Leben mit seltenem Li-Fraumeni-Syndrom

Vanessa (42) bekommt wegen Gen-Defekts immer wieder Krebs: „Bin froh, wenn ich noch zehn gute Jahre habe”

Vanessa S. und einer ihrer beiden Hunde, die ihr viel Halt geben
Vanessa S. und ihre Hündin Bailey, die ihr viel Halt gibt
privat
von Larissa Königs

„Meine Prognose ist eher mittelmäßig.”
Vanessa S. sagt diesen Satz ganz nüchtern. Mit ihrer Diagnose hat sie sich zwangsläufig abgefunden. Vor zwei Jahren wird bei der Mutter eines 16-jährigen Sohns zum ersten Mal ein Gehirntumor diagnostiziert. Sie kämpft sich danach ins Leben zurück. Doch es folgt ein zweiter Tumor. Und dann die Erkenntnis, dass sie das Li-Fraumeni-Syndrom (LFS) hat. Ein Schock, der nicht nur für sie selbst weitreichende Konsequenzen hat, sondern auch für ihr Kind.

Schon Vanessas Großmutter und Mutter starben an Krebs

Krebs ist schon seit vielen Jahrzehnten Teil von Vanessas Leben. Zunächst starb ihre Großmutter mit Anfang 50 an der Krankheit, dann ihre eigene Mutter in demselben Alter. „Beide relativ jung also“, sagt sie. Und auch Vanessa erwischt es. „Es fing an mit Schwindel, Übelkeit, Erbrechen. Und dann kam noch so eine Muskelsteifigkeit hinzu, dass ich manchmal kaum mehr die Treppen hochgekommen bin. Es war richtig schlimm”, erinnert sie sich.

Durch die unspezifischen Symptome ist zunächst nicht klar, woran sie leidet. „Ich bin von Arzt zu Arzt gerannt, habe um Hilfe gebeten: Ich war beim Frauenarzt, beim HNO-Arzt, beim Zahnarzt, beim Rheumatologen und beim Neurologen.” Schließlich veranlasst ihre Hausärztin ein Kopf-CT und es wird klar: Vanessa hat einen Gehirntumor.

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Sie kommt direkt ins Krankenhaus, fünf Tage später wird sie operiert. „Das war eine sehr große OP, die eigentlich fünf Stunden dauern sollte, aber am Ende acht Stunden gedauert hat”, erinnert sie sich. Durch die besondere Lage des Tumors muss sie dabei kopfüber liegen, noch Tage nach der Operation ist ihr Gesicht deshalb „grün und blau”, sie bekommt eine Hirnhautentzündung. Aber: Der Tumor scheint zunächst weg zu sein. „Ich bin den Ärzten sehr dankbar für das, was sie da geleistet haben”, sagt sie.

Sie kommt in die Reha, startet im August 2023 wieder mit der Eingliederung in die Arbeit, einem Kindergarten. „Ich liebe meinen Job und habe mich sehr darüber gefreut”, erzählt sie. Ein halbes Jahr später will sie endlich wieder Vollzeit arbeiten. Doch es kommt anders.

Ein zweiter Gehirntumor und die finale Diagnose

„Genau an dem Tag bin ich auf der Arbeit mit einem epileptischen Anfall zusammengebrochen. Und dann ging die ganze Odyssee wieder los”, sagt sie. Sie kommt ins Krankenhaus, auf die Neurologie und die Ärzte stellen fest: Sie hat einen zweiten Tumor. Es folgt eine weitere Operation, dann Chemo- und Strahlentherapie. Ein Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellt. Denn Vanessa wird im August schließlich zu einer humangenetischen Untersuchung geraten. Das Ergebnis: Sie hat das Li-Fraumeni-Syndrom (LFS).

Dieser vererbbare Gendefekt lässt das Risiko einer Krebserkrankung drastisch ansteigen, da das „Gen TP53” mutiert ist. Dieses ist maßgeblich für die Kontrolle des Zellwachstums und somit auch für die Entstehung von Tumoren verantwortlich. Die Li-Fraumeni-Syndrome Association Deutschland geht davon aus, dass etwa einer von 5.000 Menschen in Deutschland am LFS erkrankt ist.

41 Prozent der LFS-Patienten erkranken bereits vor ihrem 18. Geburtstag an Krebs, bis zum 70. Geburtstag erhalten beinahe 100 Prozent der Betroffenen die Diagnose. Dennoch dauert es oft lange, bis erkannt wird, dass die Betroffenen unter LFS leiden. Denn die Krankheit ist teilweise gar nicht allen Ärzten bekannt. „Ich schätze meine Pfleger und auch die behandelnden Ärzte sehr und bin ihnen dankbar. Aber mir ist es auch schon passiert, dass es medizinisches Personal gab, das gar nicht wusste, was Li-Fraumeni ist. Deshalb wünsche ich mir, dass der Gendefekt bekannter wird”, betont Vanessa.

Auch, weil Patienten dann anders behandelt werden. So wird Li-Fraumeni-Betroffenen eigentlich nicht zu einer Strahlentherapie beim Kampf gegen den Krebs geraten, da sie eine nachweislich höhere Empfindlichkeit gegenüber der Strahlung haben.

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Vanessas größte Sorge betifft ihren Sohn

Ein weiterer Grund, warum die Li-Fraumeni-Diagnose so wichtig ist: Sie beeinflusst nicht nur die Betroffenen selbst. „Man geht davon aus, dass es zu 50 Prozent vererbbar ist”, erzählt die 41-Jährige. Das ist es, was ihr am meisten Sorge macht. „Ich habe einen Sohn und natürlich Angst, dass er das auch haben könnte. Wir haben ihn testen lassen, aber warten noch auf die Antworten.”

Um ihren eigenen Krebs in Schach zu halten, nimmt sie aktuell täglich Chemotherapie-Tabletten, regelmäßige MRTs gehören vermutlich bis zum Ende ihres Lebens zu ihrem Alltag. Ihre Prognose ist trotzdem, wie sie selbst sagt „eher mittelmäßig”. Sie weiß: „Man versucht natürlich, was man kann, aber wenn ich noch so zehn bis 20 Jahre habe, freue ich mich darüber. Allein, weil ich ja Familie und Freunde habe.”

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Worauf sie jetzt hofft und was ihr Halt gibt

Wie der Weg bis dahin aussehen wird, ist nicht klar. Auch, weil die Medikamente vermutlich Langzeitfolgen mit sich bringen. „Die sind nicht ohne. Ich habe jetzt schon immer wieder mal Bauchschmerzen. Aber es geht und im Großen und Ganzen will ich mich mal nicht beklagen”, sagt sie tapfer. Sie sei sehr dankbar für die Unterstützung von Familie, Freunden und Kollegen. Zwar habe sie jeden Tag, wenn sie aufsteht, Schmerzen. Doch die kleinen Freuden des Lebens lässt sie sich nicht nehmen.

„Ich freue mich, wenn morgens die Sonne scheint, wenn ich Zeit mit meiner Familie und den Hunden verbringen kann, wenn eine Freundin zu Besuch kommt. Manche Menschen erfüllen sich bei einer solchen Diagnose materielle Lebensträume, kaufen ein Auto oder machen eine große Reise. Aber ich brauche das nicht. Für mich ist das größte Glück, wenn ich einfach einen halbwegs normalen Alltag habe.”

Wir hoffen, dass dieser Wunsch Vanessa möglichst lange erfüllt wird.