"Ich habe Arbeit für dich, zieh dich gut an" - Zwangsprostitution in Deutschland

Mit diesem Satz beginnt für Jana Koch-Krawczak der Weg in die Zwangsprostitution. Mit 15 Jahren und einer nicht ganz so leichten Kindheit verliebt sie sich in einen Mann, bei dem sie Geborgenheit und Halt sucht. Als typischer 'Loverboy' interessiert er sich jedoch nicht für ihre Liebe, sondern will nur ihren Körper verkaufen. "Mit einem Knall war die Liebe vorbei und ich mitten drin in der Zwangsprostitution." Ein abgekartetes Spiel, bei dem die junge Frau über Monate hinweg den Kürzeren zieht. Die heute 36-Jährige hat den schweren Ausstieg geschafft und setzt sich jetzt durch sozialpädagogische Präventionsarbeit für Frauen ein, die dasselbe durchleben müssen, wie sie.
Für die gebürtige Polin endet mit 15 Jahren nicht nur ihre Kindheit mit einem Schlag, auch ihre Freiheit wird ihr von einem auf den anderen Tag entrissen: "Gestern spielte ich noch mit dem Sohn des Bordellbesitzers, am nächsten Tag musste ich für seinen Vater anschaffen gehen. Ich war schutzlos ausgeliefert."
Ein bitteres Los damals für die junge Frau. Doch mit ihrem Schicksal ist sie nicht alleine. Ganz im Gegenteil: Dieses Problem zeigt sich immer häufiger im "ältesten Gewerbe der Welt". Werden Frauen zur Liebesarbeit gezwungen, handelt es sich um nichts anderes als ein Verbrechen.
Denn es gibt für sie in der Zwangsprostitution kein Entrinnen: Die meisten arbeiten ohne Sicherheit, in Angst unter Druck und Zwang, wie Jana es selber auch erleben musste: "Wenn man am Leben bleiben wollte, hielt man sich fern von den Zuhältern. Denn jeder wusste, was einem drohte, wenn man sich widersetzte." Um ihre Arbeit zu ertragen, ertränken viele ihren Frust in Alkohol oder nehmen Drogen, die sie in die schnelle Sucht treiben.
Gerade in Deutschland ist die 'Loverboy'-Methode weit verbreitet. Dabei halten junge Männer gezielt Ausschau nach unsicheren Frauen, wickeln sie mit Komplimenten und Versprechungen um den Finger, gehen mit ihnen eine Beziehung ein. Nach kurzer Zeit wendet sich dann das Blatt. Dann heißt es wie bei Jana: "Ich habe Arbeit für dich, zieh dich gut an." Aus Angst, ihren vermeintlichen Freund zu verlieren, machen es manche Betroffene zu gewissen Maße 'freiwillig' noch mit – doch dann ist es meistens schon zu spät und der sichere Weg in die Zwangsprostitution besiegelt.
Die Dunkelziffer der betroffenen deutschen Frauen ist hoch - Experten gehen von zehntausenden Opfern pro Jahr aus. Noch höher ist sie bei Frauen aus dem Ausland, denn "dort, wo es viel Armut gibt, gibt es auch viel Prostitution", so die Hilfsorganisation SOLWODI. Der Großteil der Zwangsprostituierten stammt aus Osteuropa - teilweise aber auch aus dem westafrikanischen Raum. Gerade in Ländern wie Rumänien und Bulgarien, in denen hohe Arbeitslosigkeit herrscht, bekommen Frauen an allerletzter Stelle einen Job. In diesen Ländern versprechen Zuhälter oder Menschenhändler den Frauen ein besseres Leben - ein Leben im Luxus durch fiktive Arbeitsangebote als Putzfrau oder Kindermädchen.
Wegen mangelnder Bildung, Perspektivlosigkeit und aus Angst bleibt ihnen oft nichts Anderes übrig und sie begeben sich in die Hände von Menschenhändlern, die sie dann nach Deutschland schleusen. "Mir besorgten sie einen Ausweis für eine 18-Jährige, als ich 15 war. Den musste ich mit Sex abbezahlen, ob ich wollte oder nicht", beschreibt Jana aus ihrer eigenen Erfahrung. Freier, Zuhälter, Menschenhändler und organisierte Verbrecher profitieren von der Not dieser Frauen – Beweis dafür lieferte auch die europaweite Kontrollaktion des Bundeskriminalamtes zur Bekämpfung des Menschenhandels im April 2016.
"Durch meine Arbeit will ich die Situation der Frauen verbessern und etwas verändern!"
Für Jana endet das Martyrium in der Zwangsprostitution nach eineinhalb Jahren. Ein großes Glück, denn sie lernt ihren Mann kennen, der ihr den Ausstieg ermöglicht. Der Startschuss für ein neues Leben. Mit Blick auf die Vergangenheit war es für Jana nicht nur körperlich eine bittere Erfahrung, sondern hat auch in ihrer Seele Narben hinterlassen.
Doch heute setzt sie sich selbst für Prostituierte in Zwangslagen ein. Dabei leistet sie sozialpädagogische Aufklärungsarbeit und kann ihre innere Stärke an Betroffene weitergeben - und den Frauen wieder ein Lächeln schenken, die es schon lange verloren haben. Als Referentin hält sie Vorträge zum Thema 'Loverboys' und hilft Opfern in Not. Ihr Ziel ist klar: "Ich will die Situation der Frauen verbessern und etwas verändern." Denn für die wenigsten Frauen ist der Ausstieg einfach.
An diesem Punkt setzen auch Vereine wie 'SOLWODI e.V.' an. Die Menschenrechts- und Hilfsorganisation bietet ganzheitliche psychosoziale Betreuung und Beratung für Frauen in Zwangslagen an. In Beratungsgesprächen, Bewerbertrainings und Sprachkursen entwickelt der Verein mit Ex-Prostituierten oder noch aktiven Sex-Arbeiterinnen neue Perspektiven für ihre Zukunft. Mehr noch, in Zusammenarbeit mit der Justiz können die Frauen eine neue Identität annehmen. Dabei bietet der Verein den Betroffenen zusätzlich Sicherheit in Schutzhäusern.
"Ich mache das freiwillig, weil ich muss!" Ein Satz, den die Berater der Vereine häufig zu Ohren bekommen, denn finanzielle, soziale Nöte und Abhängigkeiten sowie Existenzangst im eigenen Land lassen immer häufiger Frauen in Deutschland zu Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhandel werden. Ein Armutszeugnis und Rückschritt für Menschlichkeit und Solidarität.


