Nach Bootsunglück vor Süditaliens Küste

Angehörige protestieren: Über 70 Leichen liegen seit Tagen in warmer Turnhalle

28.02.2023, Italien, Crotone: Die Särge der Opfer eines Bootsunglücks stehen mit Blumen bedeckt in der örtlichen Sporthalle. Bei einem Bootsunglück vor der italienischen Küste sind über 60 Migranten gestorben und Dutzende werden vermisst. Foto: Anton
Nach Bootsunglück mit Migranten vor Süditalien: Leichen liegen seit Tagen in warmer Turnhalle.
lf, dpa, Antonino D'Urso

Es werden immer mehr Tote: Mittlerweile sind es schon 72 Menschen, die vor der Küste Süditaliens ihr Leben bei einem Schiffsunglück verloren haben. Die Leichen der Geflüchteten werden in einer Turnhalle aufbewahrt – und das seit Tagen ohne Kühlung. Die Angehörigen sind verzweifelt, jetzt haben sie Sitzblockaden als Protest errichtet.

Angehörige sind verzweifelt

Das überfüllte Holzboot mit mehr als 150 Geflüchteten war vom 25. auf den 26. Februar bei hohem Seegang vermutlich gegen einen Felsen geprallt und gesunken. Die Kritik an den Rettungsmaßnahmen wird seitdem immer größer. Erst gegen vier Uhr morgens sei der Notruf bei der Leitstelle eingegangen. Daraufhin seien die Einsatzkräfte alarmiert worden. Für viele Erwachsenen und Kinder auf dem Boot kam die Hilfe zu spät. 80 Menschen konnten gerettet werden oder schafften es aus eigener Kraft an Land. „Die meisten Menschen an Bord des Fischerbootes konnten nicht schwimmen, und diejenigen, die sich über Wasser halten konnten, taten ihr Bestes, um anderen zu helfen“, berichtete eine Helferin.
Die Toten liegen nun seit Tagen in Särgen in einer warmen Turnhalle in Crotone. Ihre Angehörigen sind verzweifelt.

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Angehörige betrauern mehr als 70 Tote

Bei dem Unglück kamen zum Teil ganze Familien ums Leben – andere Familien wurden zerrissen. In der Turnhalle werden die Ausmaße deutlich: In holzfarbenen Särgen liegen Erwachsene, in weißen Särgen sind Kinder oder Babys. Immer mehr Familienmitglieder – viele auch aus Deutschland – reisen an, um ihre Angehörigen zu identifizieren.


„Dies ist ein böses Erwachen, das die Gemeinschaft aufwecken muss, damit ähnliche Tragödien nicht passieren“, schrieb der Präsident des italienischen Roten Kreuzes, Rosario Valastro, auf Twitter.

01.03.2023, Italien, Crotone: Angehörige weinen am Sarg eines der Opfer des Schiffsunglücks. Bei einem Bootsunglück vor der italienischen Küste sind über 60 Migranten gestorben und Dutzende werden vermisst. Foto: Antonino Durso/Lapresse/AP +++ dpa-Bi
Nach Bootsunglück: Angehörige trauern um die Verstorbenen.
JJ nwi, dpa, Antonino Durso
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Kein Schuldeingeständnis: Regierung sieht keine Fehler bei Rettungsmaßnahmen

Polizei, Küstenwache und Regierung sehen sich seit Tagen heftiger Kritik ausgesetzt. Der Vorwurf: In der Nacht wurde nicht alles Mögliche zur Rettung getan. Das wies Innenminister Matteo Piantedosi scharf zurück. Die Behörden hätten alle Regeln und Kommandoketten eingehalten.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verteidigte ebenfalls den Einsatz der Rettungskräfte: „Uns wurde nicht gemeldet, dass dieses Boot einen Schiffbruch riskiert.“ Rom erklärte bereits, dass deshalb in jener Nacht nicht die Küstenwache – und deren für Notfälle ausgestatteten Schiffe – sondern die für Grenzangelegenheiten zuständige Finanzpolizei ausgerückt war. Bei hohem Seegang kehrten deren zwei Schiffe schnell zurück in den Hafen, ohne das Migranten-Boot entdeckt zu haben.

February 26, 2023, CUTRO: Red Cross personnel stand next to survivors after they washed ashore following a shipwreck, at a beach near Cutro, Crotone province, southern Italy, 26 February 2023. Italian authorities recovered at least 40 bodies on the b
Bootsunglück überlebt: 80 Menschen konnten gerettet werden oder schafften es aus eigener Kraft an Land.
www.imago-images.de, IMAGO/ZUMA Wire, IMAGO/Giuseppe Pipita

Scharfes Wendemanöver schuld an dem Unglück?

Zugleich berichtete Innenminister Piantedosi unter Berufung auf Aussagen von Überlebenden von den letzten Momenten vor dem Untergang: Demnach hätten die Schleuser 200 Meter vor der Küste Kalabriens Licht an Land gesehen und befürchtet, dass dort Polizisten warteten. Sie hätten deshalb versucht, scharf zu wenden. Das Boot sei auf seichten Grund aufgefahren und beschädigt worden. Wasser sei eingetreten.

Migranten berichteten, dass zwei Schleuser daraufhin ins Meer gesprungen seien. Ein dritter Schleuser sei mit einem Schlauchboot geflohen und habe die Komplizen mitgenommen. Eine Welle erfasste das Migranten-Boot – es überschlug sich und sank. Als die meisten Retter den Strandabschnitt der Ortschaft Steccato di Cutro erreicht hätten, seien schon viele Leichen von Flüchtlingen und Migranten angespült worden. Die mutmaßlichen Schleuser – ein Türke und zwei Pakistaner – wurden festgenommen. (dpa/npa)