„Aufenthaltsort in Russland zeitweise bekannt“Mysteriöses Verschwinden von Tengelmann-Chef Haub jährt sich

Tengelmann Jahrespressekonferenz in Mühlheim an der Ruhr DEU, DEUTSCHLAND, MUELHEIM/RUHR, 2017.07.13: JPK 2017 Tengelmann Group; Podium: Karl Erivan Haub; Agnes Farago, GF Finanzen; Zum 150. GeschaÌftsjahr bestens aufgestellt Unternehmensgruppe Tengelmann zieht deutlich positive Bilanz MuÌlheim an der Ruhr, 13. Juli 2017 Karl-Erivan W. Haub, GeschaÌftsfuÌhrender und persoÌnlich haftender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Tengelmann, blickt im Rahmen der heutigen Bilanzpressekonferenz auf ein sehr erfolgreiches JubilaÌums- GeschaÌftsjahr zuruÌck. Mit einem konsolidierten Nettoumsatz von 9,0 Mrd. Euro haben wir das Vorjahresergebnis erneut und deutlich um 8,9 Prozent uÌbertroffen! LaÌsst man die wirtschaftlichen Belastungen durch die Abgabe von Kaiser s Tengelmann außen vor, war 2016 eines unserer erfolgreichsten Jahre uÌberhaupt! Maßgeblich zu diesem Ergebnis beigetragen haben die HandelsgeschaÌftsfelder OBI, KiK
Karl-Erivan Haub bei einer Pressekonferenz
imago stock&people, imago/Ludwig Heimrath, heimifoto/L.Heimrath
von Liv von Boetticher

Am 07. April 2018 verschwindet Karl-Erivan Haub, der milliardenschwere Firmenlenker der Tengelmann Gruppe, während eines vermeintlichen Ski-Ausfluges in Zermatt. Eine privat organisierte Suchaktion sowie Recherchen von Investigativ-Journalisten legen in Folge den Verdacht nahe, dass Haub sein Verschwinden inszeniert haben könnte – oder, dass es inszeniert wurde. Eine Vielzahl von Spuren führten und führen auch heute noch nach Russland. Dennoch wurde Haub im Frühsommer 2021 rechtskräftig für tot erklärt. Ein bemerkenswerter Schritt, denn expliziten Hinweisen auf Haubs möglichen Verbleib in Russland ist das Amtsgericht Köln womöglich nicht nachgegangen. Die Entscheidung könnte möglicherweise auch auf Grundlage einer von Christian Haub, Karl-Erivans Bruder, abgegebenen Eidesstattlichen Versicherung beruhen, wonach dieser nichts über den Verbleib seines Bruders wissen soll. Doch ist so etwas glaubhaft?

Tragödie in einer milliardenschweren Familiendynastie

Karl-Erivan, Georg und Christian Haub
Die drei Brüder Karl-Erivan Haub (l), Georg Haub und Christian Haub (r)
deutsche presse agentur

Wenn es in einer Familie zu einer Tragödie kommt, dann möchten die übrigen Familienmitglieder in den meisten Fällen damit irgendwann abschließen. Um nach vorne zu schauen. Um weiterzumachen. Und im Falle einer milliardenschweren Familiendynastie vielleicht auch, um die Geschäfte nach dem plötzlichen Verschwinden des Konzernlenkers wieder in ruhigere Gewässer zu führen.

Doch im Falle des verschollenen Tengelmann-Milliardärs Karl-Erivan Haub gibt es da ein Problem: Haubs private und geschäftliche Kontakte nach Russland. Kontakte, die auch Christian Haub, dem heutigen Tengelmann-Chef, Sorgen bereitet haben könnten: Unmittelbar nach dem Verschwinden seines Bruders leitete Christian Haub umfassende Untersuchungen zu den Russland-Kontakten sowie einem möglichen Aufenthaltsort in Russland ein. Das Ergebnis dieser jahrelangen internen Recherchen findet sich in mehreren Dokumenten, welche Journalisten der Mediengruppe RTL einsehen konnten. Auch konnten die Journalisten im Februar 2021 mit Personen aus dem direkten Umfeld von Christian Haub über den Ermittlungsstand sprechen – und wurden mit spektakulären Aussagen konfrontiert.

„Aufenthaltsort von Karl-Erivan Haub in Russland zeitweise bekannt“

Laut den Aussagen der mit dem Fall eng betrauten Personen sei der Aufenthaltsort von Karl-Erivan Haub in Russland zumindest zeitweise bekannt gewesen und man erwarte „finale Beweise“ für diese Theorie um den Zeitraum rund um Ostern 2021 herum. Auf Nachfrage der RTL/ntv-Journalisten erklärten die mit dem Fall betrauten Personen, dass sich ihr Kenntnisstand auf Ergebnisse von Quellen mit Zugang zu russischen Geheimdienstkreisen stütze. Im Rahmen der journalistischen Sorgfaltspflicht konnten die RTL/n-tv-Journalisten ebenjene Quellen namentlich ermitteln: Es handelt sich dabei zum einen um den ehemaligen Stasi-Verbindungsoffizier von Wladimir Putin und zum anderen um einen ehemaligen Mitarbeiter des militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr. Beide sind inzwischen verstorben. Letzterer im Zuge einer plötzlich aufgetretenen Lungenembolie. Der unerwartete Tod könnte aus Sicht der intern bei Tengelmann mit der Suche betrauten Personen in direktem Zusammenhang mit den Russland-Ermittlungen stehen.

Nach dem Ableben der beiden deutschen Ermittler wurden neue, internationale Ermittler mit der Suche nach Karl-Erivan Haub betraut. Und ebenjene Personen sollten (Stand Februar 2021) den „finalen Beweis“ für ein Fortleben von Karl-Erivan Haub liefern. Aus Sicht der RTL/ntv-Journalisten gibt es keinen Grund, an den damals getätigten Aussagen zu zweifeln.

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Amtsgericht Köln über Zweifel am Tod von Karl-Erivan Haub informiert

Im Zuge des Aufgebotsverfahrens für die Todeserklärung haben die RTL/n-tv-Journalisten im Mai 2021 das Amtsgericht Köln über ihre Zweifel am Tod von Karl-Erivan Haub informiert und das Gericht darauf hingewiesen, dass sowohl Christan Haub als auch Personen aus seinem Umfeld möglicherweise Kenntnisse über einen potentiellen Aufenthaltsort von Karl-Erivan Haub in Russland hätten. Die darauffolgenden Reaktionen waren in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.

Christian Haubs Anwalt schießt scharf gegen Journalisten

Der Prozess findet vor dem Kölner Landgericht statt. Foto: Oliver Berg/Archiv
Das Amtsgericht in Köln hat das Verschwinden von Karl-Erivan Haub weiter untersucht
DPA

Das Amtsgericht Köln bat sowohl den Anwalt von Karl-Erivans Ehefrau Katrin und den gemeinsamen Kindern als auch den Anwalt von Christian Haub um eine Stellungnahme. Mark Binz, Christian Haubs Anwalt, äußerte sich in einem für den Anlass ungewöhnlich emotionalen Schreiben und attestierte den Journalisten ein „skrupelloses Verhalten“. Auf den folgenden drei Seiten findet im Folgenden der Versuch einer Diskreditierung der journalistischen Recherche statt. Um den Standpunkt zu untermauern, ist dem Schreiben eine Eidesstattliche Versicherung von Christian Haub beigefügt, welche jedoch einer Tatsachenüberprüfung bei mindestens zwei der vier vorgebrachten Punkten nicht standhält:

Unstimmigkeiten in der Eidesstattlichen Versicherung

Gegenüber dem Amtsgericht Köln gibt Christian Haub unter Punkt 2 an, er sei „von Anfang an davon überzeugt“ gewesen, dass sein Bruder tödlich verunglückt sei. Fakt ist jedoch, dass unmittelbar nach dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub die intern mit der Sache betrauten Personen begannen, in Russland zu ermitteln und nach den „möglichen aktuellen Kontakten des KEH“ (Abschlussbericht Projekt Zermatt RU 2, Seite 2 / Stand 08.06.2018) zu suchen. Damit wurde bereits im Juni 2018 eindeutig ein Fortleben von Karl-Erivan Haub in Betracht gezogen.

Unter Punkt 3 gibt Christian Haub außerdem an, „erstmals“ nach einem Bericht in der Zeitschrift BUNTE im November 2020, wonach sein Bruder das Verschwinden inszeniert haben könnte, einen externen Sicherheitsdienst beauftragt zu haben, „diesen Gerüchten auf den Grund zu gehen“. Nachweislich begannen die Ermittlungen mit Bezug zu der möglichen russischen Geliebten Veronika E. jedoch unmittelbar nach Haubs Verschwinden in Zermatt – und zwar unter der Leitung eines hochrangigen Tengelmann-Mitarbeiters, welcher – damals wie heute – direkt an Christian Haub berichtet. So wurde im Februar-2021-Termin den RTL/ntv-Journalisten von ebenjenem Mitarbeiter erklärt, dass unter Tengelmann-Führung unterschiedliche global agierende Ermittlungsagenturen beauftragt worden seien. Die einzelnen Ermittlungsergebnisse seien dann unter der Leitung dieses Mitarbeiters bewertet und zusammengeführt worden.

In dem Termin wurde ebenfalls auf Nachfrage der Journalisten bestätigt, dass alle Erkenntnisse auch umfassend Christian Haub zur Verfügung gestanden haben sollen. Besonders die Spuren nach Russland und zu der Russin Veronika E. wurden umgehend untersucht. Der „Abschlussbericht Projekt Zermatt RU 2“ trägt beispielsweise das Datum vom 08.06.2018 und der „Abschlussbericht Zermatt RU 3“ das Datum vom 19.06.2018. Sowohl durch die Verbindung von Zermatt und Russland im Titel der Dokumente als auch durch den Inhalt (Beschattungen von Veronika E.) wird eine eindeutige Verbindung zwischen dem Verschwinden in Zermatt und einem möglichen Aufenthaltsort in Russland (Suche nach „aktuellen Kontakten“) hergestellt. Auch ein persönlich an Christian Haub adressierter Bericht der Unternehmensberatung Alvarez & Marsal vom 07. August 2020 zeigt, dass schon weit vor der Veröffentlichung des BUNTE Artikels im November 2020 Spuren nach Russland verfolgt wurden und die zweifelhaften Kontakte von Karl-Erivan Haub intern aufgefallen waren.

Warum also teilt Christian Haub dem Amtsgericht Köln das Geschehene in dieser Form mit?

Christian Haub
Christian Haub
deutsche presse agentur

Die RTL/ntv-Journalisten konfrontierten Christian Haub mit den Widersprüchen und baten erneut um eine Stellungnahme. Ganz konkret: ob und wenn ja welche Hinweise er um den Zeitraum rund um Ostern 2021 vorgelegt bekommen hat. Fotos? Videos? Biometrische Gutachten? Passkopien? Kontobewegungen? Und falls Haub diese Hinweise als „nicht belastbar“ einstufe: auf welcher Grundlage diese Entscheidung gefällt wurde? Wurde beispielsweise ein Beraterteam hinzugezogen oder wurde das Urteil hinter verschlossenen Türen gefällt? Immerhin geht es beim Verschollenen nicht nur um einen vermissten Ehemann, Vater und Bruder – sondern auch um den Konzernlenker eines Unternehmens mit 90.000 Arbeitsplätzen und viel Verantwortung. Leider wurden diese konkreten Fragen von Haub nicht beantwortet. So heißt es in dem bei RTL/ntv eingegangenen Schreiben lediglich, man rate „dringend davon ab, in irgendeiner Weise zu insinuieren, dass die (…) Eidesstattliche Versicherung ganz oder teilweise falsch ist oder sein könnte“.

Christian Haub nun Mehrheitseigner bei Tengelmann

Kaiser's Tengelmann
Christian Haub ist jetzt Mehrheitseigner bei Tengelmann
deutsche presse agentur

Christian Haub hat nach dem offiziellen Inkrafttreten der Todeserklärung die Firmenanteile von Karl-Erivans Ehefrau Katrin Haub und ihren Kindern übernommen.

Viele Hinweise nach Ausstrahlung der TV-Doku

Unmittelbar nach Ausstrahlung der Fernsehdokumentation „Tengelmann - Das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs“ gingen bei den RTL-Journalisten Liv von Boetticher und Sergej Maier eine Vielzahl von Hinweisen und Indizien ein, welche die Russland-Theorie bestärken.

Mehr als fünf Monate recherchierten die Investigativ-Journalisten Liv von Boetticher und Sergej Maier 2021 für die RTL-Dokumentation „Tengelmann - Das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs“ im Umfeld der Familie Haub, vor Ort in Zermatt und in Russland. Im Fokus der Recherche lagen vor allem Karl-Erivan Haubs Kontakte zu dubiosen russischen Geschäftspartnern und der mutmaßlichen russischen Geliebten Veronika E., welcher Verbindungen zum russischen Geheimdienst nachgesagt werden. Die Journalisten recherchieren auch weiterhin an dem ungelösten Fall.

Der Dokumentarfilm zum mysteriösen Verschwinden ist bei RTL+ abrufbar.