Ende ist noch lange nicht in Sicht
So kämpft der Staat seit fünf Jahren gegen kriminelle Clans und No-Go-Areas

Der Knall ist ohrenbetäubend. Am frühen Morgen des 8. Juni 2021 rammt ein Panzerwagen die Eingangstür zu einer Villa in Leverkusen auf. Direkt danach stürmen maskierte Polizisten das Anwesen. Ähnliche Szenen, allerdings mit etwas leichterem Fuhrpark, spielen sich zeitgleich unter anderem in Düsseldorf, Bochum, Wuppertal und Köln ab. 600 zum Teil schwer bewaffnete Einsatzkräfte durchsuchen an diesem Morgen in 15 Städten 31 Objekte. Am Ende des Tages haben sie knapp 350.000 Euro, scharfe Schusswaffen, Schmuck, Luxusuhren und Blankobescheinigungen über Corona-Tests sichergestellt. Auch die Villa im Wert von knapp 800.000 Euro wird zunächst beschlagnahmt.
Bis zur Clan-Razzia in Leverkusen war es ein langer Weg
Mit Stolz geschwellter Brust verkündet NRW Innenminister Herbert Reul: “Der Hauptbeschuldigte zählt zu den absoluten Top-Leuten“ und man hätte ihn jetzt nicht nur festgenommen, sondern ihm auch das Zuhause weggenommen. Die Rede ist von der El-Zein Familie. Ein Clan aus der türkisch-arabischen Volksgruppe der Mhallami. Ermittelt wird jetzt wegen bandenmäßigen Betrugs, Sozialhilfebetrug in sechsstelliger Höhe, Geldwäsche und Schutzgelderpressung.
Es war ein weiter Weg bis Leverkusen. 2017 sind einige Großstadt-Straßen und -Bezirke schon seit Jahren fest in den Händen von Clans. Nehmen wir das Ruhrgebiet: Dort türmen sich bei einigen Städten Berge unbezahlter Knöllchen. Für falsches Parken, zu schnelles Fahren, fahruntüchtige Pkw und so weiter. Mitglieder stadtbekannter Familien erhalten zwar immer Zahlungsaufforderungen, bezahlt wird aber trotzdem nicht. Und Gelder mit Gerichtsvollziehern einzutreiben ist durchaus risikoreich. Allein die Anwesenheit eines städtischen Mitarbeiters wird sofort per Handy gemeldet und innerhalb weniger Minuten sorgen 20 bis 30 Clanmitglieder für eine bedrohliche und explosive Stimmung.
Der Unmut wuchs. “Die Aufregung ist am größten, wo Menschen selber betroffen sind, weil sie in ihrem Umfeld und in ihren Bezirken nicht mehr sicher sind, weil sie ihre Kinder nicht auf die Straße schicken können, weil manche rasen, weil Drogen verkauft werden,” so Ahmad Mansour, Psychologe und exzellenter Kenner der Szene im RTL-Interview.
Kriminalitätsstrukturen entwickeln sich innerhalb von Familien
Natürlich sind viele der bundesweit geschätzten 200.000 Clanzugehörigen nicht kriminell. Aber es gibt sie, die Kriminellen bei den Remmos, Abou Chakers, den El-Zeins, Miris, Gomans oder anderen.
“Wir haben hier Kriminalitätsstrukturen, die sich innerhalb von Familienverbünden entwickelt haben mit Rollenmodellen des großen Bruders, der den Nachwachsenden zeigt, mit Kriminalität kann man Geld verdienen und das führt dazu, dass wir viel Kriminalität in diesen Familien haben”, so der Chef des Bundeskriminalamtes Holger Münch im Gespräch mit RTL.
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Clanmitglied erklärt sein Geschäftsmodell
Ahmed (Name geändert) kommt aus so einer bekannten Familie. Er ist groß, muskulös und er tritt dominant auf, also so richtig dominant. Seinen Namen will er uns nicht sagen und auch sein Geschäftsmodell behält er natürlich lieber für sich. Aber es muss sich lohnen. „Schau, der normale Arbeiter arbeitet 40 Stunden die Woche von Montag bis Freitag und verdient 1.400 netto. Das Geld brauchen wir schon allein, wenn wir heute oder morgen mit den Jungs Essen gehen. Wie sollen wir davon leben oder unsere Miete bezahlen,“ so seine Rechnung.
Dass sein Geschäftsmodell jedoch mit hiesigen Gesetzen kollidiert, stört ihn nicht. “Ich hatte mindestens schon 40 Anklagen gehabt in meinem Leben, und ich habe es mit meinem Anwalt geschafft nicht im Knast zu landen, Gott sei Dank,“ so Ahmed offenherzig. Und wenn Anwälte mal nicht helfen, dann regeln Friedensrichter intern Unstimmigkeiten. Und wenn das nicht hilft, dann werden Zeugen eben massiv bedroht oder gleich gekauft.
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NRW geht hart gegen kriminelle Clans vor
Als vor fünf Jahren immer häufiger von “No-Go-Areas“ die Rede ist, kommt Bewegung in die Sache. In NRW will man die Szene analysieren und es wird erstmalig ein eigenes Lagebild erstellt. Als nächstes entscheidet man sich schon kleinste Vergehen konsequent zu ahnden. Knöllchen werden nicht nur schneller geschrieben, nein, nun werden sie auch einkassiert, mit polizeilicher Unterstützung.
Der nächste Schritt sind Razzien. Viele Razzien. Polizei, Zoll, Finanzamt, Ordnungs- und Gesundheitsamt und Staatsanwaltschaften operieren dabei nun gemeinsam, um Verstöße oder Straftaten aufzudecken, von Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei begleitet. Von Juli 2018 bis August 2021 gab es allein in NRW 1.800 Razzien, über 4.500 Objekte wurden kontrolliert, darunter zahlreiche Shisha-Bars und Wettbüros. Und 2.400 Strafanzeigen wurden erstattet und über 12.000 Verwarngelder geschrieben.
Ermittlungsbehörden machen sich auf die Spur des Geldes
Dann kommen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften hinzu – “Follow the Money” ist ihre Devise. Sie sind angetreten, um Geldströme aufzudecken, also wer verdient wieviel Geld womit und wohin fließt es. Wie finanzieren sich Shisha-Bars, Barber Shops, wie werden Immobilienkäufe abgewickelt und wer bezieht Sozialleistungen, obwohl er mit einem neuen Porsche unterwegs ist.
Ein weiterer Punkt waren die spektakulären Einbrüche und Überfälle, die der Staat nicht mehr tolerieren wollte. „In meiner Erinnerung ist der Überfall auf ein Pokerturnier der entscheidende Wendepunkt, wo dann klar geworden ist, wir müssen dieses Kriminalitätsphänomen konsequenter angehen“, so Martin Steltner von der Berliner Generalstaatsanwaltschaft.
Vermögen von kriminellen Clans kann schneller beschlagnahmt werden
Eine der wichtigsten Maßnahmen: Die Vermögensabschöpfung wird ausgebaut. Jetzt können Vermögenswerte schon beschlagnahmt werden, wenn nur der Verdacht besteht, dass sie mit illegal erworbenem Geld bezahlt wurden. Das ging vorher nicht. Und während man früher illegal erwirtschaftetes Vermögen gerne auf Dritte übertrug, so kommen die Fahnder jetzt auch an das Geld ran.
Am Ende entscheiden aber nach wie vor die Richter. In Berlin haben schon zwei von 77 Immobilien des Remmo-Clans den Besitzer gewechselt und gehören nun dem Land. Und auch Mieteinnahmen können einkassiert werden. “Irgendwo muss natürlich ein Krimineller auch immer mit anderen kommunizieren, wenn es zum Beispiel darum geht, Vermögen zu investieren und das sind Ansatzpunkte für unsere Ermittlungen” so Münch.
BKA-Chef wünscht sich noch mehr Transparanz
Dass die kriminellen Clans demnächst Geschichte sein werden, ist völlig abwegig. Aber ihnen das verbrecherische Leben so schwer wie möglich zu machen, das ist das Ziel. „Ich will nur mal darauf hinweisen, dass es in Deutschland kein Immobilienregister gibt. Und so müssen wir mit aufwendigen Ermittlungen feststellen, ob jemand Geld zum Beispiel in irgendeiner Stadt in Deutschland in Immobilien angelegt hat. Hier gebe es noch Möglichkeiten die Transparenz zu erhöhen und die Ermittlungsmethoden zu vereinfachen,“ so BKA-Chef Münch.
Juristisch fordern viele den verstärkten Einsatz von Videoaufzeichnungen bei Zeugenbefragungen, damit sie nicht später umgedreht werden können. Der Informationsaustausch mit in- und ausländischen Behörden und Banken kann noch deutlich ausgebaut werden Und immer öfter werden auch konsequente Abschiebungen gefordert, wenn es möglich ist. Es gibt also noch viel zu tun, so Holger Münch:“ Das Problem ist vor über 30 Jahren entstanden und wir werden einen langen Atem haben müssen.“
RTL+ Doku "Clans in Deutschland"
Prostitution, Drogenhandel, Gewalt. Die Welt der Clans ist eine, in die nur wenige Einsicht haben. In der RTL+ Doku "Clans in Deutschland" zeigen wir exklusive Einblicke in die Welt der kriminellen Großfamilien, die die Unterwelt Berlins beherrschen.