West Ham United - 1860 München
Die Münchner Löwen verpassen vor 55 Jahren in London den ersten deutschen Europacup-Erfolg

Wembley, 19. Mai 1965. Im englischen Fußball-Tempel haben sich 97.974 Zuschauer eingefunden, um das Europapokal-Finale zwischen München 60 und West Ham United zu sehen. Die Sechziger haben die große Chance, als erste deutsche Mannschaft einen Europapokal nach Deutschland zu holen.
Fünf Jahre zuvor war Eintracht Frankfurt im Landesmeister-Cup-Finale mit 3:7 an Real Madrid gescheitert, nun griff die Mannschaft von Trainer Max Merkel nach dem Euro-Pott.
Warum Beckenbauer kein Löwe wurde

Mitte der 60er Jahre waren die Löwen eine Top-Adresse im deutschen Fußball. Die Bundesliga-Saison 1964/65 beendete 1860 auf Platz vier. Durch ein 2:0 gegen Eintracht Frankfurt gewann das Team von der Grünwalder Straße den Pokal. Spieler wie Torwart Petar Radenkovic, Timo Konietzka oder Rudi Brunnenmeier sind Namen, die noch heute jedem Löwen-Fan auf der Zunge zergehen. Aus dieser erfolgreichen Zeit rekrutiert sich noch heute die große Fangemeinde der Sechziger.
Ein großer Fan der Löwen war auch der junge Franz Beckenbauer, der unbedingt zu den Sechzigern wechseln wollte - doch das verhinderte eine folgenschwere Ohrfeige. 1958 als Zwölfjähriger spielte der junge Franz mit seinem SC 1906 aus Obergiesing gegen die Löwen, nach einem harten Zweikampf geriet er mit seinem Gegenspieler aneinander. Nach einigen Beleidigungen verpasste der Verteidiger der Sechziger, als der Schiedsrichter sich wegdrehte, seinem Gegner eine Watschn. „Es war eigentlich klar, dass ich zu Sechzig gehe“, erinnerte sich Beckenbauer, „aber nach der Watschn habe ich gesagt: Zu dem Verein gehe ich nicht.“
Statt zu 60 ging Franz Beckenbauer dann zum FC Bayern – und startete eine Weltkarriere.
Bin ich Radi – bin ich König!
Über US Luxembourg, den FC Porto und Legia Warschau erarbeiteten sich die Münchner den Weg ins Halbfinale. Dort traf die Merkel-Mannschaft auf den AC Turin.
Im Hinspiel unterlag Sechzig mit 0:2, im Rückspiel vor 40.000 begeisterten Fans an der Grünwalder Straße drehten die Löwen das Ergebnis, führten bereits mit 3:0, doch eine Viertelstunde vor Schluss mussten die Münchner doch noch das 3:1 hinnehmen.
Da es damals die Auswärtstor-Regel noch nicht gab, musste ein drittes Spiel entscheiden, das in Zürich ausgetragen wurde.
In seinem Buch „König Fußball“ erzählt der Autor Peter Berger: „Eine Invasion von Münchener Fußballfans setzt sich nach Zürich in Marsch. Sintflutartiger Regen geht während des ganzen Spiels auf das historische Letzigrund-Stadion hernieder, aber keiner der Zuschauer bereut seine Reise in die Schweiz. Atemberaubende neunzig Fußballminuten rollten ab, faszinierender konnte man sie sich nicht vorstellen. Der Held von Zürich war Petar Radenkovic, der lange Torsteher aus Jugoslawien, dessen erste von ihm besungene Schallplatte: `Bin ich Radi – bin ich König!´ sich eben anschickte ein Hit zu werden. In Zürich war der Radi König. Seine phantastischen Paraden demoralisierten die italienischen Stürmer und rissen die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hin.“
2:0 siegte München durch Tore von Hans Rebele (59.) und Otto Luttrop (90.) per Elfmeter und zog damit ins Europacup-Finale ein.
Fredi Heiß: In einem anderen Stadion hätten wir West Ham geschlagen

Im Endspiel bekam es Sechzig mit West Ham United zu tun, mit einem Klub aus dem Londoner Osten. Ärgerlich, denn so wurde das Finale in Wembley zu einem Auswärtsspiel für die Deutschen. Die 10.000 angereisten Fans aus München waren klar in der Unterzahl.
„Dramatisch schon die ersten Minuten“, so steht es im Buch „König Fußball“, „auch Brunnenmeier hat eine Gelegenheit, verfehlt jedoch um Zentimeter. Linksaußen Sissons, das Herz steht den 10.000 Schlachtenbummlern aus Deutschland still, steht nur drei Meter vor dem deutschen Tor! Aufatmen, auch er hat diese große Chance vergeben. Von der ersten Halbzeit sagten die Engländer, dass das Wembley-Stadion lange nicht mehr so eine spannende erste Halbzeit erlebt habe.“
0:0 heißt es zur Pause. West Ham, das große Stars in seinen Reihen hatte wie Bobby Moore oder Geoff Hurst, setzte die Löwen weiter unter Druck. Torhüter Petar Radenkovic machte ein großes Spiel, dennoch entschieden die Engländer das Endspiel für sich. Durch zwei Tore von Alan Sealey (70., 72.) verlor 1860 mit 0:2. Nichts war´s mit dem ersten Europapokal für eine deutsche Mannschaft …
Der damalige Rechtaußen Fredi Heiß erinnert sich: „Trotzdem war es schade, dass wir ausgerechnet in London gegen eine Londoner Mannschaft das Finale bestreiten mussten. Ich glaube, dass wir West Ham in einem anderen Stadion geschlagen hätten. Der Rasen in Wembley war natürlich toll, aber er hat seltsam gefedert. Der Ball ist deshalb anders gesprungen, als wir es gewohnt waren. Und wir waren irgendwie zu sehr beeindruckt von der Kulisse und dem ganzen Drumherum. Teilweise wirkten wir wie gelähmt. Nur einer befand sich in Hochform: unser Torhüter, der Radi.“
Ein Jahr später übrigens war Wembley wieder der Austragungsort eines denkwürdigen Finales mit deutscher Beteiligung. Bei der WM 1966 verloren die Deutschen erneut – 2:4 nach Verlängerung gegen den Gastgeber England. Das „Wembley-Tor“ von Geoff Hurst in der Verlängerung bietet bis heute Diskussionsstoff.
BVB machte es 1966 besser
1860 München erlebte Mitte der Sechziger Jahre glanzvolle Zeiten. Trotz des verlorenen Europacup-Finales kehrten die Löwen als Helden zurück. „Das war ein ganz toller Empfang“, sagt Fredi Heiß, „die Leute standen bis in die Innenstadt rein Spalier. Sogar neben der Riemer Autobahn waren welche, die uns gewunken haben. Und dann ging´s natürlich auf den Rathausbalkon, wo uns OB Hans-Jochen Vogel empfangen hat.“
Im darauffolgenden Jahr 1966 wurden die Sechziger Deutscher Meister, zum ersten und bisher einzigen Mal in der Vereinsgeschichte. 1967 wurde die Mannschaft Vize-Meister, Erfolge, von denen der heutige Drittligist nur träumen kann.
Was den Münchnern verwehrt geblieben war, den ersten Europapokal für Deutschland zu gewinnen, das gelang ein Jahr später Borussia Dortmund. 1966 setzte sich der BVB mit 2:1 nach Verlängerung gegen den FC Liverpool durch.
Ein Jahr später holte auch der FC Bayern München im Pokalsieger-Wettbewerb seinen ersten Europapokal. Als Aufsteiger war die Mannschaft von Trainer Tschik Cajkovski sofort Pokalsieger geworden und kämpfte sich im europäischen Wettbewerb ins Finale. Das Endspiel 1967 fand in Nürnberg statt, Gegner der Bayern waren die Glasgow Rangers. In der 108. Minute der Verlängerung erzielt Franz „Bulle“ Roth den entscheidenden Treffer zum 1:0-Sieg.
Die Beobachter sprachen danach von „120 nervenzerreißenden Minuten“ und urteilten: „Fehlerlos Franz Beckenbauer in Weltklasseform“.
Einige Fans der Sechziger dürften immer noch ein paar Schmerzen verspüren, wenn sie diese Zeilen über den „Beinah-Löwen“ lesen …