Deutsche Waldorfschüler reisen nach Moskau - ein Kommentar Mit eurer Klassenfahrt unterstützt ihr Putin!

14.04.2020, Russland, Moskau: Zwei Polizisten mit Mundschutz bewachen bei Regen einen gesperrten Zugang auf dem leeren Roten Platz zur Einhaltung der Vorschriften zur Eindämmung des Coronavirus. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Eine Gruppe deutscher Waldorfschüler besucht Moskau - mitten im Krieg.
jga kde, dpa, Alexander Zemlianichenko
von Dimitri Blinski

Krieg – war da was?!
Während russische Soldaten brutal morden und ukrainisches Territorium immer wieder bombardieren, machen sich 18 Schüler aus Weimar auf den Weg nach Moskau. Sie schwärmen vom Austausch mit den Russen. Vom blutigen Krieg in der Ukraine – kein Wort. Hat sich da nicht einfach jemand von Putins Regime für Propaganda benutzen lassen?

Ein Schüleraustausch mit Russland - aktuell keine gute Idee

Ein Schüleraustausch mit Russland – spätestens seit Putins Einmarsch in die Ukraine sollten da sofort die Alarmglocken schrillen. Doch nicht so bei den Eltern von Jugendlichen aus einer Waldorfschule in Weimar. Fröhlich reisen sie über Umwege nach Moskau, denn direkte Verbindungen aus Europa sind ja schon lange verboten.

Die Gruppe besucht den Roten Platz und lebt in Gastfamilien. Später schwärmt ein Schüler von seinen schönsten Momenten in einem Bericht: „Alle Augenblicke, in denen meine Vorurteile durch wirkliche, schöne Erfahrungen ersetzt wurden.“

Ja, auch in Nordkorea gibt es freundliche Menschen, die einen herzlich empfangen. Nur sollte man – sowohl in Nordkorea als auch in Russland – die aktuelle politische Lage nicht ganz vergessen.

Putin führt seit mehr als einem Jahr einen brutalen Angriffskrieg und versucht den Eindruck zu erzeugen, als gehe das Leben in Russland genau so weiter, wie bisher. Und genau für diese Erzählung von einer „Normalität“, braucht er solch einen Austausch. Hätten die Schüler den Präsidenten besucht, er würde ihnen genau das sagen: Schaut her, hier ist alles normal, die Menschen leben ihr Leben einfach so weiter.

Im Friede-Freude-Eierkuchen Bericht keine Rede von Mobilisierung und toten Soldaten

Russia Putin 8526157 28.09.2023 Russian President Vladimir Putin is seen during a meeting with Head of Chechen Republic Ramzan Kadyrov at the Kremlin in Moscow, Russia. Mikhail Metzel / POOL Moscow Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxESTxLTUxLATxNORxSWExDENxNEDxPOLxUKxONLY Copyright: xMikhailxMetzelx
„Es fühlt sich genau richtig an, dass wir gerade jetzt diese Reise unternommen haben!", schreibt die Gruppe der Waldorfschüler. Der russische Präsident dürfte sich darüber freuen.
www.imago-images.de, IMAGO/SNA, IMAGO/Mikhail Metzel

Dass hunderttausenden russischen Frauen ihre Männer, Väter oder Brüder weggenommen wurden, für diesen brutalen Krieg – davon ist keine Rede in diesem Friede-Freude-Eierkuchen Bericht. Auch nicht, dass viele im Sarg wiederkommen. Auch wie hart Russland mittlerweile mit Andersdenkenden, mit politischen Gegnern umgeht – kein Wort davon.

Im Bericht findet sich nicht ein Mal das Wort „Ukraine“ oder „Krieg“. Auch Putins Propaganda-Kreation „militärische Spezialoperation“, wie der Krieg in Russland genannt werden muss, wird nicht erwähnt.

Ich als Russlanddeutscher, mit Kontakten in Moskau, kann kaum glauben, dass in den Gastfamilien der 18 Schülerinnen und Schüler nie der Krieg thematisiert wurde. Auf großen Plakaten wird in Moskau dazu aufgerufen, sich freiwillig für den Wehrdienst zu melden. Im Fernsehen laufen jeden Tag stundenlang Pseudo-Diskussionen über die Stärke Russlands und den angeblich so schwachen Westen. Es ist einfach unmöglich, dem Krieg zu entkommen.

Lese-Tipp: „Du bist doch ein Mann!“ So irre will Russland neue Soldaten anwerben

Stattdessen schwärmen die Schüler von den Russen. Es habe nur mal gemischte Gefühle gegeben, als es um die „Verständigungsmöglichkeiten“ ging.

Der Gruppe wurde auch klar: „Die vieldiskutierten Konflikte liegen in der globalen Politik, aber auf keinen Fall in den einzelnen Menschen und der Bevölkerung der Länder.“ Eine Aussage, die der Kreml selbst hätte nicht besser formulieren können.

Und die „vieldiskutierten Konflikte“ wirken eher wie ein Familienstreit aber nicht wie Krieg. Natürlich unterstützt lange nicht jede Russin und jeder Russe Putins Krieg – und trotzdem stehen Millionen Menschen auf der Seite des Kreml.

„Es fühlt sich genau richtig an, dass wir gerade jetzt diese Reise unternommen haben!“

Auf Anfrage von RTL, stellt die Waldorfschule klar: „dass es sich nicht um eine Reise der Schule handelte, da dies in diesen Zeiten nicht möglich ist, sondern um eine Initiative der Eltern unserer Schülerinnen und Schüler“, schreibt Anett Jung, die Geschäftsführerin der Freien Waldorfschule Weimar.

Das Deutsch-Russische Forum hat den Bericht zur Reise veröffentlicht und dort findet sich ein Satz, den hätte Putins Pressesprecher nicht besser formulieren können. „Es fühlt sich genau richtig an, dass wir gerade jetzt diese Reise unternommen haben!“ „Gerade jetzt“ war übrigens im Februar dieses Jahres, also genau ein Jahr nach Kriegsbeginn.

Lese-Tipp: Trotz Ukraine-KriegDeutsche Unternehmen machen weiter Geschäfte in Russland

Absolut - gerade jetzt, wo Russland die meisten Beziehungen zu Deutschland verloren hat, Diplomaten reihenweise ihre Koffer packen mussten, gerade jetzt fühle es sich gut an, da gewesen zu sein, schwärmt die Gruppe. Jetzt, wo in der Ukraine gemordet und bombardiert wird, wo auch in Russland die Zügel immer enger gezogen werden, wo selbst kleiner, stiller Protest mit Gefängnis bestraft wird, gerade jetzt ist also der richtige Zeitpunkt nach Russland zu fahren. Putin gefällt das!

Politik & Wirtschaftsnews, Service und Interviews finden Sie hier in der Videoplaylist

Playlist 50 Videos

Spannende Dokus und mehr

Sie lieben spannende Dokumentationen und Hintergrund-Reportagen? Dann sind Sie auf RTL+ genau richtig: Sehen Sie die Geschichte von Alexej Nawalny vom Giftanschlag bis zur Verhaftung in „Nawalny“.

Oder: Die Umstände des mysteriösen Tods von Politiker Uwe Barschel werfen auch heute noch Fragen auf. Sehen Sie auf RTL+ die vierteilige Doku-Serie „Barschel – Der rätselhafte Tod eines Spitzenpolitikers“.

Wie läuft es hinter den Kulissen von BILD? Antworten dazu gibt es in der spannenden Doku „Die Bild-Geschichte: Die geheimen Archive von Ex-Chef Kai Diekmann.“ Er hat Politiker kennengelernt, Skandale veröffentlicht und Kampagnen organisiert. Die Doku wirft einen kritischen Blick auf seine BILD-Vergangenheit.