Regina Hillmann ist von Geburt an hochgradig sehbehindert

Klar geht sie ins Stadion: Wie eine nahezu blinde Fußball-Anhängerin ein Fußballspiel erlebt

Regina Hillmann feiert den 1. FC Köln gern im Stadion
Regina Hillmann feiert den 1. FC Köln gern im Stadion.
ANJA LEY
von Robin Hoffmann

“Tooor!” Wenn in der ersten Fußball-Bundesliga der Ball über den Rasen rollt, schießt bei hunderttausenden Fußballbegeisterten der Puls in die Höhe. Auch bei Regina Hillmann (52). Im Unterschied zu den meisten anderen Fans des 1. FC Köln kann sie das Spiel nicht sehen. Sie kann es nur hören. Regina Hillmann ist von Geburt an hochgradig sehbehindert. Uns erzählt sie, wie sie ein Fußballspiel im Stadion erlebt.

"Es geht allen um die Gemeinschaft und die Atmosphäre im Stadion"

Fußball: Bundesliga, 1. FC Köln - Hertha BSC, 32. Spieltag, im RheinEnergieStadion. Kölns Fans vor dem Spiel.
Ob mit oder ohne Behinderung - alle Fans sind im Stadion gemeinsam mit dabei.
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Seit acht Jahren versucht Regina Hillmann, bei jedem Heimspiel des 1. FC Köln dabei zu sein. Sie hat eine Dauerkarte für einen der 40.000 Sitzplätze im Rheinenergie-Stadion. Ihrer befindet sich in dem Stadionbereich, der für sehbehinderte Personen reserviert ist. Drei ehrenamtliche Reporter versorgen die 30 Fans via Kopfhörer mit einer möglichst objektiven Beschreibung des Spielverlaufs.

Regina Hillmann hört der Reportage meist nur mit einem Ohr zu. Denn genauso wichtig ist es ihr, die Atmosphäre im Stadion „aufzusaugen“. Die Stimmung auf der Tribüne habe sich in den vergangenen Jahren aber verändert, erzählt Hillmann. Damit spricht sie den Jubel und die Gesänge der Fans an: „Der Support ist nicht mehr so spielszenenbezogen, man kann ein Spiel anhand der Atmosphäre nicht mehr einordnen, man braucht eine Reportage.“ Sie könne anhand der Akustik nicht mehr erkennen, was auf dem Platz los sei, wenn man Tore und strittige Szenen mal ausnehme.

Trotzdem sei ein Besuch in der Arena für sie nicht anders als für andere Fans: „Es geht allen um die Gemeinschaft und die Atmosphäre im Stadion. Das ist kein Unterschied, ob es jemand mit Sehbehinderung, im Rollstuhl oder einem anderen ,Handicap’ ist.“ Sonst könne man das Spiel auch über irgendein Medium verfolgen.

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Blindenhunde sind die falschen Begleiter im Stadion

Regina Hillmann im Stadion
Regina Hillmann (2. v. r.) im Stadion.
Verein Sehhunde

Neben jeder sehbehinderten Person ist Platz für eine Begleitperson. Ohne sie wäre ein Besuch in einem vollen Stadion gar nicht möglich, erläutert Regina Hillmann: „Da kann man als Blinder nicht mit dem Blindenstock laufen.“ Im Gewusel können andere Stadionbesucher Personen mit Blindenstöcken nicht schnell genug erkennen. Und umgekehrt ist es für Menschen mit Sehbehinderung fast unmöglich, sich im Stadion allein zu orientieren.

Ein Leitsystem auf dem Boden, wie wir es vom Bahnsteig kennen, würde auf dem Weg zum Platz, zur Toilette oder zum Essens-Stand nicht wirklich helfen, sagt Hillmann. „Man hat gar nicht die Möglichkeit, wenn es voll ist, diese Linien zu suchen und auch zu benutzen.” Sinnvoller wäre ein Leitsystem an anderer Stelle: „Im Umfeld - zum Beispiel von der Haltestelle bis zum Stadion.“ Sofern man vor dem ganz großen Ansturm anreist. Wie sieht es aus mit einem Blindenhund als Begleiter? Hillmann antwortet mit einem klaren “Nein”. Das findet sie schon aus Tierschutzgründen keine optimale Lösung.

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"Fanclub Sehhunde" mit großartigem Erfolg

Regina Hillmann (l.) und Nina Schweppe (r.), Mitglieder des Blinden-Fußballfanclubs "Die Sehhunde", die in Koblenz Fußballtrainer Rudi Gutendorf (M.) interviewen (Archivbild vom 21.04.1997). Im August 1991 war der ungwöhnliche Fanklub ins Leben gerufen worden. 32 Mitglieder im gesamten Bundesgebiet und in der Schweiz zählt der Verein, der einmal im Jahr einen gemeinsamen Stadionbesuch organisiert. Daneben erstellen die "Sehhunde" den "Blickpunkt Fußball", ein Fanklubmagazin auf Hörkassette. (zu dpa-Korr "Sehhunde" lieben Fußball und schnuppern Betzenberg-Luft vom 30.12.1997) [dpabilderarchiv]
1997: Regina Hillmann (l.) und Nina Schweppe (r.) interviewen Fußballtrainer Rudi Gutendorf.
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Immerhin: In den Fußball-Stadien hat sich schon viel verändert für Menschen mit Sehbehinderung, auch, weil sich Regina Hillmann und ihre Freundin schon seit über 30 Jahren dafür einsetzen. Mit ihrem 1991 gegründeten Verein „Fanclub Sehhunde“ haben die beiden Frauen die Initiative ergriffen und sich für die Einrichtung von Plätzen für Menschen mit Sehbehinderung in Stadien eingesetzt. Von der Bundesliga bis in die Regionalliga – rund 50 Arenen sind mittlerweile mit Plätzen für Menschen mit Sehbeeinträchtigung ausgestattet. Doch nicht nur in den Stadien soll sich was tun. Regina Hillman wünscht sich zum Beispiel, dass es „flächendeckend, egal bei welchem Fernseh-Sender, einen zweiten Tonkanal mit einer guten Audiodeskription gibt. Das machen noch nicht alle.“

Wunsch nach mehr Aufklärung im Stadion

Von den Vereinen wünscht sich Regina Hillmann mehr Aufklärungsarbeit, „damit möglichst viele andere Stadionbesucher wissen, dass es Menschen mit Handicap im Stadion gibt. Nicht nur Rollstuhlfahrer, die jedem ins Auge fallen.“ Damit meint sie zum Beispiel Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung oder Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, die in manchen Stadien auch eigene Bereiche haben. Ihr Ziel: dass andere Stadionbesucher „ein bisschen umsichtiger sind und auf diese Menschen Rücksicht nehmen. Das klappt in Köln schon ganz gut, aber da gibt es insgesamt noch deutlichen Verbesserungsbedarf.“

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Eine persönliche Sache ist Regina Hillmann ganz besonders wichtig: Sie ist immer eine Viertelstunde vor Anpfiff auf der Tribüne, sodass „man den letzten Ablauf mit Mannschaftsaufstellung und Hymne mitbekommt. Das gehört einfach dazu“. Manchmal ist das ein sehr emotionaler Moment, bevor der Ball wieder rollt und der Puls in die Höhe schießt.