Psychiater Dr. Pablo Hagemeyer klärt auf

Beziehung mit einem Narzissten: Kann das gelingen?

Narzissmus
Ist die Trennung vom Narzissten der einzige Ausweg?
IMAGO / agefotostock

von Isabel Michael

Entpuppt sich der Partner als waschechter Narzisst, kann das die Beziehung nicht nur anstrengend, sondern auch regelrecht zerstörerisch werden lassen. Eine Trennung scheint oft der einzige Ausweg, um den Machtspielchen des narzisstischen Partners zu entkommen.

Auch das Leben von Dschungelcamp-Kandidatin Djamila Rowe wurde schon mehrfach von Narzissten bestimmt, wie sie ihrer Mitstreiterin Tessa Bergmeier bei der Nachtwache berichtete.

Aber kann eine Beziehung mit einem Narzissten funktionieren? Der Psychiater und Buchautor Dr. Pablo Hagemeyer ( „Gestatten, ich bin ein Arschloch“*) beantwortet diese und weitere Fragen im Interview mit RTL.de.

"Narzissten sind meistens unempathisch und zeigen kein Mitgefühl mit dem anderen"

RTL.de: Wie erkenne ich, ob ich mit einem Narzissten zusammen bin?
Dr. Pablo Hagemeyer:
„Man sollte nicht jedes egoistische Verhalten als Narzissmus darstellen. Das passiert sehr oft. Wenn die eigenen Bedürfnisse ignoriert werden, heißt das nicht, dass der andere ein Narzisst ist. Es kann durchaus auch umgekehrt sein. Frauen sagen mir oft, ihr Mann sei ein Narzisst. Dabei ist das nur eine Projektion und sie sind selbst narzisstisch.“

Welche Merkmale sind denn typisch für einen Narzissten?
Hagemeyer: „Man erkennt Narzissten sehr gut an grenzverletzendem Verhalten. Ein Teil davon ist Gewalt. Viele Frauen lassen sich auf Männer ein, die ein tolles Bild von sich zeichnen und sich mit Love-Bombing ins Gehirn der Frau einschreiben. Diese will dann immer an diesem Bild festhalten. Es gibt sehr viele Frauen, die den Narzissten dann weiter korrigieren wollen. Sie hoffen ihn wieder so hinzukriegen, wie er am Anfang war, weil sie sich nicht von ihm trennen können. Das liegt häufig an den eigenen Verletzungen oder Traumatisierungen der Frauen. Das nutzt der Narzisst aus. Er ist überzeugt, im Recht zu sein und begibt sich in die Opferrolle aber eigentlich übt er Macht aus. Das sind die perfiden Narzissten, die den anderen so manipulieren, dass sie ihren Willen durchsetzen. Man erkennt sehr schnell einen Narzissten daran, indem man sich fragt: ‘Wer hat hier den größten Nutzen?’ Dann erkennt man sehr schnell, dass jemand seine Sachen egoistisch durchsetzt – egal, wie es dem anderen damit geht. Narzissten sind meistens unempathisch und zeigen kein Mitgefühl mit dem anderen. Es gibt auch noch weitere ‘Red Flags’, aber man muss das langfristig beobachten. Wenn jemand sich einmalig wie ein Arsch benimmt, heißt das noch lange nicht, dass er ein Narzisst ist. Beobachten, nicht verleugnen und sich dann entscheiden, ob man da mitmacht oder nicht.“

Narzissten manipulieren ihre Opfer. Wie geschieht das genau?
Hagemeyer:
„Eine einfache Manipulation ist, freundlich und charmant zu sein und den anderen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die dieser eigentlich gar nicht tun will. Der tut sie dann aus Mitgefühl und Sympathie. Wir können natürlich nur manipulieren, wenn der andere auch dazu bereit ist. Eine perfide Form ist der Gaslighting-Effekt: Da kommt es zu Verführung des Opfers, indem man dem Opfer dauernd sagt, dass es sich täuscht mit der Wahrnehmung. Man redet dem anderen ein, dies oder jenes gesagt oder nicht gesagt zu haben. Man beherrscht ihn also ständig in seiner Wahrnehmung und in seinem Urteil. Das ist besonders gemein, weil der Partner dem Narzissten natürlich aus Liebe glaubt. Wenn der Partner, den man liebt, einem ständig sagt, dass man sich irrt, ist das sehr verwirrend und erschütternd und zerstört das Selbst.“

"Sehr häufig sind die Frauen, die in diesen Beziehungen bleiben, auch traumatisiert"

Wie kann man dem Narzissten Paroli bieten?
Hagemeyer:
„Wenn in der Beziehung Gewalt oder emotionale Abhängigkeit herrscht, ist das ein Alarmzeichen. Dann sollte man Abstand nehmen oder zumindest kurzzeitig die Situation verlassen, damit man nicht sofort darauf reagiert. Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum, in dem man entscheiden kann, wie man damit umgeht. Viele Frauen reagieren unmittelbar, intuitiv und impulsiv. Das liegt daran, dass sie selbst zum Beispiel auch gespalten sind. Auf der einen Seite haben sie Sehnsucht nach diesem Menschen und auf der anderen Seite fürchten sie sich vor ihm. Sehr häufig sind die Frauen, die in diesen Beziehungen bleiben, auch traumatisiert. Die haben eine Vorerfahrung.“

Was heißt das genau?
Hagemeyer:
„Sie musste vermutlich schon einmal genau dasselbe erleben, nämlich von einer Bezugsperson emotional misshandelt worden zu sein, andererseits diese Person auch zu mögen beziehungsweise zu lieben. Dieses Dilemma kriegen viele Frauen nicht auseinander. Sie geraten an solche Männer, die in der Beziehung übergriffig und missbräuchlich sind, aber andererseits auch sehr attraktiv, anziehend und schillernd. Es geht in der Paarproblematik immer um die wechselseitige Geschichte. Wenn ich als aufgeklärte Frau an so einen manipulativen Arsch käme, dann müsste ich mich von ihm trennen, wenn ich es erkenne.“

Also ist die Frau selbst schuld, wenn sie mit einem Narzissten zusammen bleibt?
Hagemeyer:
„Ich würde nicht Schuld sagen. Wenn man als Frau nicht wirklich weiß, wie viel eigene dysfunktional traumatisierte Anteile man hat, die einem einen Strich durch die Rechnung machen, ist das ungünstig. Ich helfe den Opfern dabei, sich besser abzugrenzen und da kommt früh heraus, dass diese Frauen gar nicht wissen, was Grenzen sind oder wie sie Grenzen durchsetzen können.“

Wie verhalten sich Narzissten, wenn sich das Opfer von ihnen trennt?
Hagemeyer:
„Leider sind die schwer beleidigt. Alles, was die Frau tut, um sich vielleicht auch in einer harmonischen Art und Weise zu trennen, wird gegen sie benutzt. Sorgerechtsstreitigkeiten, Güter, Lügen und Gerüchte werden gebraucht, um gegen diese Frau zu schießen. Das ist sehr unangenehm und zerstörerisch. Schwer aushaltbar. Die sozialen Einrichtungen – angefangen von Frauenhäusern, Jugendämtern oder auch Richtern haben immer noch keinen blassen Schimmer, zu was Täter fähig sind. Falschaussagen vor Gericht zum Beispiel zeigen, wie sehr eine Strategie gefahren wird, um die Person zu zerstören, die sich getrennt hat. Die Menschen, die dem Opfer helfen sollen, brauchen viel mehr Fortbildung.“

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"Die Gefahr ist da, dass alles, was man äußert, gegen einen verwendet wird"

Ist es besser, wenn der Narzisst sich trennt?
Hagemeyer:
„Der Narzisst trennt sich eigentlich nicht. Der schmeißt das Opfer raus, wenn es sich nicht an seine Regeln hält. Er sagt dann zum Beispiel sowas wie: ‘Ich will die Scheidung. Ich kann mit dir nicht mehr leben, weil du so furchtbar bist.’ Das klingt nicht unbedingt narzisstisch. Verkehrt aber die Tatsache, dass er selbst furchtbar ist. Ich empfehle, dass man das so auslaufen lässt. Also sich nicht konflikthaft trennen und immer wieder die Nähe des Narzissten aufsuchen. Dann kommt man selbst auch zur Ruhe. Wenn der Partner nur ein bisschen narzisstisch ist, kann man in Kontakt sein. Die Gefahr ist aber immer da, dass alles, was man äußert, gegen einen verwendet wird.“

Wollen Narzissten den Partner wiederhaben oder gehen sie lieber zu einem neuen Opfer?
Hagemeyer:
„Es ist möglich, dass dem Narzissten so viel liegt an dem anderen Menschen als Deko, Schmuck und Statussymbol, dass er ihn wiederhaben will. In der Welt der Prominenz ist das eher so. Die stillen verdeckten Narzissten möchten auch die Versorgung aufrechterhalten, damit sie beispielsweise nicht so viel arbeiten müssen.“

"Der Narzisst liebt eher durch Begehren, aber er weiß nicht, wie Liebe geht"

Ist ein Narzisst überhaupt dazu fähig, jemanden wahrhaftig zu lieben?
Hagemeyer:
„Die Erklärung ist komplex. Das hat viel damit zu tun, dass der narzisstische Mensch seine Selbstwertstörung, die er im Kern hat, mit dem Partner reguliert. Es geht ihm im Prinzip immer nur darum, den anderen für die eigenen Bedürfnisse zu benutzen. Dann erklärt sich sehr schnell, warum der Narzisst mal so und dann wieder anders ist – weil er wechselnde Bedürfnisse hat. Es geht eher darum, das Selbst zu stabilisieren. Der narzisstische Mensch fragt sich, ob er gut genug ist. Er braucht die Anerkennung und wenn er die nicht bekommt, wird er wütend. Es geht nur um die Zuwendung und Bestätigung. Wenn die nicht kommt, wird das, worum es inhaltlich ging, auch schnell wieder zerstört. Man wird zum Objekt. Der Narzisst liebt eher durch Begehren, aber er weiß nicht, wie Liebe geht.“

Wie äußert sich das?
Hagemeyer:
„Für ihn hat Liebe eine Funktion. Er findet die Frau toll und sexy, aber er benutzt sie für sich wie einen Gegenstand. Der Narzisst hat immer dasselbe im Blick, so ist auch kein Fortschritt und Wachstum möglich. Die Beziehung ist am Anfang ganz toll, aber vor allem die großartigen Narzissten können langfristig keine Beziehung halten, weil ihre Ansprüche nicht mehr erfüllt werden. In ihren Augen ist es dann langweilig, weil kein Geheimnis mehr da ist und alles in Besitz genommen wurde.“

Hinweis: In diesem Interview wird zwar vom Narzissten und seiner Partnerin gesprochen – selbstverständlich kann das Ganze aber auch umgekehrt laufen: Die Frau ist die Narzisstin und der Mann das „Opfer“.

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