Mein Leben mit der Schwerhörigkeit
"Manchmal ist weniger hören auch ein Segen"

Schwerhörigkeit – da denkt man an Oma und Opa, die aufgrund des Altersverschleißes der Ohren Hörgeräte tragen. Auch immer mehr jüngere Menschen sind von Hörstörungen betroffen. Zu viel Lärm und Stress im Alltag sowie bestimmte Krankheiten können dauerhafte Schäden an den Ohren verursachen. Bei mir ist das anders. Ich bin seit meiner Geburt schwerhörig und kenne es gar nicht anders.
Ich trage seit meiner Einschulung Hörgeräte an beiden Ohren. Sie sind eine große Hilfe und längst selbstverständlich für mich. Dadurch, dass ich als Kind bereits mit meiner Schwerhörigkeit konfrontiert wurde, habe ich mich insgesamt gut damit arrangiert. Die Technik der Hörhilfen wird auch immer besser. Doch gewisse Hindernisse im Alltag gibt es trotzdem immer wieder.
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Die Gründe für eine angeborene Schwerhörigkeit sind vielfältig. Ich hatte direkt nach meiner Geburt die Gelbsucht. Das ist nur eine von vielen möglichen Ursachen. Der genaue Grund für meine Schwerhörigkeit wurde abschließend nicht geklärt. Es war mir lange auch nicht wichtig. Erst in letzter Zeit habe ich vermehrt Fragen zum damaligen Diagnoseverfahren. Hier im Fokus: Warum hat die Diagnose „Schwerhörigkeit“ so lange auf sich warten lassen? Es dauerte Jahre, bis ein HNO-Arzt meiner Mutter Recht gegeben hat, dass ihr Sohn wirklich schlecht hört und nicht einfach nur „nicht hören will“. Meine Innenohrschwerhörigkeit war Anfang der 80er Jahre nicht so einfach zu diagnostizieren.
Heutzutage gibt es Screenings für Neugeborene, mit denen man untersucht wird, ob sie schwerhörig sind. Die Deutsche Kinderhilfe hat bei ihrer Aktion Frühkindliches Hören errechnet, dass bei 1000 Geburten etwa 2 bis 3 Kinder mit einer Hörstörung auf die Welt kommen,
„Ey, bist du schwerhörig, oder was?“
Ob jung oder alt – viele Menschen in Deutschland leiden an Hörbeeinträchtigungen. Auch wenn es aktuell keine genauen Zahlen gibt (die letzte Erhebung ist aus dem Jahr 1999), gehen Schätzungen des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) von 19 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung aus.
Ich bin mittelgradig schwerhörig (das entspricht einem Hörverlust zwischen 40 bis 60 Dezibel) und kann auch ohne Geräte noch etwas hören, zumindest in einem kleinen Radius um mich herum. Doch normalen Gesprächen vernünftig zu folgen, wäre ohne die Hörhilfe nicht möglich oder sehr umständlich für mich und mein Umfeld.
Wenn ich im Gespräch trotz meiner Hörgeräte nicht alles verstehe, hilft nur eins: ruhig bleiben und weiter nachfragen. Manchmal muss ich aber auch akzeptieren, dass ich etwas nicht verstanden habe. Im sozialen Kontext kommt man da nicht immer drumherum. Das kennen auch Menschen ohne Hörbeeinträchtigungen.
„Sag mal, hörst du schlecht?“ oder „Ey, bist du schwerhörig, oder was?“ dagegen werde ich selten gefragt, da ich mit meiner Hörbehinderung ziemlich offen, locker und recht offensiv umgehe. Wenn es mal vorkommt, sag ich einfach „Ja!“ und löse die Situation damit recht locker auf. Sehen kann man die Hörgeräte und damit meine Behinderung auf den ersten Blick ja nicht. Aber eigentlich wissen fast alle Menschen aus meinem Umfeld Bescheid.

Mein Leben mit der Schwerhörigkeit
Schwerhörige können oft Konsonanten nicht so gut verstehen und auseinanderhalten. Manchmal ergibt ein gehörter Satz hinten und vorne einfach keinen Sinn. Deswegen hilft es mir sehr, von den Lippen abzulesen. Das mache ich ganz automatisch. Ich höre gefühlt doppelt so gut, wenn ich nebenbei die Bewegung der Lippen scanne. Auch wenn ich mal paar Worte nicht verstehe, kann ich oft ganz gut aus dem Kontext herausschließen, was gerade gesagt wurde. Diese Kompensationsstrategien habe ich seit meiner Kindheit entwickelt.
Entgegen der Prognosen der Ärzte hatte ich beim Spracheerwerb keine größeren Probleme – im Gegenteil. In der Schule gehörten Rechtschreibung, Fremdsprachen und Musik zu meinen Lieblingsfächern und ich hatte darin immer gute Noten. Später habe ich Musikwissenschaft und Germanistik studiert. Musik ist meine größte Leidenschaft. Ich höre sehr viel Musik, lege Platten auf, gehe oft auf Konzerte oder in Clubs tanzen.
Meine Behinderung merke ich besonders, wenn das System ausfällt oder an seine Grenzen stößt - sprich: wenn ein Hörgerät kaputt ist oder die Batterien im falschen Moment leer sind oder wenn ich meine Geräte beim Sport oder beim Schwimmen nicht tragen kann – aber auch in ganz normalen Alltagssituationen, zum Beispiel wenn der Fernseher zu leise ist oder auf dem Arbeitsplatz geflüstert wird.
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Manchmal ist meine Hörbeeinträchtigung aber auch ein Vorteil. Ich kann zum Beispiel in lauter Umgebung meistens problemlos einschlafen. Wenn mir der Straßenlärm oder die Hintergrundgeräusche am Arbeitsplatz zu viel werden, nehme ich einfach meine Hörgeräte heraus und habe direkt mehr Ruhe. Das ist fast schon ein Privileg in unserem oft zu lauten Alltag.