Ein Kommentar über Macht und Moral

Warum die Frauen im Fall Lindemann nie eine Chance hatten

Franca Pörsch zum Fall Till Lindemann
RTL-Reporterin Franca Pörsch kommentiert den Fall Lindemann.
IMAGO SP/RTL/Collage RTL.de
von Franca Pörsch

Als ich vor einigen Wochen meinen ersten Kommentar zu Rammstein geschrieben habe, bin ich tagelang mit Hassnachrichten überschüttet worden.
Als „alterndes Groupie“ oder „Lügnerin“ wurde ich bezeichnet. Und das nur, weil ich es gewagt hatte, die Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann ernst zu nehmen. Weil ich geneigt war, den Frauen zu glauben. Und ich habe schnell verstanden, warum so viele von ihnen nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind. Warum sie in Interviews unbedingt anonym bleiben wollten. Und warum es deshalb jetzt wahrscheinlich nicht möglich ist, Till Lindemann den Prozess zu machen.

Ein NEIN wird niemals reichen!

In meinem Berufsalltag habe ich oft mit Frauen gesprochen, die Opfer von Sexualverbrechen geworden sind. Schuld und Scham sind die vorherrschenden Gefühle kurz nach der Tat. „Wäre ich mal nicht so nett gewesen.“ oder „Ich hätte es wissen müssen.“ Ähnliche Sätze, wie sie in den Kommentarspalten zu Till Lindemann zu finden sind.

Fakt ist: Keine Frau ist schuld, wenn sie Opfer eines Übergriffs wird! Trotzdem ist die Angst groß, darüber zu sprechen. Alles bis ins Detail bei der Polizei zu Protokoll zu geben. Die Beweislast liegt bei den Opfern. Haben sie laut genug Nein gesagt? Sich heftig genug gewehrt? Shelby Lynn hat die blauen Flecken an ihrem Körper nach dem Konzert dokumentiert. Die Staatsanwaltschaft schreibt dazu: „Die Herkunft eines Hämatoms allein lässt jedenfalls weder einen Rückschluss auf eine solche Tat noch auf einen bestimmten Beschuldigten zu.“ Reicht also nicht.

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Nur drei Prozent Falschbeschuldigungen

Sexualstraftaten scheinen juristisch gesehen besonders schwer nachzuweisen zu sein. Das bestätigt mir auch Johanna Wiest, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt (Terre des Femmes). Laut Statistik erlebt eine einzige von 100 Frauen, die Anzeige erstatten, dass ihr Peiniger verurteilt wird. Eine erschreckende Zahl! Kein Wunder, dass die Dunkelziffer bei Sexualdelikten so hoch ist.

Ihr Lösungsansatz: „Es sollte im Vordergrund stehen die richtigen Bedingungen für betroffene Frauen zu schaffen, um ihnen zu ermöglichen ein Verfahren zu bewältigen, zum Beispiel durch psychosoziale Begleitung, traumasensibles Personal bei der Polizei sorgfältige und Schutzangebote im Verfahren.“

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„Es braucht aber auch einen sozialen Wandel. Wie sich im Fall von Till Lindemann gezeigt hat, stellen sich viele Menschen instinktiv und ohne zu zögern auf die Seite des Beschuldigten. Statistisch gesehen sind Falschbeschuldigungen bei sexualisierter Gewalt allerdings relativ selten (etwa drei Prozent). Für gewaltbetroffene Frauen gibt es deutlich weniger Mitgefühl“, meint Wiest.

Auch die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelte gegen Lindemann. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt.