Zum Tod der NBA-Ikone Kobe Bryant
"Dear Kobe": Nachruf auf eine NBA-Legende
Von Emmanuel Schneider
Der Tod von Kobe Bryant hat Millionen Menschen weltweit tief bewegt. Kobe hatte nicht das Talent von Michael Jordan oder Kareem Abdul-Jabbar und doch wurde er neben diesen Ikonen zum besten Basketballer der Geschichte. Ein fünfmaliger NBA-Champion, 18-maliger Allstar, ein Spieler, getrieben von Ehrgeiz, Arbeitseifer und einer außergewöhnlichen Liebe zu seinem Spiel, die er unlängst durch einen Oscar-prämierten Kurzfilm zum Ausdruck brachte. Dennoch war er mehr als ein "Arbeitstier". Ein Hubschrauber-Absturz am 26. Januar 2020 riss den Familienvater mit nur 41 aus dem Leben, gemeinsam mit seiner Tochter Gianna (13). Ein Nachruf auf eine NBA-Legende.
Einfach nur Kobe
Es gibt eine alte Regel im Basketball. Wenn die Fans nur deinen Vornamen rufen, die Kommentatoren deine Highlights mit diesem kommentieren, bist du ein ganz Großer: Michael, Dirk, Wilt, LeBron - oder eben Kobe.
Jeder Basketballfan, vermutlich jeder Sportfan auf diesem Globus weiß, wer gemeint ist, wenn von Kobe die Rede ist. Kobe Bryant. Und ja, oft schieden sich die Geister an seinem Spiel, dem Auftreten, der Attitude. Aber eines vereinte seine unzähligen Fans und auch seine Kritiker: der Respekt. Respekt vor dem Einsatzwillen, dem Ehrgeiz, dem Instinkt, im richtigen Moment das Richtige zu tun. Kobe tat sehr oft das Richtige.
2006: Kobe Bryant im Scoring-Himmel
Zum Beispiel am 22. Januar 2006, als die Basketball-Welt kurz stehenblieb, die Scheinwerfer in der Glitzer-City Los Angeles nur auf einen gerichtet: Kobe warf sich gegen die Toronto Raptors in eine eigene Sphäre - er war wieder mal auf Planet Kobe - und katapultierte seine Ausbeute auf sagenhafte 81 Punkte. Es war eine Nacht, die kein Basketballfan so schnell vergessen wird und den Glauben zurückbrachte, die magische 100-Punkte-Schallmauer anzugreifen. Danach gelang es keinem NBA-Spieler mehr, in die Nähe dieser Marke zu kommen (den Rekord hält Wilt Chamberlain, der 1962 100 Punkte erzielte). Obwohl wir damals noch in der Pre-Twitter und -Instagram-Zeit lebten, war der Kobe-Rummel immens. Heutzutage würde diese Leistung das Netz implodieren lassen. Komplett auf links drehen. Die "Black Mamba" hatte zugebissen.
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Kobe war nicht nur ein Spieler oder ein Star der legendären Los Angeles Lakers, er WAR die Los Angeles Lakers. Für 20 Jahre, in denen er stets das Lakers-Trikot trug. Er war DAS Gesicht der NBA und die Inspiration für eine ganze Garde junger Sportler.
Nach seinem Debüt 1996 entwickelte er sich schnell zu einem der besten Spieler seiner Generation. Egal, was er in die Hand nahm, er machte es mit nach Perfektion strebender Passion. Kobe war Mensch gewordene Professionalität. Die Geschichten und Gerüchte um seine "Work ethic", seinem Trainingseifer, sind legendär. Jeder NBA-Spieler, jeder NBA-Fan kennt eine dieser Kobe-Storys (nachts mit dem Fahrrad durch die Wüste gefahren), durch die sogar ein eigener Name geschaffen wurde: die Mamba-Mentality, in Anlehnung an seinen Spitznamen "Black Mamba". Diesen eiskalten Einsatzwillen verlangte er nicht nur von sich selbst, sondern auch von Mitspielern.
Immer wieder geriet er daher mit Spielern und Trainern aneinander. Wenn andere nicht seine Prinzipien verfolgten, nicht spurten, dann knallte es. Und dennoch: NBA-Spieler erzählten immer wieder, was sie in der Liga als erstes erreichen wollten: den Respekt von Kobe.
Welch riesigen Einfluss er hatte, zeigte sich in der Welle der Anteilnahme und Trauer, die nach seinem Tod von den USA um die ganze Welt ging. Spieler, Trainer, Fans, Freunde - alle vereint in Trauer um einen der Größten. Dirk Nowitzki postete ein gebrochenes Herz. Die Sprachlosigkeit, versucht in Worten auszudrücken, dröhnte durch die Sozialen Netzwerke.
Dolce Vita in Italien
Kobe, geboren in Philadelphia, wuchs weit weg vom NBA-Rummel auf. Er folgte als kleines Kind seinem Vater, dem früheren NBA-Spieler Joe "Jelly Bean" Bryant nach Italien. Im Land von Calcio und Pizza lernte er in den neun Jahren fließend italienisch und wurde großer AC-Mailand-Fan. Später ging es zurück in die Staaten, wieder in einen Vorort von Philadelphia.
Den Umweg über das College, den Nachwuchssportler in den USA für gewöhnlich gehen, ließ der hochbegabte Frühzünder aus. Als 17-jähriger Grünschnabel war er ein Trendsetter. 1996 wechselte Kobe als einer der ersten direkt von der Highschool in die NBA, trat damit einen Trend los, dem die NBA später einen Riegel vorschieben sollte, da die jungen Spieler oft noch nicht reif genug für die Profiliga waren.
Kobe Bryant = NBA-Legende
Auch der Motor des jungen Kobe hatte noch Fehlzündungen, doch er lernte schnell. In seinen ersten Playoffs verhagelte er den Auftritt, warf mehrere "Air Balls" (Bälle, die nicht den Ring berühren), Fans lachten ihn aus. Was machte Kobe? Stellte sich anschließend die ganze Nacht und den folgenden Tag in die Halle und warf Dreier - immer wieder. Solch eine Schmach sollte ihm nicht wieder passieren.
Was folgte, ist Geschichte. 20 Jahre (1996 - 2016) schindete er sich für sein Team - das Glamour-Team der Los Angeles Lakers. In der Star-Metropole holte er fünf Titel, wurde als MVP (Wertvollster Spieler der Liga) ausgezeichnet und 18-maliger All-Star.
Prinz Kobe - ein legitimer Nachfolger von NBA-König Michael Jordan Anfang bis Ende der 2000er Jahre. Zusammen mit Koloss Shaquille O'Neal bildete er in LA eines der besten Duos der Geschichte. Gecoacht vom legendären Trainer Phil Jackson, der auch Michael Jordan groß gemacht hatte, feierten sie drei Meisterschaften in Folge (2000-2002).
Doch immer wieder gab es zwischenmenschliche Probleme im Team, die Mannschaft war für die beiden Alphatiere Kobe und Shaq zu klein. "Shaq Attack" musste weg, er landete in Miami, Kobe erhielt hingegen einen Langzeitvertrag in Kalifornien. Aber Auch Jackson flüchtete aus LA und schrieb später ein Buch, in dem er Kobe als „Uncoachable“ (Untrainierbar) bezeichnete.
Kobe brachte das Spiel auf ein neues Level
Doch Jackson kehrte zurück, die beiden rauften sich zusammen und holten 2009 und 2010 wieder zwei Titel. Bryant bewies in dieser Zeit, dass er ein Team auch praktisch im Alleingang zu Meisterehren führen kann. Mit dem US Dream Team holte er fast nebenbei noch zwei Goldmedaillen bei Olympischen Spielen (2008 und 2012).
Fakt ist auch: Kobe brachte das Spiel auf ein neues Level. Er nahm den Staffelstab, den ihm der vielleicht beste Spieler aller Zeiten, Michael Jordan, überreicht hatte, nicht nur in die Hand, er spurtete damit los, machte einen seiner patentierten Spinmoves und Dunks. Zusammen mit anderen Größen wie Vince Carter, Shaquille O'Neal oder Allen Iverson hielt er die Liga hip und cool, er hievte sie ins Internetzeitalter mit seinen Instant-Replays und massentauglichen Highlightclips. Kobe war der perfekte Spieler seiner Ära.
Bryant war besessen vom Erfolg und ein eiskalter Vollstrecker auf dem Feld. Und so verabschiedete er sich 2016 auch im Kobe-Style in die viel, viel zu kurze Rente. In seinem letzten Spiel am 13. April 2016 warf er gegen die Utah Jazz als One-Man-Show 50 Mal auf den Korb und erzielte 60 Punkte. Kobe halt. Am Ende hielt er eine Abschiedsrede, die er mit Mic Drop und den Worten "Mamba Out" beendete. Ein Jahr später zogen die Lakers Trikots mit seine beiden Trikotnummern 8 und 24 an die Hallendecke - sie werden nie wieder vergeben.
Kobe und seine Frau waren seit über 20 Jahren ein Paar
Die Liebe seines Lebens lernte er vor zwanzig Jahren kennen. Bei einem Videodreh liefen sich Kobe und Tänzerin Vanessa Cornejo Ubrieta Laine über den Weg. Zwischen den beiden funkte es schon nach den ersten Dates. 2001 heiratete das junge Paar, zum Ärger seiner Eltern. Wie Kobe in einem Interview erzählte, war sein Vater nicht mit der lateinamerikanischen Abstammung seiner Vanessa einverstanden, es folgte der Bruch mit der Familie. Mehrere Familienmitglieder fehlten bei der Trauung. Kraft gab ihm die Geburt seiner ersten Tochter Natalia im Jahr 2003. Später vergrößerten die drei weiteren Töchter Gianna, Bianka und Capri (geboren 2006, 2016 und 2019) die Familie Bryant.
Einen Tiefpunkt erlebte die Beziehung der beiden im Geburtsjahr ihrer ersten Tochter. 2003 stand Kobe wegen sexueller Belästigung vor Gericht. Eine 19-jährige Hotelangestellte aus Colorado beschuldigte ihn, sie vergewaltigt zu haben. Später zog sie die Anzeige zurück, das Verfahren wurde eingestellt, ein Zivilverfahren endete im Jahr darauf mit einer außergerichtlichen Einigung. Das Saubermann-Image von Kobe litt, Werbepartner sprangen ab. Mit astreiner Leistung auf dem Parkett kämpfte sich der Lakers-Star zurück.
2011 folgte ein erneuter ein Rückschlag. Vanessa gab bekannt, die Scheidung einreichen zu wollen. Doch Kobe wollte seine Frau unbedingt zurückerobern. Er brachte sich - Stichwort Mamba Mentality - selbst Klavierspielen bei, um sie zu beeindrucken. Ganz ohne Unterrichtsstunde, einfach nach Gehör. Das Paar fand sich wieder, die Krise schweißte beide noch enger zusammen, erst im vergangenen Jahr freuten sie sich über Tochter Nummer vier.
Sogar den Oscar holte Kobe
Kobe liebte den Basketball wie vielleicht niemand sonst auf diesem Planeten. Mit seinem Drehbuch für den animierten Kurzfilm „Dear Basketball“, einer Liebeserklärung an seinen Sport, gewann er 2018 einen Oscar und machte klar, dass er die Welt nach seinem Rücktritt vom aktiven Sport weiter mit großer Emotionalität und Außergewöhnlichem bereichern würde.
Doch es kam anders. Am 26. Januar 2020 endete Bryants Reise abrupt und aus dem Nichts. Er war - natürlich - auf dem Weg zu einem Basketballspiel bei seiner "Mamba Academy", wollte seine älteste Tochter Gianna anfeuern, aus der er einen neuen Basketball-Star formen wollte. Auch ihr Leben endete viel zu früh, sie kam gemeinsam mit ihrem Papa ums Leben, als der Hubschrauber im dichten Nebel an einer Felswand zerschellte.