Keine Zeit für Menschlichkeit?„Das ist keine Pflege – es geht ums Herz und die Seele!“ Heimbewohnerin bricht in Tränen aus

So will sich niemand fühlen – egal, wie alt!
Bei ihrem Undercover-Einsatz als Pflegehelferin im Alloheim Frankfurt Mainpark fällt „Team Wallraff“-Reporterin Lisa eine elegante alte Dame auf. Sie wirkt unglücklich und einsam. Was dann unter Tränen aus der Frau herausbricht, macht Lisa unglaublich traurig. Bleibt hier für sozialen Kontakt gar keine Zeit?

Menschliche Zuwendung scheint hier die Ausnahme zu sein

Frau Henkel*, lange weiße Haare, schick gemacht mit Ohrringen und goldenen Ringen an jedem Finger, sitzt fast den ganzen Tag allein im Aufenthaltsraum. Auf Lisas Frage, ob es ihr nicht so gut ginge, antwortet sie: „Ich will weg! Mir gefällt das nicht, das ist keine Atmosphäre wie zu Hause.“ Dann fängt sie an zu weinen. „Ist wie im Irrenhaus! Entschuldigung…“

„Werden Sie denn ab und zu mal gefragt, wie’s Ihnen geht?“, will Lisa wissen. „Danke, das ist lieb“, so die Bewohnerin. Was sie dann hinzufügt, macht die Reporterin sehr betroffen: „Jeder sagt mir: keine Zeit, keine Zeit. Das ist keine Pflege. Es geht ums Herz und die Seele, und das kapieren die nicht.“

Juristin und Pflegerechtsexpertin Ulrike Kempchen weiß, wie schlimm mangelnde Zuwendung im Heim sein kann: „Menschen, die keine Zuneigung bekommen, werden natürlich depressiv und vor allen Dingen: Sie verlieren den Lebensmut. Und verdorren dann eigentlich wie Pflanzen, die kein Wasser bekommen.”

Als Lisa Frau Henkel einen Saft bringt und verspricht, öfter zu kommen und mit ihr zu sprechen, strahlt sie über das ganze Gesicht. Doch die anderen Pflegerinnen scheinen sich schon längst von so viel Austausch verabschiedet zu haben – weil keine Zeit dafür bleibt? „Schatz, wenn Du allein bist: Gas geben. Du vergisst den Bewohner“, so das Statement einer Kollegin. „Wenn dann der Bewohner sagt: ‚Ich hab mit dir gesprochen, keine Antwort, keine Hilfe‘ – Tut mir leid, Schatzi, ich bin allein. Kannst du ruhig sagen.“

Lese-Tipp: Wegen Inkontinenz „niedergemacht“? Heimbewohnerin offenbart sich unter Tränen vor Günter Wallraff

Streaming Tipp
Team Wallraff - Reporter undercover
Jetzt auf RTL+ streamen

Zu wenig Zeit – zu wenig Körperpflege?

Auch die körperliche Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner scheint teilweise unter dem Zeitmangel des Personals zu leiden. Pflegerin Jasmin erklärt Lisa, wie sie mit dem Duschplan umgehen soll, demzufolge eigentlich jeder einen festen Duschtag hat: Wenn sie alleine sei, solle sie eintragen, der Bewohner habe abgelehnt – statt zu sagen, dass sie es nicht geschafft habe.

Pflege-Expertin und Autorin Andrea Würtz hat dazu eine klare Meinung: „Hier wird eine Anleitung gegeben, konsequent das Wohl oder die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zu ignorieren. Grundsätzlich ist die Pflegedokumentation eine Urkunde. Jede Manipulation, jede Falschaussage ist im Groben Urkundenfälschung.”

Alloheim schreibt hierzu: „Ein solcher Fall ist uns nicht bekannt. Unsere Pflegestandards sehen vor, dass Bewohner immer gefragt werden, ob sie duschen möchten. (...) In keinem Fall darf eine Ablehnung des Duschens dokumentiert werden, wenn dies nicht der Fall ist. Geschieht dies doch, ist dies ein individuelles Fehlverhalten, das unseren Vorgaben klar widerspricht.“

Lese-Tipp: Probleme im Pflegeheim? Das könnt ihr als Angehörige tun!

„Ich wünsche mir nur den Tod“

An einem Morgen erzählt Nachtschwester Rosa* Lisa, ein Bewohner habe gedroht, sich das Leben zu nehmen und sei jetzt in der Psychiatrie: „Ich habe die Polizei geholt, Suizid. Ganz schrecklich, sag ich dir. Er ist zu mir mit dem Messer. Der war verrückt, total verrückt.“ Sie sei in der Nacht allein für das ganze Haus zuständig gewesen.

Alloheim schreibt hierzu, dass die gesetzlich vorgegebene Mindestbesetzung zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei.

Als Herr Schott*, der betroffene Bewohner, kurze Zeit später wieder im Heim auftaucht, bekommt Lisa mit, dass er nach einer Ärztin fragt, weil er an Armen und Beinen zittere: „Aber nicht die Polizei bitte rufen, ich hab das heute Morgen schon nicht verkraften können.“ Doch die zuständige Fachkraft erklärt Lisa: „Ich habe keinen Arzt für heute.“ Auch sei ihrer Ansicht nach nichts da, um es dem Bewohner zur Beruhigung zu verabreichen.

Als Lisa Herrn Schott einige Tage später auf dem Flur sitzend vorfindet, wirkt er wieder völlig verzweifelt. „Mir geht’s gesundheitlich nicht gut“, klagt er. „Ich wünsche mir nur den Tod. Man kann mit niemandem reden. Wenn man was sagt – fünf Minuten später ist die Polizei da.“ Schließlich fängt der Bewohner an zu weinen.

Andrea Würtz erklärt, ihrer Meinung nach wäre hier das richtige Verhalten gewesen, „dass eine Fachkraft mit Nachdruck darauf besteht, dass ein Arzt kommt, mit dem Bewohner spricht und dass er eine andere Hilfe bekommt. Man sieht auch sehr deutlich, dass auf seine Bedürfnisse eigentlich gar nicht eingegangen wird, was sich natürlich in seinem Ausnahmezustand noch mal verstärkend auswirkt. Und er ist hilflos und es wird ihm nicht adäquat geholfen.”

Alloheim bestreitet das: „Wie die Dokumentation belegt, wurde dem Bewohner die ärztlich verschriebene Medikation nach Bedarf in dem betreffenden Zeitraum verabreicht. Die Einrichtung stand zudem mit der behandelnden Ärztin in Kontakt und hat diese über den Zustand des Bewohners informiert. Nachdem der Bewohner den Wunsch eines Arztbesuches geäußert hatte, wurde dieser umgehend terminiert.”

Lese-Tipp: Tot aufgefunden im Pflegeheim! Hätte Rainer Stopkas Mutter länger leben können?

Video-Playlist zu „Team Wallraff"

„Team Wallraff – Reporter undercover“ auf RTL+

Ihr wollt die ganze Reportage von „Team Wallraff – Reporter undercover“ sehen? Auf RTL+ könnt ihr sie jederzeit abrufen.

Hier findet ihr Hilfe in schwierigen Situationen

Solltet ihr selbst von Suizidgedanken betroffen sein, sucht euch bitte umgehend Hilfe. Versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über eure Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Wenn ihr schnell Hilfe braucht, dann findet ihr unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die euch Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

*Namen von der Redaktion geändert