Wie wir die Fähigkeit verlernen, auf Belohnungen zu warten
Immer ungeduldiger! Welche erschreckenden Auswirkungen Social Media auf unser Leben hat

Es ist ein Hype wie nie zuvor. Social Media Plattformen wie TikTok, Instagram und Co. haben ein Erfolgsrezept gefunden, das unter den Usern einschlägt wie eine Bombe – und sogar süchtig macht! Kurze Videos, die innerhalb von wenigen Sekunden pure Unterhaltung oder gebündelte Infos liefern. Warten auf den Höhepunkt einer Geschichte? Das ist schon lange kein Thema mehr – zumindest bei Social Media. Doch was macht der stundenlange Konsum von Sekunden-Videos mit uns? Experten erklären uns die erschreckenden Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.
Die Gefahr von Kurzvideos

Wir sind es normalerweise anders gewohnt: Ein spannender Thriller baut sich langsam auf und steigert sich am Ende zum Höhepunkt. Social Media bringt diese Gewohnheit gerade jedoch ziemlich doll ins Wanken. Denn: Wozu auf den Höhepunkt warten, wenn wir ihn schon nach wenigen Sekunden erleben können? Das ist das Konzept hinter den Kurzvideos: unmittelbare Befriedigung der Lust. Klingt so weit unbedenklich? Ist es aber nicht, erklärt uns Kinderpsychologin Sabine Werner-Kopsch: „Die Gehirne werden stark beeinflusst. Es finden große Reize in schneller Abfolge statt, die das Gehirn verarbeiten muss. Dadurch steigt die Reiztoleranz, so dass z.B. längere Filme, die langsamer erzählt und mit weniger Reizen präsentiert werden als monoton empfunden werden.“
Die Kurzvideos trainieren unser Gehirn also darauf, immer wieder diese extremen Reize zu verlangen, erklärt die Expertin. Denn: Das unmittelbare Vergnügen aktiviert das Belohnungssystem aufgrund der Dopamin-Ausschüttungen. Die Frustrationstoleranz werde dadurch gesenkt, was gerade bei Jugendlichen immense Folgen habe: „Erlebnisse mit geringerem Reiz-Level werden als langweilig empfunden. Dieses betrifft dann das gesamte übrige Leben, wie z.B. sich draußen zu bewegen, zu spielen, sich mit anderen zu treffen, Gespräche zu führen, etc. Sie werden unweigerlich ungeduldiger und verlangen nach weiteren Reizen durch neuen Medienkonsum“, erklärt die Kinderpsychologin. Das Warten auf Belohnung würden sie dadurch verlernen.
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Auswirkungen auf die Entwicklung der Jugendlichen
Wir gewöhnen uns sozusagen an die schnelle Befriedigung. Gerade bei der Entwicklung der Jugendlichen ein immenses Problem, wie „Schau hin“-Mediencoach Dr. Iren Schulz verdeutlicht: „Bestimmte Gehirnbereiche, die für Impulskontrolle, Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistungen verantwortlich sind, entwickeln sich bis etwa zum 25. Lebensjahr.“ Der permanente Konsum der schnellen Bildfolgen, Schnitte und endlosen Videoketten, wie es beispielsweise bei TikTok der Fall ist, können geistig und kognitiv überfordern, sagt Dr. Iren Schulz. Es sei eine große Anstrengung für die Augen und das Gehirn, sodass sich Schlafstörungen und ähnliche Entwicklungsbeeinträchtigungen entwickeln können: „Auch brauchen Kinder und Jugendliche wirklich Langeweile und einfach Leerlauf im Kopf, um das zu verarbeiten, was sie erlebt haben, um im Gehirn dafür Schemata und Kategorien zu entwickeln und eben Neues und Gelerntes zu verarbeiten.“
Im Video: Ist DAS die Lösung, den Social Media Konsum bei Jugendlichen zu reduzieren?
So können Eltern ihre Kinder schützen
Neben technischen Einschränkungen, wie zum Beispiel altersgemäße Nutzungszeiten, sollte laut „Schau hin“-Mediencoach Dr. Iren Schulz vor allem eins beachtet werden: „Alternativen neben der Mediennutzung bieten, gemeinsame Aktivitäten und medienfreie Zeiten für die ganze Familie gestalten und vor allem auch als Eltern und Erwachsene Vorbild zu sein.“ Auch Kinderpsychologin Sabine Werner-Kopsch empfiehlt als Lösung gemeinsame Freizeitaktivitäten, elterliche Unterstützung von Hobbys und Förderung von sportlichen Aktivitäten.
Außerdem sei laut den Expertinnen die Aufklärung wichtig – über die Anziehungskraft, Wirkungsweisen und Mechanismen von Social Media-Plattformen, um die Heranwachsenden zu einem gesunden Medienumgang zu befähigen.