Persönlichkeitsstörung im Fokus

Woran erkennt man echte Narzissten?

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Narzissten wirken extrem selbstverliebt, aber nicht alle sind es auch.
IMAGO / Westend61

Besonders Frauen sind nach einer Trennung schnell dabei, ihren Ex-Freund als Narzissten zu betiteln. Doch ganz so einfach ist das nicht, denn nur weil sich jemand ab und an egoistisch verhält, ist er nicht gleich ein Narzisst. Bei Narzissmus handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung. Woran Sie erkennen können, ob jemand wirklich ein Narzisst ist und warum Menschen überhaupt narzisstisch werden, erklärt der Psychiater und Buchautor Dr. Pablo Hagemeyer im Interview mit RTL.de.

RTL.de: Ihr erstes Buch trägt den Titel „Gestatten, ich bin ein Arschloch“. Sind Sie also selbst ein Narzisst?
Dr. Pablo Hagemeyer:
„Ich sage das von mir nur, um das Thema populär zu machen. Das ist im Grunde ein Trick, eine kleine Lügengeschichte. Womit es möglicherweise wieder narzisstisch ist. Aber im Ernst: Jeder sollte darüber nachdenken, wie narzisstisch er oder sie selbst ist. Darum geht es mir. Jeder ist ja so ein bisschen narzisstisch. Reflektieren Sie mal, wie Sie mit Menschen umgehen. Ist das noch freundlich oder schon feindselig und wie sehr überschreiten Sie Grenzen? Ich spiele mich damit kokett-selbstbezogen in den Vordergrund und damit kann ich leben. Denn so gelangt das Thema mehr an die Öffentlichkeit.“

"Bis zu einem Drittel sind die Gene schuld am Narzissmus"

Warum entwickeln Menschen diese Persönlichkeitsstörung?
Hagemeyer:
„Es gibt verschiedene Modelle der Erklärung. Aus der psychoanalytischen Perspektive sagt man, dass die Person in der frühen Kindheit zu viel behütet wurde und Aufmerksamkeit bekommen hat und im Erwachsenenalter ständig darum bemüht ist, immer wieder diesen hohen Grad an anerkennender Aufmerksamkeit zu bekommen. Es gibt auch Narzissten, die zu wenig bekommen haben. Die wurden zu wenig in ihrem entstehenden Selbst gespiegelt, also ignoriert, verlassen und nicht anerkannt. Sie versuchen das dann zu kompensieren, indem sie sich in den Mittelpunkt stellen, Regeln setzen oder indem sie übertrieben hohe Ansprüche haben. Das heißt, wir haben eine Fehleinstellung der Selbstregulation/Selbstbestätigung. Weiterhin ist das psychosoziale und biogenetische Modell ein Erklärungsansatz. Bis zu einem Drittel sind die Gene schuld. Auch die Selbstentwicklung und Selbstentfaltung des emotionalen Stils ist wichtig. Wenn man in einem Umfeld aufwächst, wo es sehr viel um Äußerlichkeiten geht, dann entwickelt sich natürlich viel mehr narzisstisches Verhalten, als wenn wir eher in einem solidarischen, kooperativen Umfeld groß werden.“

Fördern soziale Medien die Entwicklung?
Hagemeyer:
„Die narzisstische Störung an sich wird nicht durch Instagram und andere soziale Medien gefördert, sondern ist als Krankheit schon vorhanden. Was gefördert wird, ist das soziale Phänomen Narzissmus als selbstbezogene Ego-Tour einer narzisstischen Gesellschaft. Darüber entsteht etwas Widerständiges: Wenn du nicht meiner Meinung bist, dann bist du doof und ich grenze dich aus. Der Antagonismus als Narzissmus-Zeichen und der Hass ist sehr schnell da.“

Viele Menschen haben narzisstische Züge. Was zeichnet einen echten Narzissten aus?
Hagemeyer:
„Man muss die Kriterien der Persönlichkeitsstörung erfüllt haben. Wenn jemand mit sich selbst und mit anderen, über eine lange Zeit und durchgehend erhebliche Schwierigkeiten hat, ist das vermutlich eine Persönlichkeitsstörung. Die Diagnostik hat sich verbessert. Seit diesem Jahr gibt es das neue ICD-11, eine Neueinteilung, die nun in der Wissenschaft erst erprobt wird. Wir kommen in der Persönlichkeitspsychologie weg von den Kategorien und mehr zum Dimensionalen. Da geht es noch nicht darum, ob jemand ein Narzisst oder beispielsweise ein Soziopath ist. Wichtig ist, dass diese Schwierigkeiten mit sich selbst und anderen länger als zwei Jahre bestehen müssen, so die neue Einteilung. Das ist neu, denn bisher hieß es, diese Probleme müssen schon ein Leben lang seit der Pubertät bestehen. Die Forschung und Arbeit mit Persönlichkeitsstörungen ergab, dass der emotionale Stil sich auch ändern kann - je nachdem in welchem Kontext wir uns befinden.“

Exkurs: Die Diagnosekriterien für die narzisstische Persönlichkeitsstörung

Einen echten Narzissten zu enttarnen, kann mitunter schwierig sein – schließlich zeigt jeder Mensch hier und da einmal narzisstische Verhaltensweisen. Es gilt nur dann jemand als Narzisst, wenn mindestens fünf dieser Kriterien nach der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) für die narzisstische Persönlichkeitsstörung erfüllt sind:

  • Ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität)

  • Die Beschäftigung mit Phantasien von unbegrenztem Erfolg, Glanz, Macht, Intelligenz, Schönheit oder der idealen Liebe

  • Der Glaube, dass er speziell und einzigartig ist und sich nur mit den besonderen Menschen auf höchstem Niveau verbinden sollte

  • Das Verlangen danach, bedingungslos bewundert zu werden

  • Ein hohes Anspruchsdenken, das sich vor allem durch übertriebene Erwartungshaltung auf die eigene Bevorzugung oder das automatische Eingehen auf die eigenen Erwartungen äußert

  • Ausnutzung anderer, um die eigenen Ziele zu erreichen

  • Mangel an Empathie

  • Neid auf andere und der Glaube, dass andere sie beneiden

  • Überheblichkeit und Arroganz zeigt sich in den Verhaltensweisen oder Handlungen

Dating-Tipp: Narzissten – erkennbar schon beim ersten Date

Narzissten wirken extrem selbstverliebt. Ist das wirklich so?
Hagemeyer:
„Es sind drei Narzissten-Typen. Einmal haben wir den grandiosen Narzissten. Der ist wirklich davon überzeugt, dass er toll ist und manchmal kann er (oder sie) auch etwas. Die sind durch Kritik beispielsweise kaum zu erreichen. Dann gibt es noch den verdeckten, verletzlichen Narzissten. Dieser ist sehr Kritik-empfindlich und nicht so selbstverliebt. Das sind die, die sich im Leben wenig trauen. Es sind arme Biografien, die Angst haben und jede Kritik so ernst nehmen, dass es sie zerstört. Die haben starke Selbstzweifel. Warum ist das narzisstisch? Weil sie letztlich doch über eine Strategie des Underdogs dann doch die Anerkennung und Bestätigung brauchen. Das sind die Dünnhäuter. Sie verhindern auf Teufel komm raus, kritisiert zu werden. Deshalb wollen sie nach außen hin gut wirken und bauen so ein Image auf. Da kann Kritik einschlagen. Zu guter Letzt gibt es noch den selbstaufopfernden Narzissten. Er engagiert sich stark und ist ganz vorne dabei. Er tut selbstlos, aber am Ende fordert er doch die Anerkennung ein. Wenn die nicht kommt, dann ist er schwer beleidigt und zieht häufig unerwartet harte Konsequenzen.“

Sind alle Narzissten von Grund auf böse?
Hagemeyer:
„Die sind nicht von Grund auf bösartig, aber wenn man den pauschalen Narzissten nimmt, verbinden wir aus populärer Sicht damit den Bösen. Er verhält sich ausbeuterisch, unsozial und egoistisch. Er projiziert: Wenn er selbst eifersüchtig ist, dann wirft er dem Partner vor eifersüchtig zu sein. Wenn er selbst müde oder erschöpft ist, sagt er, dass der andere eine faule Sau ist.“

Narzissten lügen oft. Warum ist das so?
Hagemeyer:
„Mit ihren Lügengeschichten wollen sie ein gutes Image aufbauen oder Personen so steuern, dass sie Dinge tun, die ihnen nutzen oder Dinge vertuschen. Diese Lügen kann man erst verstehen, wenn man die Personen und deren Umfeld kennt. Man müsste also auch andere fragen, ob das alles so stimmt. Wenn man im Job ist, merkt man es oft erst später. Man merkt es generell zu spät. Man sollte daher generell nichts glauben, was einem erzählt wird. Wenn man es glaubt, kann man ein Stück mitgehen aber nicht alles glauben, sondern immer weiter überprüfen, ob die eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen dazu passen. Wenn die eigenen Fakten so ganz anders sind als die Lügengeschichten, kann man das innerlich mal vergleichen und irgendwann die Person damit freundlich konfrontieren. Es kann sein, dass narzisstische Menschen aufgrund ihrer Struktur automatisch Lügengeschichten erzählen und es eigentlich gar nicht so böse meinen. Das sollte man dann korrigieren. Die gute Sache daran ist, dass man mit ein wenig übertriebener Selbstüberzeugung erfolgreicher im Leben ist. Menschen brauchen diese positiven Geschichten, das ist ermutigend und spendet Hoffnung. Ständig die knorrige Realität bewusst zu machen, ist weniger attraktiv.“

Was versteht man unter der sogenannten narzisstischen Krise und wie kommt es dazu?
Hagemeyer:
„Das ist der Zusammenbruch des Konstruktes des Größenselbst. Das Größenselbst ist das imaginierte, vorgestellte aber als wahrhaftig erlebte Selbstbildnis. Man hält sich also für besonders toll und großartig. Wenn das zusammen kracht, weil die Ansprüche und Erwartungen unerfüllt sind, dann denkt der Narzisst das natürlich nicht mehr. Die Krise ist ein extremer Widerspruch im Erleben von Erfolg und Misserfolg. Die Rettung wäre, sich einzugestehen, dass man selbst die Verantwortung trägt und nicht nur die anderen. Wenn der Narzisst das kann, ist das gut und er kann wirksam hier mit professioneller psychotherapeutischer Hilfe ansetzen. Wenn er das nicht kann, ist er eher verloren.“

Wann würde ein Narzisst die Einsicht haben und sich ändern wollen?
Hagemeyer:
„Wenn er sich öffnet und bereit ist dazu. Viele Narzissten sind unerreichbar, weil sie gefangen sind in ihrer Grundüberzeugung ‘Ich bin nicht schuld. Die anderen sind schuld’. Wenn der Narzisst dazu bereit ist, komplex zu denken und über sich nachzudenken, kann er sich korrigieren. Er muss detailreich verstehen, wie er selbst an seinen eigenen Schwierigkeiten und denen der Mitmenschen beteiligt ist. Dann ist der Narzissmus nicht so extrem ausgeprägt. Die extremen psychopathischen und schwerstgestörten Persönlichkeiten werden jedoch keine Einsicht zeigen und sich ändern wollen.“

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"Narzisstische Menschen suchen oft im Wirken, im Außen den Effekt"

Was ist das Schwierige an der Therapie von Narzissten?
Hagemeyer:
„Ein Praxisbeispiel. Wenn Narzissten mit Depressionen in die Therapie kommen, passiert oft folgendes: Man arbeitet daran, den Narzissten wieder narzisstischer zu machen. Dann geht er – im Glauben, dass er toll und der Therapeut eh doof ist – und es geht ihm wieder gut. Aber das ist eine Nebenwirkung. Eine erfolgreiche Therapie wäre, das eigene Mittelmaß auszuhalten und damit zu leben. Das wirkt nachhaltig. Was der Narzisst noch lernen muss, ist sich mehr mit dem eigenen Tiefensinn zu beschäftigen und ein emotionaler Mensch mit Tiefe werden. Dabei ist ein innerer Zustand gemeint, bei dem man Kontakt mit seinem eigenen emotionalen Selbst erreicht. Das sollten sowieso alle Menschen anstreben, in unserer narzisstischen Gesellschaft. Narzisstische Menschen suchen oft im Wirken, im Außen den Effekt. Das ist das Problem. Denn wir verlieren weiterhin den Kontakt zu uns selbst und unseren Mitmenschen, blieben wir zu narzisstisch.“

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