Ohrlöcher für Kinder: Schmerzensgeld

Ist es Körperverletzung, wenn bei einem Kind Ohrlöcher gestochen werden? Diese Frage wurde erstmals vor einem Berliner Gericht verhandelt. Geklagt hatten die Eltern eines dreijährigen Mädchens, die ihrem Kind die Ohrlöcher in einem Tattoo-Studio stechen ließen.

ILLUSTRATION - Eine Mutter hält am Donnerstag (30.08.2012) in Berlin einen Ohrstecker an das Ohrläppchen ihrer zweijährigen Tochter. Nach dem Verbot der religiösen Beschneidung kommt nun die Frage vor Gericht, ob das Stechen von Ohrlöchern bei kleinen Kindern eine ähnliche Körperverletzung darstellt. Am Freitag (31.08.2012) verhandelt ein Berliner Amtsgericht in einem Zivilprozess über einen derartigen Fall. Foto: Florian Schuh dpa/lbn (zu dpa 0295 vom 30.08.2012)  +++(c) dpa - Bildfunk+++
Sind Ohrlöcher für Kinder Körperverletzung?

Das kleine Berliner Mädchen soll geweint haben, als die Ohrlöcher in einem Tattoo-Studio gestochen wurden. Und beim Arzt habe die Dreijährige noch drei Tage später traumatisch reagiert, hieß es in der Schmerzensgeldklage des Kindes, das von seinen Eltern vertreten wird. Deshalb wollten sie Geld von der Chefin des Tattoo-Studios erstreiten.

Das Amtsgericht Lichtenberg in Berlin urteilte jetzt: Das Mädchen bekommt 70 Euro Schmerzensgeld von der Inhaberin. Doch mit diesem Vergleich ist das Verfahren noch nicht beendet. Möglicherweise müssen sich die Eltern oder die Studio-Inhaberin noch wegen Körperverletzung verantworten. Das Gericht erwägt, den Fall der Staatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Beurteilung vorzulegen.

Der Grund dafür ist die Frage, ob es grundsätzlich Körperverletzung ist, wenn bei einem Kind Ohrlöcher gestochen werden. Die Eltern hatten ihrer Tochter das Ohrlochstechen zum Geburtstag geschenkt - sie habe sich das so gewünscht. Doch das Erlebnis soll schmerzhaft und traumatisch gewesen sein. Daraufhin reichten die Eltern die Schmerzensgeldklage ein.

Tätowierer unerschrocken - Ärzte beunruhigt

Nachdem der Richter angekündigt hatte, den Fall auf Körperverletzung zu prüfen, hatte es schon vorab Diskussionen gegeben. Der erfahrene Richter am Amtsgericht Berlin-Lichtenberg habe wohl das Kölner Urteil zu religiös motivierten Beschneidungen im Kopf gehabt, sagte Gerichtssprecher Ulrich Wimmer. Das Landgericht in Köln hatte im Juni die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als "rechtswidrige Körperverletzung" gewertet, die grundsätzlich strafbar sei.

Für Tattoo-Studio-Besitzer ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar: "Die Klage der Eltern ist einfach lächerlich und völlig übertrieben - das weiß doch jeder, dass das Löcherstechen wehtut", sagte der Chef eines Studios in Berlin-Marzahn, Detlef Niegisch, im Vorfeld des Prozesses. Er habe keine Bedenken, auch Kinder zu bedienen. "Das wird doch seit Jahrzehnten gemacht - warum denn auch nicht?"

Ärzte sind da anderer Meinung. "Jeder Angriff auf die körperliche Integrität ist eine Körperverletzung - auch das Ohrlochstechen", so der in Hannover und Berlin praktizierende Arzt Friedrich-Wilhelm von Hesler. "Das Kind kann nicht einwilligen und die Eltern dürfen nicht in alles einwilligen." Die Ohrringe seien eher Schmuck für die Eltern. Ob der Berliner Richter das genauso sieht, ist nicht abzusehen. Daher könne auch keine Prognose zum Prozess abgegeben werden. "Alles ist möglich", sagte Sprecher Wimmer.