Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche: Mehrere tausend Opfer

Missbrauchs-Opfer berichtet: „Im Keller wurde gefoltert, oben mussten wir beten“

von Caroline Unger und Esther Kusch

Missbraucht, geschlagen, bedroht.
Kein Zölibat, Frauen in Kirchenämtern - die evangelische Kirche gilt als moderner als die katholische. Aber Gewalt und Missbrauch gibt es auch dort. Wie eine Studie jetzt zeigt, gibt es mehrere tausend Opfer. Eines von ihnen ist Detlev Zander. Er war erst vier Jahre alt, als das Grauen begann…
RTL.de ist jetzt auch bei WhatsApp - HIER direkt ausprobieren!

Studie zu Ausmaß von sexuellem Missbrauch wird vorgestellt

Detlef Zander wurde als Kind sexuell missbraucht. Im Jahr 2024 hat er die Missbrauchsfälle in den Kinderheimen von Korntal öffentlich gemacht.
Detlev Zander wurde als Kind sexuell missbraucht. Im Jahr 2024 hat er die Missbrauchsfälle in den Kinderheimen von Korntal öffentlich gemacht.
Foto privat, Foto privat, Foto privat

Im evangelischen Kinderheim Korntal wurde er immer wieder vergewaltigt. Von Geistlichen, vom Hausmeister, von Gemeindemitgliedern. Hilfe bekam er keine, auch nicht von der Erzieherin: „Dann hat die mich so grün und blau geschlagen und dann gesagt 'Wenn du das irgendjemand erzählst', also hat mich dann auch noch bedroht.“ Und weiter berichtet Detlef Zander über sein Martyrium: "Also im Keller wurde gefoltert, sozusagen. Und oben mussten wir beten." (Das ganze Gespräch mit Detlev Zander seht ihr im Video.)

Und er ist mit seinen Erfahrungen nicht alleine. Eine Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie hat für die vergangenen Jahrzehnte mindestens 1.259 Beschuldigte dokumentiert. Die Forscher sprechen von der „Spitze des Eisbergs“. Die ermittelten Fallzahlen von 2.225 Betroffenen basieren auf Akten der Landeskirchen und der Diakonie, außerdem flossen den Landeskirchen und diakonischen Werken bekannte Fälle ein. Die Wissenschaftler kommen auf Grundlage ihrer Methode auf eine geschätzte Gesamtzahl von 3.497 Beschuldigten. Das Durchschnittsalter der Betroffenen bei der ersten Tat lag bei ungefähr 11 Jahren.

Die Landeskirchen und die Diakonie stellten dem Forschungsverbund Akten zur Verfügung. Wissenschaftler konnten jedoch nicht die Personalakten aller Pfarrer und Diakone auswerten, sondern in erster Linie Disziplinarakten.

Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, zeigt sich „zutiefst erschüttert“ und bittet „von ganzem Herzen“ um Entschuldigung. „Immer wieder neu, seit ich mich mit dem Thema befasse, erschüttert mich aufrichtig diese abgründige Gewalt, die so vielen Menschen in unserer Kirche angetan wurde“, sagt die Bischöfin. Die Ergebnisse der Studie werde die Kirche mit Demut annehmen.

Ihr seid gefragt - stimmt hier ab!

Hinweis: Das Ergebnis dieser Umfrage ist nicht repräsentativ.

Studienmacher rechnen damit, dass sich mehr Opfer melden

Die Fallzahlen sind nicht direkt vergleichbar mit den Ergebnissen der sogenannten MHG-Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche, die 2018 veröffentlicht wurde. Nach Auswertung von fast 40.000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2014 wurden 1.670 katholische Priester und Diakone beschuldigt, denen 3.677 Kinder und Jugendliche als Betroffene zugeordnet werden konnten. Die Wissenschaftler betonten damals, dass diese Zahl „eine untere Schätzgröße“ sei.

Anders als die MHG-Studie nimmt die Forum-Studie alle Beschäftigten im evangelischen Leben in den Blick, also zum Beispiel auch Heimerzieher, Kirchenmusiker oder ehrenamtliche Jugendleiter. „Wir sprechen über ein Hellfeld und wir sprechen auch über ein großes Dunkelfeld“, sagt ein EKD-Sprecher. Die Fallzahlen würden sich verändern. „Wir erwarten auch, dass sich nach der Veröffentlichung der Studie weitere Betroffene melden.“

Detlev Zander hat inzwischen gelernt, mit dem Erlebten umzugehen. „Ich habe beschlossen: Mein Trauma bestimmt nicht mein Leben, sondern ich bestimme mein Trauma.“ Er hofft, dass jetzt nach der Studie nicht nur Worte der Entschuldigung folgen, sondern vor allem Maßnahmen, um künftige Taten zu verhindern. (mit dpa)

Politik & Wirtschaftsnews, Service und Interviews findet ihr hier in der Videoplaylist

Playlist 50 Videos

Spannende Dokus und mehr

Ihr liebt spannende Dokumentationen und Hintergrund-Reportagen? Dann seid ihr auf RTL+ genau richtig:

Die Lage in Israel eskaliert. Aber wie begann dieser Konflikt eigentlich? Eine informative Doku findet ihr jetzt auf RTL+.

Außerdem noch spannende Dokus zu diesen Themen:

Schaut euch die Geschichte von Alexej Nawalny vom Giftanschlag bis zur Verhaftung in „Nawalny“ an.

Oder: Die Umstände des mysteriösen Tods von Politiker Uwe Barschel werfen auch heute noch Fragen auf. Schaut auf RTL+ die vierteilige Doku-Serie „Barschel – Der rätselhafte Tod eines Spitzenpolitikers“.

Wie läuft es hinter den Kulissen von BILD? Antworten dazu gibt es in der spannenden Doku „Die Bild-Geschichte: Die geheimen Archive von Ex-Chef Kai Diekmann.“ Er hat Politiker kennengelernt, Skandale veröffentlicht und Kampagnen organisiert. Die Doku wirft einen kritischen Blick auf seine BILD-Vergangenheit.