Aktuelle forsa-Umfrage von RTL & n-tv zeigt, was die Deutschen über Vielfalt im Unterricht denken
Sollte man mit Grundschulkindern über sexuelle Vielfalt sprechen?
Von Natalia Höppner, Michaela Johannsen und Mireilla Zirpins
Wie früh sollten unsere Kinder erfahren, dass Männer nicht nur Frauen lieben oder Menschen sich nicht eindeutig als männlich oder weiblich definieren? Immerhin 64% der Befragten in einer akutellen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und n-tv „finden es gut, wenn in der Grundschule sexuelle Vielfalt gelehrt wird“. Und auch unser Experte ist der Meinung, dass man sogar mit noch kleineren Kindern schon über das Thema sprechen kann. Doch sind 29% dagegen. Wer sind sie und was könnte sie daran stören, dass schon Grundschulkinder darüber Bescheid wissen?
Grünen-Wähler finden das größtenteils gut, AfD-Wähler mehrheitlich nicht
Die Umfrage zeigt klar: Mit 64 Prozent findet es die Mehrheit der 1.010 Befragten in Ordnung, wenn Kinder in der Grundschule lernen, dass es mehr als zwei sexuelle Identitäten gibt und Liebe nicht nur automatisch einen Mann und eine Frau meint. Aber deutlich mehr als ein Viertel der Befragten (29 %) möchte das nicht. Warum sind viele von uns fixiert auf den Zweiklang Mann und Frau?
Dr. Lars Burghardt forscht als Erziehungswissenschaftler an der Uni Bamberg unter anderem zu Geschlechterrollen in der Frühpädagogik und glaubt: „Wir brauchen Schubladen, um uns zurechtzufinden in einer komplexen Welt, um uns zu strukturieren. Da hilft es uns zu sagen, das ist eher weiblich, das ist eher männlich.“ Vielfalt also als Überforderung für Menschen, die sich eine einfache Struktur wünschen? Aber das geht ja nicht allen so. Lars Burghardt: „Es wäre wichtig zu merken, ich kann Schubladen umsortieren oder eine Weiß-ich-nicht-Schublade aufmachen.“
Von den 29%, die nicht möchten, dass Grundschulkinder schon wissen, was man unter trans* oder queer versteht, leben prozentual mehr Menschen im Osten der Republik. Oder anders ausgedrückt: Im östlichen Teil Deutschlands möchten 47% der Befragten nicht, dass Grundschulkinder schon über sexuelle Vielfalt informiert sind, im Westen sind es nur 25%.
Frauen sind etwas offener als Männer gegenüber der sexuellen Vielfalt als Unterrichtsbestandteil in Grundschulen: Nur 24 % lehnen das ab, hingegen 33 % der Männer.
Auch in den politischen Lagern sind die Werte sehr unterschiedlich. Mehrheitlich dagegen sind ausschließlich die Anhänger der AfD: 79 % von ihnen möchten nicht, dass Kinder schon in der Grundschule über die verschiedenen sexuellen Orientierungen und geschlechtliche Identitäten aufgeklärt werden. Zum Vergleich: Bei den Grünen-Anhängern sind nur 9% dagegen, bei den SPD-Wählern 15%.
Menschen unter 30 Jahren sind offener als alle anderen Altersgruppen für einen Grundschulunterricht, der Aufklärung über sexuelle Vielfalt beinhaltet. Nur 19 % von ihnen möchten keine sexuelle Vielfalt im Unterricht. Die Ablehnung ist mit 37% am höchsten in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, auch höher als in der Gruppe Ü60 (26 % Ablehnung) und 30-44 (30 % dagegen).
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Ab welchem Alter und wie sollten wir mit unseren Kindern über sexuelle Orientierung sprechen?
Kommt das Thema in der Grundschule zu früh? Im Gegenteil, findet Lars Burghardt: „Man kann Kindern sogar schon im Kita-Alter erzählen, dass Menschen unterschiedlich sind. Das betrifft nicht nur Aussehen oder Kulturen, aus denen man kommt, sondern auch sexuelle Vielfalt. Manche Männer lieben Frauen und manche Männer lieben Männer. Und das ist für Kinder auch nicht komisch.“
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Trotz ihrer natürlichen Neugier und Offenheit orientieren sich Kinder aber daran, wie Erwachsene reagieren. „Wenn Kinder sehen, dass Erwachsene es etwa eklig finden, wenn zwei Frauen sich küssen, dann gucken Kinder sich das in Teilen auch ab“, sagt Burghardt und ergänzt: „Da merkt man, wie wichtig wir als Erwachsene sind. A) schaffen wir die Umgebung, in der Kinder aufwachsen, B) sind wir Rollenvorbilder und C) saugt das Kind alles auf, was wir tun.“ Deshalb müssen wir seines Erachtens als Erwachsene reflektieren, wie wir selbst mit Vielfalt umgehen. Der Schulunterricht kann auch den Druck von Eltern nehmen, ihren Kindern komplexe Sachverhalte erklären zu müssen.
(mzi)
Informationen zur Forsa-Umfrage:
Die Daten wurden vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von RTL und n-tv Deutschland vom 13. bis 15. Juni 2022 erhoben.
Datenbasis: 1.010 Befragte.
Statistische Fehlertoleranz: +/- 3 Prozentpunkte.