestrainer das ganz prima verbergen.
"Zur Geschichte, die wir schreiben, kommen noch Kapitel dazu"
Am Pokertisch wäre der Finne eine echte Sensation. Nun, die ist er auch so. Auch ohne euphorische Ansagen, die dem Märchen, das sein DEB-Team in diesen Tagen von Riga schreibt, entsprechend zulässig wären. Denn was Deutschland bisher erreicht ist, das ist schon sensationell. Auch, wenn es keine Sensation ist. Vor dem Halbfinale am Abend, um 17.15 Uhr geht es gegen sein Heimatland, sagt Söderholm: "Zur Geschichte, die wir schreiben, kommen noch Kapitel dazu. Das ist der allgemeine Wille." Würde man nicht wissen, um was in Riga nun geht, man würde es wohl so hinnehmen.
Aber es geht in Riga nun um Medaillen. Um die erste Medaille bei der Weltmeisterschaft seit 68 Jahren. Oder um es noch etwas eindrücklicher auszudrücken: Es geht um die erste Medaille seit 1953. Die Helden von einst hießen Karl Bierschel, Markus Egen oder aber Xaver Unsinn. Die Helden von heute heißen Mathias Niederberger, Korbinian Holzer oder aber Moritz Müller... "Man müsste sie eigentlich alle aufzählen. Nur einzelne Namen zu nennen, ist unfair", findet Marcel Goc. Denn nur mit Einzelnen wäre die Mannschaft nicht dorthin gekommen, wo sie jetzt ist. Ins Halbfinale eben. Goc ist ein prima Gesprächspartner, wenn es darum geht, über Erfolge im deutschen Eishockey zu reden. Nicht nur, weil er bemerkenswerte 699 Spiele in der NHL absolviert hat. Nicht nur, weil er 112 Mal für das DEB-Team auf dem Eis stand. Nein, Goc war dabei, als es letztmals um WM-Medaillen ging und auch, als es letztmals überhaupt eine Medaille gab.
Die bisher letzte Gelegenheit auf Edelmetall bei einer Weltmeisterschaft gab es daheim im Jahr 2010. In einem dramatischen Halbfinale unterlag Deutschland Russland mit 1:2. Der Siegtreffer für die "Sbornaja", die in Riga im Viertelfinale überraschend an Kanada gescheitert war, fiel erst 110 Sekunden vor Spielende. Pawel Dazjuk hatte getroffen. Ebenso wie Goc, der hatte das DEB-Team nach 15 Minuten in Führung gebracht. Das Spiel um Platz drei und damit ging dann ebenfalls verloren, mit 1:3 gegen Schweden. Was muss nun anders laufen als damals, um sich den Traum der Medaille zu erfüllen? Nun, Marcel Goc schlägt einen anderen Weg der Betrachtung der aktuellen Situation vor. Er ist ganz simpel: einfach so weitermachen wie bisher im Turnier. Und trotz des Traum-Drucks den "Spaß nicht vergessen und das Spiel auch genießen".
Der dramatische Weg ins Halbfinale
Goc kennt das Genussgefühl

Wie sich Genuss auf dem Eis anfühlt, auch das weiß Goc. Und die Erinnerung ist noch längst nicht verblasst, auch wenn er im vergangenen Jahr seine Karriere beendet hat. 2018 war es, als er im südkoreanischen Pyeongchang bei den Olympischen Spielen Silber gewann. Als er in einem weiteren deutschen Eishockey-Drama Gold nur um Sekunden verpasst hatte. Spielverderber im Finale waren da wieder die Russen. Das Märchen von 2018 ist nach wie vor eines der beeindruckendsten der DEB-Geschichte. Auch, wenn bei dem Turnier keine Stars aus der NHL dabei waren. Über ihre Geschlossenheit als Team, über ihren Spirit hatte sich die Mannschaft in einen totalen Hype gespielt. Einen Hype, den Goc aus der Ferne nun auch bei der aktuellen Generation ausgemacht hat. "Die Jungs vermitteln mir glaubhaft den Eindruck, dass der Teamgeist zu 100 Prozent da ist. Wie sie die Schüsse blocken, die Checks nehmen. So geht Eishockey!"
Und dann spielen sie auch noch gut. Gegen die Schweiz ganz besonders im letzten Drittel. Geduldig, kreativ und immer mit Druck zum Tor wurde da gespielt. Goalie Leonardo Genoni dauerhaft unter Beschuss genommen. Mit Erfolg. Youngster Leon Gawanke prügelte den Puck mit aller Überzeugung in der letzten Minute zum Ausgleich ins Tor. Über die folgende Overtime ist jede Geschichte erzählt. Ebenso wie über das Penaltyschießen mit dem Sensationstor von Marcel Noebels (falls noch Fragen offen sind, bitte hier klicken). Der Viertelfinal-Held spielte übrigens mit einer Einblutung in der Schulter. Noch Fragen zum Teamgeist? Zum Willen, zur Leidenschaft?
Mit "Intohimo" zum Erfolg!
Nun also geht es gegen Finnland. Zum zweiten Mal in diesem Turnier. In der Vorrunde gab es eine knappe 1:2-Niederlage. Eine Niederlage, aus der die deutsche Mannschaft einiges ziehen soll, findet Goc. "Die Jungs haben doch gesehen, sie sind dran an Finnland, einer Top-Nation im Eishockey. Das gibt ein gutes Gefühl." Auf einem ähnlichen Niveau wie der Titelverteidiger zu sein, der übrigens ebenso wie Deutschland ohne seine Top-Stars aus der NHL auskommt. Der ebenso auf junge Talente mit abgezockten Routiniers vertraut. Für Goc übrigens ein Schlüssel, dass es mit dem DEB-Team seit Jahren aufwärts geht, dass junge Spieler immer interessanter werden für die Top-Liga aus Nordamerika. "Da haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel richtig gemacht." Dass die Trainer bei der Auswahl des Kaders sogar starken Spielern absagen müssen, war auch nicht immer so.
Und noch eine Sache hat der DEB richtig gemacht. Bei der Nachfolge des erfolgreichen und beliebten Marco Sturm auf Toni Söderholm als Bundestrainer zu setzen. Der übrigens verlor nach dem Drama gegen die Schweiz für einen winzigen Moment sein Pokerface, als er sagte: "Es ist ein Privileg, wenn man miterleben darf, wie eine Mannschaft so zusammenkommt. Das ist der Grund, warum ich als Trainer angefangen habe. Dass man einen Teil beitragen kann, dass sie alles opfern, dass sie als Sieger aus einem Spiel rauskommen, das freut mich." Es ist das, was sie in Finnland mutmaßlich "Intohimo" nennen. Leidenschaft.