Neue Vorwürfe gegen Rostocker Betrüger-Bestatter

Skandal-Bestatter Enrico B. soll Rentner finanziell ruiniert haben

von Rebekka Kaiser

Bundesweit ist Enrico B. aus Rostock als „Trauerschwindler“ bekannt geworden.
Der 49 Jahre alte Bestatter soll jahrelang trauernden Frauen die große Liebe vorgegaukelt haben, um an ihr Geld zu kommen. In einem ersten Prozess in Rostock ist Enrico B. schuldig gesprochen worden. Jetzt melden sich weitere Menschen bei RTL und erheben schwere Vorwürfe gegen den Betrüger. Seinetwegen wollen manche fast vor dem finanziellen Ruin stehen. Die Polizei ermittelt gegen Enrico B., bestätigt die Staatsanwaltschaft Rostock auf RTL-Anfrage.

Kurz vor der Unterschrift beim Notar kommt plötzlich seine Tochter ins Spiel

Bestatter
Beim Verkauf des Bestattungsunternehmens soll es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein

Folgt man den Angaben der mutmaßlichen Betrugsopfer, ist Enrico B. stets ähnlich vorgegangen: Gezielt habe sich der attraktive Bestatter mit der angenehm tiefen Stimme als erfolgreicher Geschäftsmann inszeniert – das soll vertrauenserweckend gewirkt haben. So soll der 49-Jährige Frauen, Nachbarn und Geschäftspartner geblendet haben, um sie dann zu hintergehen.

Lesen Sie auch: „Trauerschwindler“ betrügt Frauen um 230.000 Euro - von Reue keine Spur

Joachim Hänchen aus Rostock wirft Enrico B. vor, ihm alles genommen zu haben. Der Rentner hat gemeinsam mit seinem früheren Geschäftspartner fast 30 Jahre lang erfolgreich das Bestattungsinstitut „Diskret“ geleitet. Das Unternehmer-Duo leitet drei Filialen in Rostock. 2018 beschließen sie, ihr Geschäft zu verkaufen. Sie fordern dafür 420.000 Euro. Angeblich habe Enrico B., den die Bestatter vom Friedhof Rostock kannten, sofort Interesse angemeldet. „Kurz vor der Unterschreibung beim Notar kam er um die Ecke, dass seine Tochter das übernehmen soll. Aus wirtschaftlichen Gründen.“

Mutmaßliches Betrugssystem ungeheuren Ausmaßes

Haenchen
Joachim Hänchen

Beide begegnen der erwachsenen Tochter von Enrico B. nur einmal beim Notar. Joachim Hänchen ahnt nichts Schlimmes. Schließlich arbeitet Enrico B. sogar zwischenzeitlich als Bestatter mit der Polizei Rostock zusammen. Was Joachim Hänchen und sein Co-Partner nicht wissen: Schon damals laufen gegen B. bereits mehrere Anzeigen wegen Betrugs.

Gutgläubig übergibt Joachim Hänchen Enrico B. und dessen Tochter sein Bestattungsinstitut Ende 2019. Doch das Geld dafür haben sie bis heute nicht bekommen, sagt der Ex-Inhaber. „Ich würde mich schämen bis zum Geht-nicht-mehr und ich würde weit wegziehen aus Rostock und Umgebung, damit man den nie wieder sieht. Das ist eine ohnmächtige Wut in uns“, so der Rentner heute.

Lese-Tipp: An diesen 5 Anzeichen erkennen Sie Liebesbetrüger

Das Problem: Enrico B. ist nur schwer zu belangen. Und genau das scheint System zu haben: Während B. als vermeintlich erfolgreicher Unternehmer offenbar jedes Mal die Geschäfte eingefädelt hat, soll seine Tochter die Kaufverträge oftmals unterschrieben haben. Sie soll auch als Geschäftsführerin mehrerer Bestattungsinstitute aufgeführt sein, in denen B. gearbeitet hat. Anders als ihr Vater soll sie aber nie in der Bestattungsbranche gearbeitet haben, sondern in einem Supermarkt.

Leben am Existenzminimum statt ruhiger Lebensabend

Inzwischen glauben Joachim Hänchen und sein ehemaliger Geschäftspartner nicht mehr daran, dass sie das Geld noch einmal sehen. Ein Gerichtsvollzieher hat veranlasst, dass Enrico B.s Tochter nun monatlich etwa 300 Euro jeweils an Joachim Hänchen und seinen ehemaligen Geschäftspartner zahlen muss.

Lesen Sie auch: Liebesbetrug als kriminelle Masche- hier finden Opfer Hilfe

Für die Rentner ist das aber viel zu wenig. Der Erlös aus dem Geschäftsverkauf sollte für den Lebensabend der Rentner sein. Nach über 30 Jahren Selbständigkeit muss Joachim Hänchen nun von einer kleinen Rente leben: 1.100 Euro im Monat – ein Leben am Existenzminimum nach jahrzehntelanger schwerer Arbeit.

Auch vor Nachbarn macht Enrico B. angeblich nicht Halt

B.s ehemals guten Freund Mark Gläser wundert das nicht. „Er konnte schon immer sehr, sehr gut mit Menschen und auch sehr gut reden. Also da hat er kann sich in jedem Menschen Person hineinversetzen, der kann Mitgefühl zeigen (...). Der größte Teil wird nicht echt sein, damit er das bekommt, was er möchte.“

So wie angeblich auch bei dem Ehepaar Ehrenberg. Die Rentner wollen ihr Haus mit Garten im Speckgürtel von Rostock 2020 verkaufen. Laut Schätzungen ist es circa 420.000 Euro wert. Weil die Rentner aber bis zu ihrem Tod darin wohnen bleiben wollen, senken sie den Kaufpreis auf 240.000 Euro. Im ersten Vertrag wird ein lebenslanges Wohnrecht mit Enrico B. vereinbart. Doch dann habe der 49-Jährige unbedingt den Notar wechseln wollen.

Vertrauensvoll hätten die Rentner den neuen Vertrag unterschrieben und erst später bemerkt, dass der Absatz mit dem lebenslangen Wohnrecht nun offenbar gestrichen wurde. „Enttäuscht? Keine Frage. Wir sind sauer.“ Allerdfings räumt er eine Mitschuld ein, „weil wir das Vertrauen entgegengebracht haben.“ Der Vertrauensbruch durch B. sei für ihn „das Schlimmste dabei.“

„Es ist einfach unfassbar, dass jemand so lange damit durchkommen kann“

Trauerschwindler
Schlagzeilen üb der „Trauerschwindler“ aus Rostock

Statt Enrico B. unterschreibt wieder seine Tochter den Kaufvertrag. Danach hätten absurde Schikanen begonnen – angeblich um die Rentner rauszuekeln: Der Garten sei mit martialischen Zäunen zerteilt worden und die Terrasse plötzlich nur noch gegen ein Entgelt betretbar gewesen. Der Höhepunkt: Im Winter 2022 wird den Rentnern für etwa 8 Wochen die Heizung und warmes Wasser ausgeschaltet.

Ihre Enkeltochter Cindy erhitzt ihnen damals Wasser im Kochtopf, damit waschen sich die Rentner. „Es ist einfach unfassbar, dass jemand so lange damit durchkommen und weitermachen kann, ohne, dass da mal die Bremse gezogen wird“, sagt Enkeltochter Cindy, die ihre Großeltern während dieser schweren Zeit unterstützt hat.

Erst durch eine einstweilige Verfügung bekommen die Rentner wieder Warmwasser und Heizung. „Das ist sehr, sehr nervenaufreibend. Wenn man immer wieder weiß, der Eigentümer ist hier gegen mich, der will mich raushaben, dem sind alle Mittel recht“, sagt Rechtsanwältin Christine Habetha aus Rostock.

Neue Ermittlungen gegen Enrico B. und Angehörige

Gericht
RTL-Reporterin Rebekka Kaiser (l.), Enrico B. (m.) und dessen Anwalt vor einem Gerichtstermin in Rostock

Später erfahren Cindy und ihre Großeltern, dass es offenbar zahlreiche weitere Betrugsvorwürfe gegen den Bestatter gibt. In den vergangenen Wochen führte die Polizei Rostock mehrere Hausdurchsuchungen bei Enrico B., dessen Tochter sowie weiteren Grundstücken der Familie B. durch. „Es gibt umfangreiche Ermittlungen aufgrund eines Tatvorwurfs, des Betruges und weiterer Delikte. Dieser Tatvorwurf richtet sich sowohl gegen den Beschuldigten als auch zwei nahe Angehörige“, bestätigt die Staatsanwaltschaft Rostock auf Anfrage von RTL.

Enrico B. soll mehrfach wegen Betrugs vorbestraft sein. Erst im Mai wurde der Bestatter zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt – wegen Betrugs in elf Fällen. Er soll drei Frauen Gefühle vorgetäuscht haben, um sie finanziell auszunutzen. Nach dem Urteil ging der Bestatter in Berufung – genauso wie die Staatsanwaltschaft. Sie fordert eine höhere Strafe. Bald soll in Rostock zum zweiten Mal verhandelt werden. Bis dahin ist B. auf freiem Fuß.

Die Ehrenbergs sind inzwischen aus dem Haus ausgezogen - die Rentner sagen, sie haben die Schikanen nicht mehr ausgehalten. Joachim Hänchen geht nun gerichtlich gegen B. und dessen Tochter vor. Die Ermittlungen wegen Betrugs gegen den Bestatter halten an. Wir haben Enrico B. und seine Tochter um Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Bisher haben sie auf die Anfrage nicht reagiert.