Die Mörder waren gerade einmal 10 Jahre30 Jahre nach Mord an James Bulger († 2): Seine Mutter will die Täter für immer im Gefängnis sehen

Die Bilder der Überwachungskameras gingen vor 30 Jahren um die Welt. Darauf zu sehen: Zwei Zehnjährige führen einen zwei Jahre alten Jungen am 12. Februar 1993 an der Hand durch ein Einkaufszentrum in der englischen Stadt Liverpool. Was freundschaftlich aussieht, ist in Wirklichkeit eine Entführung, die mit dem grausamen Mord des kleinen Jungen endete. Misshandelt und getötet von zwei Kindern. Auch Jahrzehnte später kämpft die Mutter des kleinen James darum, dass die Täter, die zwischenzeitlich freigelassen wurden, den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen.
Verdächtige sind zum Tatzeitpunkt gerade einmal 10 Jahre alt
Seine Mutter hatte James nur kurz von der Hand gelassen, um in einer Metzgerei zu bezahlen. Kurz darauf war der kleine Junge verschwunden. Die Suche nach ihm endete mit einem grausigen Fund. Übersät mit Wunden, von einem Zug in zwei Hälften zerteilt, lag der kleine Körper auf einem Gleisfeld, auf das ihn die Täter geführt hatten, bevor sie ihn mit Schlägen, Tritten, Backsteinwürfen und einer Metallstange töteten.
Es dauert nicht lange, bis zwei Verdächtige ins Visier der Ermittler gerieten: Robert Thompson und Jon Venables. Die in England als „mugshots“ bezeichneten Fotos der Tatverdächtigen sahen beinahe aus wie Fotos aus einem Schuljahrbuch, hätten die beiden zehnjährigen Jungen nicht Tafeln mit ihren Daten in den Händen gehalten. In Deutschland wären sie viel zu jung gewesen, um belangt zu werden – doch in England liegt die Strafmündigkeit bei zehn Jahren.


Mord an James Bulger erschüttert das Land
Der grausame Mord erschütterte das Land. Beim Prozess um den Tod von James Bulger versammelte sich vor dem Gerichtsgebäude in Liverpool ein Lynchmob, der lautstark forderte, dass ihm die Angeklagten ausgeliefert werden. Es kam zu gewaltsamen Szenen. Die Boulevard-Zeitungen des Landes überboten sich mit Schlagzeilen wie „Das Böse! Das pure Böse!“ oder „Missgeburten der Natur“. Die Verhältnisse, aus denen die beiden vernachlässigten Kinder, die plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen, kommen, interessierten hingegen kaum.
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Am Ende der Verhandlungen sprach der Richter sich für acht Jahren Haft aus. Doch die Familie von James Bulger sammelte mehr als eine Viertelmillion Unterschriften für eine Umwandlung in eine lebenslange Haftstrafe. Auch die Boulevardzeitung „The Sun“ trommelte dafür. Michael Howard, der Innenminister der Regierung von Premier Tony Blair, schritt ein. Er erhöhte die Strafe auf 15 Jahre. Doch ein Berufungsgericht hob die Entscheidung wieder auf. Am Ende wurde das Strafmaß auf sieben Jahre und acht Monate festgelegt. Die beiden Jungen wurdne in geschlossene Kinderheime gebracht. Die Angehörigen von James Bulger fühlten sich im Stich gelassen.
2001 werden die Täter freigelassen
Im Juni 2001 wurden Thompson und Venables freigelassen, die Bewährungszeit gilt für ihr restliches Leben. Während Thompson es schafft, nicht mehr mit der Justiz in Konflikt zu kommen, wurde Venables als Erwachsener mehrmals wegen Besitzes von Kinderpornografie und ähnlicher Vergehen verurteilt. Er sitzt auch 30 Jahre nach dem Mord an James Bulger in Haft.
Andrew Neilson von der Organisation Howard League for Penal Reform, die sich für Reformen im stark auf Vergeltung und Strafe ausgerichteten englischen Justizsystem einsetzt, sieht den Fall James Bulger als Wendepunkt. „Ich denke, die öffentliche Meinung zu sehr jungen straffälligen Kindern hat sich damals dramatisch verhärtet“, sagt er im Gespräch mit der dpa. Er sieht den Fall Bulger als Kristallisationspunkt einer Entwicklung, die insgesamt zu härteren und längeren Haftstrafen und zu einer Verdopplung der Zahl der Insassen in englischen Gefängnissen führte.
Hoffnung auf eine Erhöhung des Strafmündigkeitsalters macht sich Neilson keine. Das könne sich angesichts der öffentlichen Meinung wohl keine der beiden großen Parteien leisten. Dennoch sieht er in der jüngeren Vergangenheit Fortschritte. Polizei und Richter setzen wieder vermehrt auf Rehabilitation statt Strafe.

Presse drängt in England auf Namensnennung
Weniger positiv sieht Neilson die Entwicklung bei der Frage der Namensnennung von Angeklagten und Verurteilten. In England ist es üblich, dass bereits bei einer ersten Anklage der Polizei die Namen mutmaßlicher Täter öffentlich gemacht werden. Die Presse drängt oft darauf, dies auch bei Minderjährigen zu tun - was laut Neilson immer häufiger geschieht.
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James Bulgers Mutter Denise Fergus ist in den Medien weiterhin präsent. Erst kürzlich veröffentlichte sie eine überarbeitete Version ihres Buchs „I let him go“ („Ich lasse ihn ziehen“). Ihre Kampagne, die Täter für den Rest ihres Lebens hinter Gittern zu bringen, sieht sie noch lange nicht am Ende. „An alle, die sagen, ich solle davon ablassen, warum sollte ich davon ablassen? (...) Ich werde nie aufhören“, sagte Fergus in einer Dokumentation zum 30. Jahrestag des Mordes beim britischen Sender Channel 5.
Erst Mitte Januar berichtete sie in der Presse von einem Treffen mit Justizminister Dominic Raab. Der habe ihr versprochen, dass Venables durch die geplanten Justizreformen der Regierung „das Tageslicht nie wieder sehen wird“, so Fergus. (dpa/eon)