Dramatische Flucht durch die SaharaVon Hunger, Überlebenskampf und Hoffnung: Die Geschichte des Inaki Williams

Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen Leben stellvertretend für so viele Schicksale steht. Eine Geschichte von Flucht. Von Hunger. Von Hoffnung. Eine Geschichte, die oft ein tragisches Ende findet. Damals. Heute. Und für ihn die Rettung bedeutete. Inaki Williams. Heute Torjäger. Clublegende von Athletic Bilbao. Dessen Eltern aus Ghana flohen. 1993. Seine Mutter schwanger. Mit Inaki. Doch Williams wusste von all dem nichts. Ein dramatisches Schicksal im Mantel des Schweigens. Für Jahrzehnte. Bis zu einem Abend im Jahr 2014.
Mama Maria bricht ihr Schweigen
Seit zwei Jahren spielte der damals 20 Jährige für Athletic. Er war auf dem Sprung in die erste Mannschaft. Rückte mehr und mehr ins Licht der Öffentlichkeit. Und diese stellte Fragen: Wer ist dieser junge Mann afrikanischer Herkunft? Er wusste es selbst nicht. „Es hat mich aufgefressen“, sagte Williams im Interview mit der Zeitung „Guardian“. Fragen nach seinen Wurzeln blieben unbeantwortet, seine eigene Geschichte lag in einem Nebel. Bis seine Mutter eines Tages ihr Schweigen brach. Ein Schweigen, um ihren Sohn zu schützen.
„Ich wusste wirklich nicht, wie wir nach Spanien kamen. Ich habe immer danach gefragt, aber meine Mutter hat es vermieden, weil ich noch ein Kind war. Und vielleicht dachte sie dann, wenn sie es gesagt hätte, als ich mit 18 bei Athletic anfing, wäre es zu viel Gewicht auf meinen Schultern gewesen“, so Williams. Doch der Druck wurde größer. Familiär. In der Öffentlichkeit. Maria, seine Mutter, brach ihr Schweigen.
Zu Fuß durch die Sahara
„Wir waren eines Tages zu Hause in Bilbao vor dem Fernseher, als etwas lief – ich weiß nicht mehr was – und ich fragte meine Mutter wieder danach. Meine Mutter schaltete den Fernseher aus und sagte: ‚Okay, es ist an der Zeit, dass es dir sage. Ich denke, du bist jetzt bereit. Die Geschichte von Papa und mir zu hören‘“, blickt der heute 27-Jährige zurück. „Mir wurde ganz kalt. Es ist wie in einem Film und meine Eltern haben es wirklich erlebt.“ Ein Horror-Film mit Happy End.
1993 flüchteten Maria und Felix aus Ghana. Ohne Wasser. Ohne Nahrung. Ohne zu wissen, dass Maria schwanger war. Zu Fuß durch die Sahara. Ein Kampf ums Überleben. Tag für Tag. Sein Vater habe noch heute Probleme mit den Fußsohlen. Barfuß seien sie tagelang durch die Wüste gelaufen. Bei 40, 50 Grad heißem Sand.
Eine gefährliche Flucht
„Menschen sind gestorben, auf dem Weg liegen geblieben. Menschen mussten unterwegs beerdigt werden. Und es war gefährlich: Es gab Überfälle, Vergewaltigungen“, beschreibt Williams die Flucht seiner Eltern. Bis sie eines Tages Melilla erreichten. Die spanische Enklave in Nordafrika. Für viele Afrikaner eine Verheißung auf ein Leben in Europa. Auf eine Zukunft. Doch kurz vor dem Ziel schien dieser Traum zu platzen.
„Sie erreichten Melilla und kletterten über den Zaun, als die Zivilgarde sie festnahm. Sie hatten keine Papiere und kamen als Migranten, also wirst du zurückgeschickt.“ Ein Anwalt einer katholischen Hilfsorganisation habe ihnen geraten, so zu tun, als seien sie Kriegsflüchtlinge, so Williams. Maria und Felix hätten ihre ghanaischen Pässe zerrissen und gesagt, sie kämen aus Liberia. Die Rettung. Das Paar bekam dank des Anwalts politisches Asyl in Spanien. Das Ende einer Odyssee, die im spanischen Baskenland enden sollte.
"Sie haben ihr Leben riskiert"
„Wenn man die Geschichte meiner Eltern hört, möchte man noch härtet kämpfen, um alles zurückzugeben, was sie geopfert haben. Sie haben ihr Leben riskiert, das kann ich niemals zurückzahlen. Aber ich versuche ihnen das Leben zu ermöglichen, wovon sie immer geträumt haben.“
Nach ihrer Maria und Felix nahmen jeden Job an, den sie finden konnten, um die Familie zu ernähren. Als Putzfrau, als Hirte, als Kellner, als Wachmann. „Ich hatte Essen, etwas zum Anziehen und im Vergleich zu vielen, vielen Menschen war ich reich. Das hat mir die Geschichte meiner Eltern erzählt". Eine Geschichte, die in Bilbao eine fast wundersame Wendung nehmen sollte. Auch dank einer neuen Liebe des kleinen Inaki. Dem Fußball. Und der Junge war hochtalentiert. Nach Anfängen bei kleineren Vereinen im Pamplona landete er 2012 in der Nachwuchsakademie von Athletic Bilbao.
Bilbao ein besonderer Club
Ausgerechnet Bilbao. Einer stolzen baskischen Stadt. Mit einem sehr besonderen Fußball-Verein. Denn nur, wer im Baskenland geboren wurde, darf das Trikot des achtmaligen spanischen Meisters tragen. „Alles geschieht aus einem Grund. Wäre ich nicht in Bilbao geboren, hätte ich nie für Athletic spielen können. Meine Eltern durchquerten die Wüste und wurden uns Baskenland gebracht. Das fühlt sich nicht nach Zufall an.“
Neun Jahre und 90 Treffer später hat sich Williams in den Geschichtsbüchern des spanischen Fußballs verewigt. Gegen Deportivo Alaves stand der Stürmer zum 203. Mal auf dem Platz. In Folge! Seit dem 20. April 2016 verpasst er kein Spiel mehr. „Ich danke meinen Eltern für meine Gene“, sagte Williams. Und für so vieles mehr! (tme)




