Verehrt und verdammt – nur kalt ließ er keinenDiego Maradona wird 60: Ein Leben zwischen Ball, Lust und Leiden

Genie und Wahnsinn sollen ja oft beieinander liegen, Diego Maradona ist der beste Beweis dafür. In Argentinien, und nicht nur dort, ist er bis heute ein Volksheld – trotz all seiner Verfehlungen. Gebrochene Verträge, kriminelle Machenschaften, Haft- und Geldstrafen, Kokain-Partys, uneheliche Kinder, Dopingvergehen, Steuerhinterziehung, Luftgewehr-Schüsse auf Journalisten, Körperverletzung – seine Fans haben ihm alles verziehen, weil er einer der besten Fußballer der Welt war. Heute wird Diego Armando Maradona 60 Jahre alt.
Fußball-Legende war dem Tod oft nah
Dass er überhaupt seinen 60. Geburtstag erreicht hat, darüber wundern sich nicht wenige. Unvergessen sind die Bilder des kugelrunden Maradona als über 100 Kilo-Brocken mit blondiertem Haar, der Kokainsüchtige verbrachte mehrere Wochen in Krankenhäusern und schrammte mehrfach am Tod vorbei.
Der argentinische Weltmeister-Trainer César Luis Menotti sagte kürzlich zur „Sport Bild“, dass Maradona die Heldenverehrung in seiner Heimat und nahezu jedem Land auf der Erde nicht gut getan habe: „Er hielt sich für unverwundbar, wie ein Gott. Dafür musste er bezahlen - mit seiner Gesundheit.“ Der frühere Mittelfeldregisseur Günter Netzer stellt mit Blick auf Maradonas turbulentes Leben fest, dass man sich nicht mehr die größten Sorgen um ihn machen muss und dass „er seine Lebenskrise, die da entstanden ist nach dem Fußball, anscheinend gemeistert hat.“
Mythos Maradona
Die Legende beginnt in der Siedlung Villa Fiorito am Rande von Buenos Aires, Diego wird dort als fünftes von acht Kindern geboren. „El Pibe de Oro“ (der Goldjunge) wird früh entdeckt. Im Alter von 15 Jahren gibt er für die Argentinos Juniors sein Debüt in der ersten Liga, mit 16 ist er Nationalspieler, mit 17 Torschützenkönig und als 19-jähriger erstmals Südamerikas Fußballer des Jahres. Der nur 1,65 m große Maradona überragt alle, lebt aber auf der Überholspur.
In seiner Zeit beim FC Barcelona (1982-1984) kam er zum ersten Mal mit Kokain in Kontakt. Nach zwei Jahren bei den Katalanen wechselte der Ausnahme-Fußballer zum SSC Neapel für die damalige Rekordablösesumme von 21,8 Millionen Mark.
In der süditalienischen Hafenstadt nahm sich die Camorra seiner an, versorgte ihn mit Drogen und Prostituierten. „Kurz nach seiner Ankunft in Neapel war Diego Maradonas schönes Auto verschwunden“, schrieb der Sportjournalist Hans Blickensdörfer, „doch erhielt er zwei Tage später von sehr ehrenwerten Herren einen Brief, in dem er zu einem gemütlichen Abendessen mit vernünftiger Aussprache eingeladen wurde. Die Signori stellten ihn unter ihren Schutz, was nach neapolitanischem Selbstverständnis mit gewissen Gebühren verbunden ist, und selbstverständlich stand der Mercedes am nächsten Tag wieder vor seiner Haustür.“
In Neapel stieg Maradona zum „Halbgott“ auf. 1987 und 1990 führte er Napoli zu den bis heute einzigen Meisterschaften der Vereinsgeschichte. Schon bei seiner Begrüßung hatten mehr als 70.000 Fans ihn im „Stadio San Paolo“ empfangen.
1989 gewann der SSC zudem den UEFA-Pokal (heute Europa League). Im Halbfinale schalteten die Italiener den FC Bayern aus. Wer beim Rückspiel in München (2:2) gesehen hat, wie sich Maradona vor dem Spiel mit offenen Schuhen aufgewärmt hat und dabei den Ball jonglierte, wird das nie vergessen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, aus den Lautsprechern des Olympiastadions tönte der Welthit „Life is Life“ (Opus) und Diego tanzte und zauberte dazu - ganz alleine mit dem Ball.
Die Hand Gottes

Bei der WM 1986 stieg Maradona endgültig in den Olymp auf. Am 22. Juni im Azteken-Stadion von Mexiko City vor 114.580 Zuschauern erzielte er im WM-Viertelfinale gegen England (2:1) das berühmteste Hand-Tor in der Geschichte des Fußballs - es war die 1:0-Führung in der 51. Minute. „Als der Ball kam“, erzählte Maradona später, „habe ich die Augen zugemacht, und so war es ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen der Kopf Maradonas.“
Günter Netzer verurteilte das ergaunerte Tor: „Für einen Spieler seiner Kategorie war dieses Tor einfach unwürdig.“
Im selben Spiel ließ das Schlitzohr nur vier Minuten später das „WM-Tor des Jahrhunderts“ folgen. Er setzte in der eigenen Hälfte zu einem atemberaubenden Solo an, umkurvte sechs Engländer einschließlich Torhüter Peter Shilton und schoss zum 2:0 ein. Maradonas Biograf Sergio Levinsky sagte zur „Bild am Sonntag“: „Hier in Argentinien dreht sich alles um Fußball. Und Maradona hat zwei fundamentale Dinge erreicht: Er hat die WM gewonnen und er hat zwei historische Tore gegen England gemacht – mitten im Falklandkrieg.“ Der 22. Juni ist heute der Tag des Fußballs in Argentinien. 1986 wurde Argentinien Weltmeister durch einen 3:2-Erfolg im Finale gegen Deutschland. Maradonas tödlicher Pass auf den Siegtorschützen Burruchaga ist den deutschen Fußball-Fans noch in Erinnerung („Toni halt den Ball – nein“).
Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb das Phänomen Maradona einst auf diese Art und Weise: „Sein Spiel war Kunst, seine Pässe atmeten Freiheit, seine Dribblings durchbrachen Mauern, und wenn er seine Hand, die den Ball ins gegnerische Tor befehligte, als die Hand Gottes ausgab, dann glaubte man ihm.“
Skandale pflastern seinen Weg
In den letzten Fußballer-Jahren sah man Maradona auf der Suche nach dem nächsten Kick immer häufiger in Nachtklubs als auf den Fußballplätzen. Skandale um den Weltmeister waren normal: Alkoholexzesse, Kokain-Partys, Frauengeschichten, eine positive Dopingprobe bei der WM 1994.
Seine aktive Fußballer-Karriere beendete das Fußball-Genie 1997 bei den Boca Juniors. Am 30. Oktober, seinem 37. Geburtstag, verkündete Maradona zum mittlerweile 8. Mal (!) seinen Rücktritt, doch diesmal war es dann tatsächlich der letzte. Vor Maradonas Haus in Buenos Aires spannten Fans ihrem Idol ein Transparent: „Am 30.10.1960 wurde Gott geboren. Heute wird er 37. Herzlichen Glückwunsch, Diego.“ Die argentinische Zeitung „Clarin“ brachte eine 16-seitige Sonderausgabe heraus und titelte melancholisch: „Der Ball wird Waise.“
In den Jahren nach seiner aktiven Karriere hatte Maradona wegen seines ausschweifenden Lebenswandels mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Herzinfarkte, Magenverkleinerungen, Hepatitis, extremes Übergewicht – doch er schaffte es immer wieder auf die Beine zu kommen.
Dass ein Mann mit dieser Vorgeschichte 60 Jahre alt wird, ist beinah ein Wunder.
Alles Gute zum 60. Geburtstag!

Zu seinem 60. Geburtstag freut sich Diego Maradona über ein besonderes Geschenk. Seit September 2019 ist er Trainer des Erstligisten Gimnasia y Esgrima La Plata und nach einer langen Corona-Pause legt an diesem Freitag die argentinische Liga wieder los. Maradona darf mit seiner Mannschaft das Saison-Auftaktspiel bestreiten. Vor dem Spiel wird das Geburtstagskind in einer Zeremonie geehrt.
"Der Ball und er kamen zusammen auf die Welt, wie beim Tango", ist sich Weltmeister-Trainer César Luis Menotti sicher.
Trotz der Skandale, der Verfehlungen und der Peinlichkeiten bleibt Diego Armando Maradona ein weltweit verehrter Fußballspieler.




