Grausamer Pflegefehler? Trotz Kot, Urin und Dekubitus – Pflegebedürftiger eine Woche lang nicht gewaschen?

Schweiß, Urin und Kot.
Welcher Geruch „Team Wallraff”-Reporterin Emily bei ihrem Undercover-Einsatz im Alloheim Neuss im Zimmer von Herrn Blume* begegnet, ist für sie kaum auszuhalten. Dass es hier so riecht, ist kein Wunder. Es sind mehr als 30 Grad draußen, der pflegebedürftige Bewohner ist inkontinent, hat eine offene Wunde und wurde offenbar seit einer Woche nicht gewaschen. Ein „grausamer Pflegefehler”, der Pflege-Expertin Andrea Würtz sprachlos macht.

Kommt hier selbst die Grundhygiene zu kurz?

Wer nicht mehr selbst für sich sorgen kann, ist auf die Hilfe anderer angewiesen. Kommt man dann ins Pflegeheim, geht man davon aus, dass sich hier um die nötigsten Bedürfnisse gekümmert wird – schließlich zahlt man im Zweifel jeden Monat mehrere Tausend Euro dafür. Dass selbst die Grundhygiene offenbar teilweise nicht mehr ausreichend gewährleistet werden kann, wenn es an Zeit, Geld und Personal mangelt, bemerkt „Team Wallraff”-Reporterin Emily sehr schnell bei ihrem Undercover-Einsatz im Alloheim in Neuss in Nordrhein-Westfalen.

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Als sie gemeinsam mit Pflegehelferin Iris* das Zimmer von Herrn Blume betritt, bleibt ihr fast der Atem weg. Herr Blume, sein Rollstuhl und das gesamte Zimmer riechen extrem nach Schweiß, Urin und Kot. Draußen sind es 30 Grad, laut Pflegehelferin Iris soll der Bewohner seit einer Woche nicht gewaschen worden sein.

Dazu schreibt Alloheim: „Die Grundpflege entspricht den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner.”

Pflegehelferin Iris verspricht Herrn Blume, dass er jetzt endlich gepflegt wird, doch statt einer ausgiebigen Dusche wird der hilflose Mann nur mit einem Waschlappen gewaschen. Für Undercover-Reporterin Emily überraschend, doch richtig schockiert ist sie erst, als sie mitbekommt, dass Herr Blume anscheinend an einem sogenannten Dekubitus leidet, einem Druckgeschwür. Ein Dekubitus entsteht meist an Fersen, Po oder Ellenbogen, wenn Menschen lange in der gleichen Position liegen, häufig ist falsche oder unzureichende Pflege der Grund für einen Dekubitus. Im schlimmsten Fall können dabei sogar Haut, Muskeln oder Gelenke zerstört werden.

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„Grausam und ein echter Pflegefehler in diesem Fall”

Bei Herrn Blume zieht sich laut unserer Recherche der Dekubitus über sein gesamtes Gesäß, die Haut ist rot und sieht entzündet aus. Um die offene Wunde zu versorgen, greift Pflegehelferin Iris aber nicht zu einer Wundsalbe, sondern zu einer Bodylotion, cremt das Druckgeschwür damit ein und klebt ein Pflaster drauf. Ob das so richtig ist?

Team Wallraff zeigt Pflege-Expertin Andrea Würtz die Aufnahmen: „Es ist sogar noch schlimmer, denn eine Woche nicht geduscht, heißt, mit seiner Wunde haben sich die hygienischen Verhältnisse noch verschlechtert, weil die Basishygiene fehlt. Das alles zusammen ist grausam und ein echter Pflegefehler in diesem Fall.

Alloheim schreibt hierzu: „Dass Herr Blume einen großen offenen, blutigen Dekubitus hatte, ist laut Alloheim nachweislich nicht korrekt.”

Dass wir hier einen Pflegefehler dokumentieren, sieht auch Pflege-Rechtsexpertin Ulrike Kempchen so: „Hier hätte eine Wundbehandlung stattfinden müssen. Hier hätte es einen Lagerplan geben müssen. Wer einen Dekubitus hat, hat einen Anspruch darauf, dass Sitzhilfen verordnet werden, die man auch von der Kasse erhält.” Ein spezielles Sitzkissen gibt es für Herrn Blume im Alloheim Neuss an diesem Tag nicht, stattdessen faltet ihm Pflegehelferin Iris eine Bettdecke, damit es für ihn weniger schmerzhaft ist, wenn er anschließend beim Frühstück in seinem Rollstuhl auf seiner Wunde sitzt.

Alloheim schreibt hierzu: „Bei der Regelprüfung des Medizinischen Dienstes im Mai 2025 wurden keine Defizite im Bereich Schmerzmanagement festgestellt... Sollte dennoch eine Druckstelle entstehen, wird diese umgehend dokumentiert und nach ärztlicher Anordnung soweit pflegerischen Maßnahmen behandelt.”

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„Mir tut alles weh. Darf ich ein bisschen ins Bett?”

Undercover-Reporterin Emily hat den Eindruck, dass es Herr Blume am Frühstückstisch nicht gut geht, er rührt sein Marmeladenbrötchen nicht an. Als Emily ihn fragt, ob er Schmerzen hat, antwortet er: „Ja. Mir tut alles weh. Darf ich ein bisschen ins Bett? Ich müsste mich hinlegen.” Emily versucht, dem Mann zu helfen und fragt bei Pflegehelferin Iris nach, ob sie Herrn Blume ins Bett bringen können. Doch sie hat scheinbar keine Zeit, muss sich erst um eine andere Bewohnerin kümmern und will sich nach dem Mittagessen um Herrn Blumes Anliegen widmen. Das ist allerdings erst eine Stunde später.

Wenige Tage später erfährt Emily, dass Herr Blume ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort verstarb.

Mangelt es hier sogar an Duschgel?

Dass es während ihres Undercover-Einsatzes im Alloheim Neuss offenbar nicht nur an Zeit und Personal zu mangeln scheint, sondern auch an manchen Hygieneutensilien, zeigt sich bereits in den ersten Arbeitstagen. Emily soll einen pflegebedürftigen Bewohner waschen, an dessen Gesäß eingetrockneter Kot klebt. Sie vermutet, dass seine Einlage am Tag zuvor nicht gewechselt wurde. Um ihn richtig sauberzumachen, bräuchte sie Duschgel, doch das kann sie im ganzen Zimmer nicht finden. Auch als Emily ihre Pflegekolleginnen und -kollegen fragt, können die ihr nicht helfen. Offenbar weiß an diesem Tag keiner ihrer Ansprechpartner, wo man Duschgel auf der Station finden kann. Der Rat einer Kollegin: „Dann musst du mit Wasser aufweichen. Wasser, Wasser, Wasser und Waschlappen.”

Offenbar kein Einzelfall: Immer wieder bekommt Undercover-Reporterin Emily mit, dass ihre Kollegen nach Duschgel suchen. Eine Pflegefachkraft greift aus der Not heraus sogar zur Handseife: „Mit irgendwas muss ich die Frau ja waschen.”

Alloheim schreibt hierzu: „Das individuell gewünschte Pflegeprodukt des Bewohners oder ein von der Einrichtung gestelltes Alternativprodukt ist in ausreichender Menge grundsätzlich - auch im Lager - verfügbar. In unserer Einrichtung in Neuss kommt ausschließlich eine milde Waschlotion zum Einsatz, auch in Seifenspendern. Die Behauptung, es wäre Handseife für das Waschen von Bewohnern verwendet worden, ist somit nachweislich falsch.”

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Desinfektionsmittel zum Waschen?

Eine Pflegehelferin treibt das Thema „Grundhygiene ohne Waschlotion” schließlich auf die Spitze. Ein Senior hat sich bis über den Rücken hinweg eingekotet. Da auch in diesem Zimmer gerade keine Pflegemittel zu finden sind, greift die Kollegin kurzerhand zu einer ganz speziellen Waschlotion, um den Pflegebedürftigen sauber zu bekommen – Desinfektionsmittel, das ausschließlich für die Hände gedacht ist. Eine Reinigung des Intimbereichs damit kann die Schleimhäute extrem reizen und austrocknen.

Team Wallraff zeigt die Aufnahmen der Pflege-Expertin Andrea Würtz: „Wie soll man das kommentieren, es fehlt an allem, an Seife an dem Nötigsten. Es gibt einen Versorgungsnotstand. Wir brauchen eine Kontrollinstanz, die das kontrolliert und Mitarbeitende, die sagen, Moment mal, das machen wir aber nicht mehr mit und wir machen bitte keine Anleitung, wie man Stuhlgang mit Wasser einweicht, weil es keine Seife mehr gibt.”

Alloheim schreibt hierzu: „Der von Ihnen beschriebene Ausnahmefall ist uns bekannt und wir bedauern diesen ausdrücklich. Anders als von Ihnen suggeriert, war fehlende Duschlotion nicht die Ursache, Duschlotion war in der Einrichtung zu jeder Zeit ausreichend vorhanden.”

Kein Geld für passende Inkontinenzeinlagen?

Dass bei diesem Alloheim anscheinend nicht nur an Duschgel gespart werden soll, erzählt Pflegehelferin Iris Reporterin Emily. Die meisten Bewohner müssen Einlagen tragen, bei manchen reichen diese aber nicht aus, sie müssten spezielle große Einlagen tragen. Da diese mehr kosten, dürfen die Pfleger sie laut Iris angeblich nicht verwenden. Sie nimmt die Einlagen bei einigen Bewohnern darum doppelt. Pflegerechts-Expertin Ulrike Kempchen erklärt, als Team Wallraff ihr die Aufnahmen zeigt: „Tatsächlich erhält das Pflegeheim von den jeweiligen Pflegekassen eine Pauschale für Hilfsmittel, wo eben auch dieses Inkontinenzmaterial mit umfasst wird. Tatsächlich muss man sich die Frage stellen, ob die Gelder der Pflegeversicherung so verwendet werden, wie sie eigentlich gedacht sind.”

Anscheinend kein Einzelfall: Eine Informantin, die früher im Alloheim in Moers gearbeitet hat, berichtet ebenfalls, dass angeblich beim Inkontinenzmaterial gespart worden sei. „Dann haben wir bei DM oder Rossmann vom eigen verdienten Geld Inkontinenzeinlagen gekauft. Damit die Bewohner irgendwie versorgt werden. Genau schlimm ist es, dass man Handtücher nimmt oder auch Toilettenpapier oder Handtuchpapier.”

Behauptungen, dass es Vorgaben gäbe, an Materialien zu sparen, sind laut Alloheim falsch. Pflegedienstleitungen hätten den Bedarf im Blick.

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*Namen von der Redaktion geändert