Ein Kommentar zur Kindergrundsicherung

Hören sie uns, Herr Lindner?

24.08.2023, Berlin: Finanzminister Christian Lindner (FDP) spricht bei einem Schüler-Workshop zu Finanzfragen wie Rente und Altersvorsorge. Die Veranstaltung der Initiative für wirtschaftliche Jugendbildung zum Thema "ökonomische und finanzielle Bildung" fand im Bundesfinanzministerium statt. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Finanzminister Christian Lindner spricht bei einem Workshop über Finanzfragen. Doch den den eigentlichen Problemen scheint er nicht ins Auge zu blicken. Ob das bei der Kindergrundsicherung anders wird?
tba, dpa, Michael Kappeler
von Silas Merkelbach

Herr Lindner, hören oder sehen Sie uns?
Mein Name ist Silas Merkelbach, und ich bin hier bloß der Praktikant. Ich studiere Politikwissenschaften in Marburg. Für dieses Praktikum bin ich zu meinen Eltern gezogen, da ich mir keine zweite Miete leisten kann. Das Geld ist zu knapp – und die Kindergrundsicherung könnte helfen! Die sollen bis zum Alter von 27 Jahren auch Auszubildende und Studierende bekommen. Der politische Zoff um dieses Geld offenbart allerdings etwas Gravierendes: Ich habe das Gefühl, Kinder, Jugendliche und alle, die ein wenig Geld brauchen, sind der Ampel egal!

Wo geht das Geld eigentlich hin? Und wo kommt es her?

Es ist kein Geld für Kinder da – argumentiert Finanzminister Christian Lindner. Offen gestanden lässt mich das mit Unverständnis zurück. Wo kamen eigentlich die – gerechtfertigten – Corona-Hilfen her? Und wohin fließen die Milliarden der Krisengewinner, die auf dem Rücken der fleißen und einfachen Menschen erwirtschaftet werden? Hat die Bundesregierung nicht gerade erst 100 Milliarden für die Rüstung gefunden? Das zeigt doch: Geld ist da, aber wir, die jungen Menschen, haben keine Priorität! Volksökonomen würden mir da zustimmen.

Das Statistische Bundesamt gibt an: Plus elf Prozent Teuerung auf Verbraucherpreise bei den Nahrungsmitteln und das bei zeitgleicher Erhöhung der Heizkosten und einer Inflationsrate von sechs Prozent. Mietpreise sind so hoch wie nie, und so manch einer muss spätestens jetzt jede Ausgabe überdenken. Doch wer leidet besonders darunter? Natürlich all diejenigen, die das Geld nicht haben, um mal eben noch etwas mehr Heizkosten zu zahlen oder die sich jetzt schon beim Wocheneinkauf fragen, ob sie sich das leisten können. Davon besonders betroffen sind Alleinerziehende, junge Familien, Jugendliche und Kinder, wie auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt.

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Für wen wird hier Politik gemacht?

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Alles wird teurer und viele müssen sich täglich die Frage stellen: Kann ich mir das leisten? Dabei zeigen die Pläne Lindners auch eindeutig wo die Prioritäten liegen - nicht bei uns!
www.imago-images.de, IMAGO/Wolfgang Maria Weber, IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Christian Lindner argumentiert, dass die Kinderarmut sinke. Vor allem Migranten-Familien seien jetzt von Kinderarmut betroffen. Deutsche hätten es in den vergangenen Jahren aus der Armutsfalle geschafft, so der Finanzminister. Ja, viele Migranten gehören zu den armen Menschen dieses Landes. Doch das ist kein Argument. Auch für die, die angeblich nicht mehr arm sind. Nur, weil sie es statistisch über die Armutsgrenze geschafft haben, heißt das nicht, dass sie sich signifikant mehr leisten können. Corona-Pandemie, Inflation, horrende Mietpreise betreffen alle gleichermaßen – und machen es für alle teurer. Letztlich ist das Argument Lindners schwierig hinnehmbar: Die finanzielle Lage sollte niemals die Frage der Herkunft sein! Grade in einem so reichen Land wie Deutschland. Lindners Argument ist eigentlich nur dazu gedacht, die Kindergrundsicherung als nicht notwendig darzustellen. Aber die Leute brauchen die Kohle!

Ich frage mich: Für wen wird hier eigentlich Politik gemacht und mit welcher Ernsthaftigkeit? Für die durchschnittlichen Menschen, die in diesem Land leben? Durch die Kindergrundsicherung bekommen Mittelstandsfamilien in der Regel 250 Euro Kindergeld, während Spitzenverdienerfamilien von dem steuerlichen Kinderfreibetrag profitieren und so bis zu 373 Euro sparen, erklärt mir der Ökonom Höfgen. Wer also mehr Geld hat, profitiert am Ende mehr – ein Unding.

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Hört uns zu!

Warum ist denn für Kinder und junge Leute kein Geld da, frage ich mich. Ökonom Maurice Höfgen sagt dazu: „Die Ampel will mit dem Wachstumschancengesetz mehr für die Senkung von Unternehmenssteuern ausgeben als gegen die Bekämpfung von Kinderarmut" tun. Doch für diese Einordnung braucht es eigentlich keinen Experten, das dürfte auch auffallen, wenn man Christian Lindner zuhört. Dabei ist die Fokussierung Lindners fatal, denn wie Höfgen weiter feststellt, ist jede Investition, die nicht in den Nachwuchs der Bundesrepublik geht, eine, die später in der Rentenkasse fehlt. Das leuchtet ein.

Insgesamt reiht sich die momentane Diskussion in Jahrzehnte der ausgebliebenen Investitionen in die Jugend ein. Marode Schulen und Universitäten, geringe Ausbildungsgehälter, keine Perspektive auf eine ausreichende Rente. Und jetzt die Diskussion um ein paar Milliarden mehr – stattdessen Steuererleichterungen für Unternehmen. Es ist ein Bild dafür, wie wenig an uns und diejenigen gedacht wird, die dringend Geld brauchen. Und vor allem zeigt sich, wie wenig uns zugehört wird.

Es ist an der Zeit, Prioritäten zu setzen. Sonst muss sich die Politik den Vorwurf gefallen lassen, nicht für die Menschen da zu sein! Für die jungen Menschen dieses Landes gilt die Forderung aber schon lange, und jetzt besonders: Hört uns zu und investiert in uns! Wir sind eure Zukunft!

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