Start-ups gegen den Ärztemangel: Rentnerin bekommt Hilfe vom Online-Doktor
Auf dem Land mal schnell zum Arzt? Vielerorts ist das unmöglich, die Gegenden kämpfen mit dem Ärztemangel. Drei Start-ups wollen helfen: mit Bussen, Online-Sprechstunden und Sehtests im Rathaus.
Marietta Gabel lebt mitten auf dem Land. Sie liebt ihren Garten. Die Ernte fällt ihr allerdings immer schwerer, denn sie sieht das Obst teilweise nur noch verschwommen.
„Manchmal muss man zweimal hingucken“, sagt die Rentnerin. „Und jetzt muss man besonders aufpassen, weil doch die Wespen unterwegs sind und man nicht zufällig in eine Wespe hineingreift.“
Seit mehreren Monaten versucht sie einen Augenarzt Termin zu bekommen. Es gelingt ihr nicht – in der Nähe schon gar nicht. Den nächsten freien Termin gibt's 36 Kilometer entfernt und erst in einem halben Jahr. Unterdessen wird ihre Sehkraft Tag für Tag schlechter. Auch Lesen wird immer mehr zur Qual. „Ich kann es sehen, aber es strengt mich doch irre an“, sagt sie.
Durch Zufall erfährt sie von Bekannten, dass hier direkt im Rathaus des Nachbarorts ihre Augen doch unkompliziert untersucht werden können. Vom Startup Mirandus, das für Augentests in ländlichen Regionen durch Augeninnendruck, Messungen oder eine Sehstärkenbestimmung wie beim Optiker. Der Augencheck kostet ab 50 €, die selbst gezahlt werden müssen. Ein Augenarzt ist hier nicht vor Ort. Sogenannte Optometristen, also studierte Optiker, machen die Untersuchungen. Diagnosen werden hier im Rathaus nicht gestellt.
„Dann im Nachgang können die Ergebnisse an Augenärzte übermittelt werden, die dann theoretisch überall in Deutschland sitzen können. Und damit sind wir nicht abhängig davon, wo Augenärzte niedergelassen sind, sondern können im Prinzip eine mobile Untersuchung gewährleisten“, sagt Mirantus-Gründer Claus Gruber.
Die Patienten bekommen nach den Augentests einen Facharzt Termin für eine Videosprechstunde, die dann von der Krankenkasse bezahlt wird. Für die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hat das Konzept gute Ansätze. Dennoch lauern Herausforderungen.
„Vorteile sind: Patientinnen und Patienten bekommen einen schnellen Termin für eine Untersuchung. Nachteile: Wenn tatsächlich etwas festgestellt wird, beurteilen anonyme Ärzte die Befunde und der Patient hat wenig Möglichkeiten, direkt den Augenarzt aufzusuchen, weil dies meist mit längeren Anfahrtswegen verbunden ist“, sagt Detlef Haffke von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen.
Im ländlichen Raum gibt es immer weniger Ärzte, weil Nachfolger fehlen. Mobile Arztpraxen wie auch dieser rollende Zahnarztbus des Start-ups BumV könnten dabei helfen, Versorgungslücken zu schließen. Start-up Gründer und Zahnarzt Sören Clamors nutzt seinen Bus selbst als Praxis. Darüber hinaus vermietet und verkauft er auch die Busse. Noch gibt es sehr wenige solcher Angebote.
„Die aufsuchende Tätigkeit ist nicht weitverbreitet bei den Zahnärzten. Die Zahnärzte sind lieber in der Praxis, wo sie sich wohlfühlen. Und das habe ich immer als Manko empfunden. Und für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, den Bedürftigen auch aufzusuchen, wenn er nicht mehr zu mir kommen kann“, sagt Clamors.
Telemedizin ist eine weitere Lösung gegen Ärztemangel. Start-ups wie Teleklinik vermitteln Onlineärzte. Zunächst wird vom Patienten ausgewählt, was Probleme bereitet. Dann gibt es das Video Gespräch. Auch Krankschreibungen werden ausgestellt. Bei Zavamed können Online Medikamente mit einem Fragebogen angefordert werden. Ein Arzt prüft alles und stellt das Rezept aus. Auch Bürgermeisterin Angelika Voß lässt im Rathaus gerade Aufnahmen von ihrer Netzhaut machen. Für sie fühlt sich das alles noch ein wenig gewöhnungsbedürftig an.
„Und das finde ich echt eine super Sache und schade, dass wir auf so was zurückgreifen müssen. Für Sie ist das natürlich gut und für uns alle ist es gut. Aber mir wäre es lieber, ich könnte mir einen Termin beim Augenarzt holen und könnte da hingehen“, sagt die SPD-Politikerin.
Wer schnell einen Arzt finden will, sollte generell immer zuerst online bei der Arztauskunft der Bundesärztekammer auf der Seite für das eigene Bundesland nach freien Terminen schauen. Das geht auch telefonisch beim Patientenservice unter 116 117. Für lange Anreisen zum Arzt kann im Übrigen bei der Krankenkasse nachgefragt werden, ob die Fahrtkosten erstattet werden.
„Und wenn es tatsächlich mal um einen schnellen Facharzttermin geht, sollte man immer seinen Hausarzt ansprechen, ob er nicht einen sogenannten Hausarztvermittlungsfall an einen Facharzt generieren kann. Dann kümmert er sich tatsächlich direkt“, rät Haffke.
Marietta Gabel bekommt schon nach wenigen Tagen eine Videosprechstunde. Ihr Augenarzt ist aus Leipzig zugeschaltet, rund 400 Kilometer von ihr entfernt. Das ist in ihrem Fall aber egal, denn ihr Augenleiden kann auch online geheilt werden. Die Messungen haben ergeben, dass die kleinen Drüsen an ihrem Lidrand verstopft sind.
Und es klappt. Durch die unkomplizierte Untersuchung im Rathaus geht es der Rentnerin jetzt besser. Und so macht ihr die Gartenarbeit auch wieder viel mehr Spaß.