Irres Frauen-Radrennen

Ritt in die Geschichtsbücher: Amateurin holt Sensations-Gold, Zweite mit Jubel-Fail

Tokyo 2020 Olympics - Cycling - Road - Women's Road Race - Final - Tokyo to Fuji International Speedway - Tokyo, Japan - July 25, 2021.  Anna Kiesenhofer of Austria celebrates winning gold. REUTERS/Christian Hartmann
Anna Kiesenhofer hat es geschafft!
ca, REUTERS, CHRISTIAN HARTMANN

Was für ein Straßenrennen! Die krasse Außenseiterin Anna Kiesenhofer, promovierte Mathematikerin und ohne Profi-Team, hat sich einen spektakulären und überraschenden Olympiasieg im Radrennen erkämpft. Ihre Gegnerin um Gold hatte die Österreicherin weit vorne nicht mehr auf der Pfanne – sie bejubelte ihren 2. Platz irrtümlich als Sieg.

Erster österreichischer Radsieg seit 125 Jahren

Anna Kiesenhofer hat an diesem Sonntag Olympia-Geschichte geschrieben. Der Österreicherin fehlte nach ihrer historischen Fahrt zu Gold fast die Kraft zum Jubel. Nur mit großer Mühe nahm sie die Arme vom Lenker, schüttelte ungläubig den Kopf und ließ sich schließlich völlig ausgepumpt als Olympiasiegerin auf die Zielgerade des Fuji International Speedway fallen.

„Es fühlt sich unglaublich an. Selbst als ich die Ziellinie überquert hatte, habe ich mir gedacht: Ist es wirklich aus? Muss ich noch weiterfahren?“, schilderte Kiesenhofer ihre Gefühlslage und ergänzte: „Ich war froh, dass ich nicht zu nervös war, bin einfach drauflos gefahren.“

Die Highlights vom 3. Olympia-Tag im Video

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Zweitplatzierte dachte, sie sei Erste

 Dutch Annemiek van Vleuten celebrates as she crosses the finish line of the women s cycling road race, on the third day of the Tokyo 2020 Olympic Games, Olympische Spiele, Olympia, OS with finish at the Fuji Speedway, in Gotenba, Tokyo, Japan on Sunday 25 July 2021. The postponed 2020 Summer Olympics are taking place from 23 July to 8 August 2021. JASPERxJACOBS PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY x3045434x
Annemiek van Vleuten hatte Außenseiterin Kiesenhofer einfach nicht mehr auf der Rechnung.
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Der Triumph der 30-Jährigen kam so überraschend, dass nicht mal die zweitplatzierte Annemiek van Vleuten sie auf der Rechnung hatte. Die Niederländerin fuhr jubelnd über die Ziellinie, glaubte, gewonnen zu haben. „Das wusste ich nicht. Ich habe mich geirrt“, sagte die 38-Jährige enttäuscht, nachdem sie über Silber aufgeklärt wurde.

Kiesenhofer hat nun das erste Rad-Gold für Österreich seit 1896 gewonnen. Damals siegte Adolf Schmal in Athen im 12-Stunden-Rennen auf der Bahn. In ihrer Heimat sprudelten nach der Fahrt in die Geschichtsbücher die Emotionen. „Anna Kiesenhofer, was für eine Leistung! Ich gratuliere sehr herzlich zu Gold im Radstraßenrennen der Damen. Die erste Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Großartig!“, twitterte Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Niemand hatte ihr den Coup zugetraut

Vor ihrem Gold-Coup hatte Kiesenhofer nur fünf Siege gefeiert, vier davon bei nationalen Meisterschaften. Seit 2018 ist sie ohne Team. Dass sie eine gute Zeitfahrerin ist, war bekannt. Doch diesen Ritt in der Hitze am Mount Fuji hatte ihr niemand zugetraut.

Dabei war Kiesenhofer eigentlich nur angetreten, um zu verlieren. Zu groß schien die Übermacht der Niederländerinnen, die bei Olympia 2012 und 2016 und auch den vergangenen vier WM-Rennen dominiert hatten. Also griff sich die Mathematikerin, Doktorin und Expertin für partielle Differentialgleichungen ein Herz und suchte ihr Heil in der Flucht. Erst als Kiesenhofer und zwei Mit-Ausreißerinnen über zehn Minuten Vorsprung hatten, reagierten die Favoritinnen – zu spät.

Kiesenhofer fuhr unbeirrt weiter, hängte ihre Fluchtgefährtinnen ab und kam als Solistin auf die Highspeed-Rennstrecke an Japans berühmtesten Berg. Bisher waren ihre akademischen Leistungen – ein Mathematik-Master der Universität Cambridge und ein Doktortitel der Universität von Barcelona – das Aushängeschild in ihrem Lebenslauf. Das dürfte sich nun als Olympiasiegerin geändert haben. (msc/dpa)