Vergiss Veilchen, sei Rose!
Bye-bye Bescheidenheit - wie Poesiealbensprüche Generation von Mädchen geschadet haben

Kennen Sie das Gefühl, sich ständig entschuldigen zu müssen? Viele Frauen haben verinnerlicht, lieber bescheiden zu sein und andere vortreten zu lassen. Ein Blick ins Poesiealbum aus den 70ern zeigt: Schon als Mädchen wurden wir aufgefordert, still und bescheiden zu sein. Zur stolzen Rose können wir aber immer noch werden!
Ein typisches Frauen-Problem
Neulich auf der Arbeit: Es gibt diese neue Excel-Tabelle und ich hab da als Erste etwas eingetragen. Soweit normal, oder? Allerdings bekam ich instantly ein schlechtes Gewissen: „Jetzt steh ich da als Erste drin, wie unangenehm.“ Hatte ich mich vorgedrängelt? Wirkte das unbescheiden? Und mir dämmert, dass das ein typisches Frauen-Problem ist. Tief verankert in unserer Gesellschaft und der Art und Weise, wie Mädchen erzogen und bewertet wurden und teilweise immer noch werden. Ohne zu tief in die Themen Patriarchat und Emanzipation einsteigen zu wollen: Es reicht in dem Fall ein Blick ins Poesiealbum (dem Vorläufer des Freundebuchs) aus der Grundschulzeit.
Mädchen bekamen früh Bescheidenheit eingetrichtert

„Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein. Und nicht wie die üppige Rose, die immer bewundert will sein“ steht blau auf weiß in meinem Poesiealbum. Nur Mädchen haben diesen Spruch abbekommen, bestätigt Wissenschaftler Stefan Walter, der zu dem Thema Poesiealben geforscht hat. Texte wie diese zielten auf eine zurückhaltende und bescheidene Lebensführung voller Pflichterfüllung ab. Übrigens haben früher insbesondere die Eltern und nahe Verwandte den Mädchen diese Art von Sprüchen ins Album geschrieben, hat Stefan Walter herausgefunden. Die Botschaft also: Nimm dich selbst nicht so wichtig. Daher haben Frauen oft verinnerlicht: Lieber nicht zu viel über die eigenen Erfolge reden und im Zweifel auch alles ein bisschen schlecht machen.
Anders sah es bei den Jungen und heutigen Männern aus. Die haben zwar früher seltener Poesiealben gehabt. Ganz deutlich zu erkennen ist aber: Sie bekamen andere Sprüche ab – nämlich solche, die dazu geraten haben, mutig und zielstrebig zu sein und Risiken einzugehen. Für Poesiealben-Forscher Stefan Walter ein Hinweis, dass Jungen eine eher aktiv gestaltende Rolle in der Gesellschaft zugedacht wurde, Mädchen hingegen eine passiv-hinnehmende und fürsorgende. Nicht ohne Folgen: Sich zu viel zurückzunehmen kann für Frauen zum Problem werden.
Falsche Bescheidenheit ablegen und den Selbstwert steigern

Dass Frauen oft nicht so sichtbar sind – daran können wir was ändern. Die Trainerin und Autorin Anouk Ellen Susan ermutigt uns, falsche Bescheidenheit loszulassen. Wir sollen uns ruhig mehr zeigen und von uns hören lassen – in Meetings oder auf digitalen Plattformen. „Kennt dich keiner, will dich keiner“, sagt sie. Und dabei zählen auch die kleinen Aktionen, die immer wieder einzahlen auf unser Konto, es muss nicht immer der ganz große Wow-Aufschlag sein. Ihre ganz handfesten Ratschläge gegen zu viel Bescheidenheit:
Nicht alles persönlich nehmen, auch mal was von sich abprallen lassen
Mehr einfordern, z.B. eine Gehaltserhöhung
Bei einem Meeting anderer Meinung? Zu Wort melden
Ecken und Kanten machen uns interessant – klar sagen, was man will
Nicht immer nur nett sein und nicht nur den Wünschen anderer anpassen
Das Nein-Sagen üben
Work out loud – Tue Gutes und sprich darüber
360 Grad-Befragung: Frag deine Familie, Freunde und Kollegen, was sie als deine Stärken und Vorteile sehen
Komplimente aushalten und nicht gleich abschwächen (innerlich bis 3 zählen)
Mut haben und sich trauen lohnt sich, sagt Autorin Anouk Ellen Susan. Ganz nach der Devise: „Das Nein hast du, das JA kannst du bekommen“.
Tschüss, Veilchen

Die gute Nachricht: Texte, wie "Sei wie ein Veilchen im Moose“ wurden später immer seltener in Poesiealben geschrieben. Für den Forscher Stefan Walter zeigt sich darin, wie sehr sich unsere Gesellschaft schon verändert hat. Insgesamt seien Werte wie Bescheidenheit, Pflicht und Zurückhaltung schon seit längerem auf dem Rückzug.
Und schönen Gruß auch an Kollege Poesiealbum aus der 4b – ich habe jedenfalls beschlossen, lieber Rose zu sein statt Veilchen. Ein paar wehrhafte Stacheln haben auch noch niemandem geschadet.
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