Albrecht Weinberg über die Schrecken der NS-Zeit
„Mit toten Häftlingen in der Koje gelegen” – Holocaust-Überlebender erinnert sich
Eine Erinnerung, die nie ganz verblasst.
Nummer 116927. Es ist eine Nummer, die Albrecht Weinberg nie vergessen wird. Eine Nummer, die der 99-Jährige bis heute auf seinem Arm trägt. Seine Häftlingsnummer im Konzentrationslager.
„Ich habe als Kind nicht gewusst, was ein Jude ist”
1925 wird Albrecht Weinberg als jüdisches Kind in Rhauderfehn in Ostfriesland geboren. Er und seine Geschwister Dieter und Friedel realisieren lange nicht, was Grausames in Deutschland passiert. „Ich habe als Kind nicht gewusst, was ein Jude ist oder was ein katholischer Mensch ist oder was ein protestantischer Mensch ist.“
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Religion spielt für ihn keine Rolle. An Weihnachten singt er mit seinen nicht jüdischen Nachbarn feierlich „O Tannenbaum”. Wenn seine Familie Chanukka feiert, kommen seine Freunde zu Besuch. Das ist für sie ganz normal. Bis es das plötzlich nicht mehr ist.
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Verschleppt und ermordet
Mit elf Jahren wird Albrecht Weinberg das Lernen an der Schule verwehrt, „weil ich ein Jude bin.“ Immer häufiger werden Juden ausgegrenzt. „Es wurde immer schlechter. Es war so, als wenn man in einen Schraubstock eingespannt war und jeden Tag oder jede Woche eine Umdrehung, dass man sich nicht mehr bewegen kann.“ Dann ist es Juden sogar verboten, am Tage auf der Straße zu sein, erzählt der 99-Jährige. „Man hat uns wie Tiere behandelt, obwohl wir deutsche Bürger waren. Man hat uns staatenlos gemacht.”
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1943, mit 18 Jahren, werden er und seine Geschwister nach Auschwitz deportiert. Seine Eltern werden zunächst in ein anderes Lager verschleppt, schließlich aber in Auschwitz ermordet. „Wir waren ein Knochengerüst, mit einer gelben Haut überzogen, dass man kaum auf die Füße stehen kann. Ihr könnt euch nicht vorstellen, man hat mit toten Häftlingen in der Koje gelegen.“
Hunger, Durst und Krieg
Albrecht Weinberg schafft es, die Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau Dora und Bergen Belsen zu überleben. Wenn er heute an das Lager Bergen-Belsen denkt, erinnert er sich daran, wie er mitten in einem Berg mit toten und zu Tode erschöpften Menschen liegt. Im April 1945 wird er endlich von britischen Truppen befreit. In seinem Buch „Damit die Erinnerung nicht verblasst wie die Nummer auf meinem Arm“ beschreibt er den Moment: „Ich war unfähig, mich zu freuen, unfähig, weiter in die Zukunft zu denken als bis zum nächsten Bissen Brot.”
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Albrecht Weinberg und seine beiden Geschwister überleben den Holocaust. Damit die Erinnerungen an diese grausamen Taten nicht verblassen, wie die Häftlingsnummer auf seiner Haut, geht Albrecht Weinberg an Schulen. Er demonstriert gegen Rechtsextremismus, erzählt den Menschen seine Geschichte. „1945 wurde gesagt: Nie wieder Krieg. Und seit 1945 ist nur Krieg in der Welt. Hunger und Durst.“ Immer wieder durchlebt er gedanklich die Schreckenstaten des Nationalsozialismus neu. Doch das ist es ihm wert. Er hofft, dass seine Geschichte dazu beitragen kann, dass die Geschichte sich nie wiederholt.