Gewalt und Demütigung im Adolfinenheim auf Borkum

Andreas E. ist eines von tausenden Verschickungskindern: „Ich wusste nicht, wie ich das in Worte fassen sollte"

Andreas Eberl erlebte traumatisches im Adolfinenheim auf Borkum.
Andreas Eberl erlebte traumatisches im Adolfinenheim auf Borkum.
RTL
von Sarah Werner und Annika Redmer

Missbrauch und Demütigung anstatt Erholung und Idylle am Meer!
In der Nachkriegszeit ist es gängige Praxis: Millionen Kinder werden in Erholungsheime geschickt – unter anderem auch in das Adolfinenheim auf der Nordseeinsel Borkum. Einer von Ihnen ist Andreas Eberl: Was er als Achtjähriger 1983 in diesem Heim erlebt hat, wird er nie wieder vergessen.
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Bestrafungen standen auf der Tagesordnung im Heim

Für insgesamt sechs Wochen kommt Andreas Eberl in das Heim auf Borkum. Er hat eine Bronchitis – soll sich im Adolfinenheim kurieren. Doch der Aufenthalt wird zum wahren Horror-Erlebnis, erinnert sich Eberl heute an die Zeit: „Einer aus unserem Zimmer [...], der hat oftmals ins Bett gemacht. Wir durften halt eben nachts auch nicht auf Klo gehen, der wurde dann auch bestraft [...]. Den haben sie dann tatsächlich an einem Bein festgehalten und dann ins Badezimmer rüber geschleift und dort wurde er dann eiskalt abgeduscht. Wir mussten als Kinder drum herumstehen oder wir haben halt eben als Kinder drumherum gestanden, haben halt eben denjenigen auch ausgelacht“, beschreibt er die Situation von damals in einem Gespräch mit RTL.

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Borkenerin erinnert sich zurück an die Zeit als Verschickungskind

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Borkum: Angst war Alltag im Heim

Im Auftrag der Bremer Diakonissen hat Achim Tischer, zusammen mit einer Kollegin, die Erfahrungen von Betroffenen in einem Buch verarbeitet.
Im Auftrag der Bremer Diakonissen hat Achim Tischer, zusammen mit einer Kollegin, die Erfahrungen von Betroffenen in einem Buch verarbeitet.
RTL

Eberl wird gezwungen, die ganze Nacht wach zu bleiben und das nur, weil er Heimweh hat. Damit ist er kein Einzelfall, weiß Buchautor Achim Tischer: „Dieses Grundgefühl der Angst ist eigentlich das wesentliche Kennzeichen dieser Einrichtungen. Angst, die eben auch unter Strafandrohung, die sozusagen über allem schwelte, den Alltag prägte“, so der Kulturwissenschaftler zu RTL.

Deutschlandweit werden Millionen Kinder in solche Heime geschickt

Was sie in diesen Räumen erlebt haben, werden die Kinder wohl nie vergessen. Zur Strafe werden sie geschlagen, müssen sie Erbrochenes essen oder sich nackt vor anderen entblößen. „Kinder wurden schikaniert, mussten sozusagen vor den anderen Kindern ihre Bettlaken vorzeigen und wurden quasi ja verlacht im Grunde“, so Tischer weiter.

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Rund 90.000 Kinder werden über einen Zeitraum von 75 Jahren bis 1996 in das Kurheim geschickt. Doch das Heim ist nur eines von vielen. Deutschlandweit wird die Zahl der damaligen Verschickungskinder auf acht bis zwölf Millionen geschätzt.

Andreas Eberl möchte anderen Betroffenen Mut machen

Lange bleiben die Missstände unentdeckt. Viele der Betroffenen schweigen, so auch Andreas Eberl – und das für 38 Jahre. Im Jahr 2021 entscheidet er sich dann einen Facebook-Beitrag über seine Erlebnisse zu veröffentlichen. Neben Scham gabs noch einen weiteren Grund, warum er so lange schweigt. „Ich glaube, dass ich das eher nicht in Worte fassen konnte, was damals passiert war.“ Doch jetzt möchte er anderen Mut machen, um: „[...] sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, vielleicht auch wirklich mal nach Borkum zu reisen.“